Mit dem frühen Tod von Thomas Oppermann hat Südniedersachsen einen starken Netzwerker verloren. Der SPD-Politiker brachte bis zuletzt wichtige Projekte voran, die noch lange das Bild der Region prägen werden. Die Lücke, die Oppermann hinterlässt, ist groß.
Er war ein absoluter Profi, ein Vollblutpolitiker durch und durch. Er war ein Stratege und im positivsten Sinne ein Strippenzieher.“ So charakterisiert Fritz Güntzler, Göttinger Bundestagsabgeordneter der CDU, seinen politischen Konkurrenten, langjährigen Weggefährten und den Mann, mit dem er im Bundestag gemeinsam an einem Strang gezogen hat, um das Bestmögliche für die Region herauszuholen.
„Er ist auch als profilierter Bundespolitiker seinen Wurzeln immer treu geblieben. Er hatte immer eine enge Verbindung zu seinem Wahlkreis, war ein verlässlicher Ansprechpartner und hat nie die Bodenhaftung verloren“, beschreibt Gabriele Andretta, Landtagsabgeordnete der SPD für Göttingen, Thomas Oppermann, den sie seit 1980 kannte.
„Er war sehr pragmatisch, sehr wenig ideologisch festgefahren, hatte dabei aber klare Grundsätze“, sagt Göttingens Landrat Bernhard Reuter, SPD, über Oppermann, den er bereits in seinem ersten Jura-Semester im Wintersemester 1978/79 traf. „Und man muss sagen, dass er ein harter Arbeiter mit einer schnellen Auffassungsgabe war. Wenn man sich auf Diskussionen mit ihm einlassen wollte, musste man gut vorbereitet sein.“
Es sind diese Qualitäten, die Thomas Oppermann ausgezeichnet haben und über die durch die Bank Einmütigkeit besteht: Oppermann war eine Ausnahmeerscheinung, persönlich, politisch, einer, der sich bei seinem Handeln über Jahrzehnte nicht nur massiv für seinen Wahlkreis eingesetzt hat, sondern der auch wusste, wie er das beinahe Unmögliche möglich machen konnte.
Als Thomas Oppermann am 25. Oktober 2020 in Göttingen im Alter von 66 Jahren verstarb, ging damit eine beeindruckende Politikerkarriere zu Ende (siehe Kasten). Eine, die in der Region große Spuren hinterlassen hat, insbesondere seit seiner Zeit als Wissenschaftsminister in Niedersachsen. In seiner Amtszeit wurde die Universität Göttingen als erste deutsche Volluniversität in die Trägerschaft einer Stiftung Öffentlichen Rechts überführt, womit deutlich höhere Gestaltungsfreiheiten für die Hochschule verbunden waren. Auch der Neubau der Fakultät für Physik auf dem Nordcampus ging maßgeblich auf ihn zurück. Überhaupt hatte Oppermann immer eine besondere Affinität zur Universität und damit zum Wissenschaftsstandort Göttingen, für dessen Weiterentwicklung er sich konsequent einsetzte.
Aber da hörte es nicht auf. „Wir hätten zum Beispiel den Neubau der B 243 von Bad Lauterberg nach Nordhausen nicht ohne Thomas Oppermann“, so Landrat Reuter. Das Projekt war rechtlich wie finanziell sehr anspruchsvoll, Oppermann hatte mit den richtigen Argumenten darauf hingewirkt, dass der Bund die Priorität dieses Vorhabens hochgestuft hat. „Sein Wirken zeigte sich in allen Politikbereichen, nicht nur der Wissenschaft – und ebenso nicht nur in Göttingen, sondern auch im ländlichen Raum, wie etwa bei der Sanierung des Herzberger Schlosses.“
„Es gibt so vieles“, sagt Fritz Güntzler, für das sich Oppermann eingesetzt hat, sei es die Entwicklung im Brauweg, Mittel für die Johanniskirche oder die langfristige Absicherung der Händelfestspiele. „Wir waren in jeder Förderperiode dabei. Das hat auch schon Neid erzeugt, weil überall Göttingen draufstand.“ Ob auf Mitteln für die Ethnologische Sammlung, den Cheltenham-Park oder das Otfried-Müller-Haus. Doch nicht immer waren es die großen Summen. „Vieles, was Oppermann gemacht hat, ist gar nicht so bekannt geworden“, sagt Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler. „Er hat Kontakte gepflegt, sich in Gesprächen für Göttinger Institutionen eingesetzt und seine guten Verbindungen zu verschiedenen Forschungsinstitutionen genutzt.“
In breiter Erinnerung werden jedoch die Leuchtturmprojekte bleiben, die es ohne Thomas Oppermann nicht gegeben hätte, die erst in Jahren fertiggestellt werden und mindestens für Jahrzehnte bleiben: Die Bundesförderung für das Galeriegebäude im Kunstquartier verschafft Göttingen die Chance, endlich auch überregional als Ausstellungsort bekannter zu werden. Für die Einrichtung des ersten Göttinger Fraunhofer-Instituts bewirkte Oppermann, dass 32,8 Millionen Euro vom Haushaltsausschuss bereitgestellt wurden.
Und dann ist da natürlich noch das Forum Wissen, das Wissenschaftsmuseum der Universität, das ein enormes Potenzial für eine weit überregionale Strahlkraft hat. Das Konzept ist hoch innovativ: Die zahlreichen Sammlungen der Universität sollen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, aber nicht in Form einer Leistungsschau der Wissenschaft, sondern vielmehr, indem Wissenschaft als Prozess der verschlungenen Wege zum Erkenntnisgewinn anschaulich wird. Das Forum Wissen war zentraler Bestandteil des Antrags zur Exzellenzinitiative 2012 und sollte aus den daraus eingeworbenen Geldern umgesetzt werden. Als Vorleistung wurde die Zentrale Kustodie aufgebaut, die das Forum Wissen managen soll. Doch mit dem Scheitern in der Exzellenzinitiative fehlte der Universität das Geld dafür.
„Also haben wir nach Alternativen gesucht, und da tauchte Thomas Oppermann auf“, sagt Marie Luisa Allemeyer, Leiterin der Zentralen Kustodie. „Er hat sich besonders stark dafür eingesetzt, dass wir vom Bund zehn Millionen Euro für die Sanierung des Gebäudes, der alten Zoologie, bekommen haben.“ Damit war „der Knoten gelöst“, um mit der Realisierung des Forum Wissen zu beginnen.
Oppermanns Einsatz für das Forum Wissen nahm im Laufe der Jahre noch zu. 2018 begann er, sich für den Nordflügel einzusetzen. Der Nordflügel der Zoologie, dessen Veranstaltungsräume das Ausstellungskonzept ergänzen sollten, war zuvor aus Kostengründen von Sanierung und Umbau ausgenommen. „Thomas Oppermann hat erkannt, was für ein attraktiver Veranstaltungsort hier direkt neben dem Forum Wissen und dem Bahnhof entstehen kann“, so Allemeyer. Also setzte er sich im Bund erneut dafür ein, Gelder zu organisieren, und schaffte es 2019, eine Zusage über 4,15 Millionen Euro zu erwirken – gebunden an eine Kofinanzierung durch die Universität in derselben Höhe. Doch mit den Etatkürzungen durch die Landesregierung musste die Universität von diesen Plänen zurücktreten. „Daraufhin hat sich Thomas Oppermann bemüht, eine Vollfinanzierung durch den Bund zu ermöglichen.“ Normalerweise gibt es eine solche nicht, doch Oppermann sei den ganzen Prozess „extrem gut vorbereitet“ angegangen – letztlich mit Erfolg. Kurz nach seinem Tod – aber vielleicht auch gerade dadurch, um seiner Leistung Anerkennung zu zollen – erfolgte die Bewilligung von noch einmal knapp zehn Millionen Euro. Damit ist der Ausbau des späteren Thomas-Oppermann-Kulturforums gesichert.
Und weil die Gelegenheit perfekt passte, ermöglichte Oppermann damit auch, dass Göttingen auf dem Dach des Nordflügels eine Präsentationskuppel für Wissenschafts- und Kulturerlebnisse – wie etwa Sternenreisen in einem Planetarium – erhalten wird und die lange Suche des 1994 gegründeten Förderkreises Planetarium Göttingen ein Ende fand. Der Verein hatte sich zum Ziel gesetzt, dass am einzigen Ort in Niedersachsen, an dem Astrophysik studiert werden kann, auch ein Planetarium existieren sollte – wie an anderen Astrophysik-Standorten auch. Der große Haken: Technik und Bau hätten sehr viel Geld gekostet. „Wir hatten mit Oppermann schon sehr früh und immer wieder Kontakt, um über eine Realisierung zu sprechen“, berichtet Förderkreis-Vorsitzender Thomas Langbein. Aufgrund der exorbitant hohen Kosten war das Projekt nicht durchsetzbar, doch Oppermann behielt es immer im Hinterkopf. Als dann die Idee für das Forum Wissen entstand, „haben wir uns wieder ins Gespräch gebracht“, so Langbein. „Und Thomas Oppermann hat schnell erkannt, dass die Kuppel das perfekte i-Tüpfelchen auf dem Forum Wissen ist.“ Es folgten viele Abstimmungen mit der Universität, langes, banges Warten angesichts der schwierigen Finanzlage der Universität und am Ende die große Erleichterung, als die Finanzierung in trockenen Tüchern war. Es klingt tatsächlich ein wenig nach Wunschkonzert, was an, in und auf dem Forum Wissen passiert – und welches es in dieser Form, so die breite Einschätzung aller Beteiligten, ohne Oppermann nicht geben würde.
„Was mich an Thomas Oppermann wirklich fasziniert hat, sind zwei Sachen“, erklärt Allemeyer. „Er hat sich schon sehr früh die Zeit genommen, unser Konzept zu verstehen und auf Herz und Nieren zu prüfen.“ Dabei habe er wissen wollen, ob es gut durchdacht ist. „Zum anderen war es sein Einsatz. Nachdem er selbst von dem Projekt überzeugt war, hat er sich mit einer wahnsinnigen Beständigkeit dafür eingesetzt. Dieses verlässliche, hartnäckige, entschlossene Engagement habe ich sonst bei niemanden erlebt, und das hat mich nachhaltig beeindruckt.“
Doch auch für Thomas Oppermann gilt: Der Erfolg hat meist viele Väter. Dies gilt umso mehr, wenn es um die Finanzierung Göttinger Projekte auf Landes- und Bundesebene geht. Andrea Ruhstrat, Senior-Chefin der Ruhstrat Haus- und Versorgungstechnik und regional engagiert, hat die Weitsicht und Zukunftsorientierung von Oppermann sehr geschätzt und betont das Überparteiliche an Oppermann, dem es auch gemeinsam mit Fritz Güntzler gelungen ist, viel zu bewegen. Ein Eindruck, den auch Detlev Barth, lange Zeit Leiter der Wirtschaftsförderung Landkreis Göttingen, teilt: „Im Vergleich zu anderen Kreisen hatten wir in der Region ziemlich starke Abgeordnete, die zudem individuell eine sehr hohe Kompetenz mitgebracht haben. Sie hat auch ausgezeichnet, dass sie in Fragen der Region alle an einem Strang gezogen haben.“
Diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Bundestagsabgeordneten sei das Erfolgsgeheimnis für die vielen Erfolge in Berlin, betont Bernhard Reuter. „Natürlich gibt es objektive Verfahren, aber wer glaubt, dass er allein mit guten Anträgen erfolgreich ist, kennt das reale Leben nicht.“ Alle Regionen in Deutschland seien in der Lage, gute Anträge zu stellen – für den Erfolg im Wettbewerb sei aber auch entscheidend, dass man gute Fürsprecher in Berlin, Brüssel oder Hannover hat. Gleichwohl, so Jürgen Trittin, Göttinger Bundestagsabgeordneter der Grünen, hängt das stark von der Rolle des jeweiligen Abgeordneten ab: „Wir sind seit 15 Jahren in der Opposition und haben nur bescheidene Einflussmöglichkeiten.“
So kam dem Tandem aus Oppermann und Güntzler eine besondere Bedeutung zu. Über 30 Jahre kannten sich die beiden, und wie Güntzler betont, hat Oppermann ihn sehr motiviert, für den Bundestag zu kandidieren. „Als wir ab 2013 zusammen in der Großen Koalition saßen, haben wir gesagt: Wir bündeln die Kräfte. Und bis auf einen Fall haben wir, wenn wir etwas für die Region erreicht haben, eine gemeinsame Pressemitteilung herausgegeben und das als gemeinsame Leistung präsentiert.“ Voraus ging dem eine intensive Abstimmung und das Strippenziehen im Hintergrund, um Zustimmung für die gemeinsamen Vorhaben zu organisieren. „Ich denke schon, dass das etwas Besonderes war“, sagt Güntzler. „Das gab teilweise auch Irritationen und Nachfragen in der eigenen Partei. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich in der Zeit viel von ihm gelernt habe.“ Dass sie so erfolgreich waren, führt er aber auch auf Oppermanns Ämter und sein nicht unerhebliches Standing in der SPD zurück.
„In meinen 22 Jahren als Landrat“, so Reuter, „liegt die Zahl der Bundestagsabgeordneten aus Göttingen im unteren zweistelligen Bereich. Und ich halte Thomas Oppermann mit gewaltigem Abstand für den erfolgreichsten.“ Das aber sei auch kein Wunder. „Er war Minister auf Landesebene, erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Fraktionsvorsitzender und Vizepräsident des Bundestags – wenn so jemand gute Argumente hat, überlegt man sich dreimal, nein zu sagen.“
Oppermann war dabei jemand, der sich nicht nur für Projekte anderer einsetzte, sondern der auch eigene Ideen entwickelte. „Ob daher mit seinem frühen Tod Projekte liegen geblieben sind, wusste an manchen Stellen wohl nur Thomas Oppermann selbst“, so Rolf-Georg Köhler. Aber dieser hatte sich entschieden, 2021 nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren. „Das heißt, die meisten Projekte, die er begleiten wollte, hat er wahrscheinlich zu Ende gebracht, denn er hat sehr zielorientiert gearbeitet.“
Oppermann habe die Region durch sein politisches Handeln geprägt, betont Güntzler. „Ich habe wirklich geschätzt, dass er voller Ideen war und diese zielstrebig, pragmatisch und ergebnisorientiert verfolgt hat. Diese seine politische Durchschlagskraft wird mir fehlen.“ Gerade, wenn es in Berlin um die großen Summen geht, werde es für Güntzler alleine deutlich schwieriger: „Der Ansprechpartner bei der SPD fehlt mir künftig. Früher haben wir uns regelmäßig unter vier Augen abgestimmt, dann hat jeder seine Kontakte angerufen – dieses Spiel geht nicht mehr.“
Für die SPD wird es nicht leicht sein, Oppermann zu ersetzen – er hat gegen den Bundestrend der SPD das Direktmandat geholt und wird fehlen, wenn es um die Einarbeitung eines Nachfolgers geht. Für die Region wird es noch schwieriger. Mit Oppermanns Tod hat Südniedersachsen seinen wichtigsten Fürsprecher im Bundestag verloren.
Und selbst nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament hätte er noch über informelle Kontakte verfügt. „Seine Stimme hatte Gewicht“, so Bernhard Reuter. „Nicht aufgrund von Machtfunktionen, sondern aufgrund des Vertrauens, das er genossen hat. Mit ihm haben Göttingen und Südniedersachsen in der ersten Bundesliga gespielt. Das können andere nur schwer kompensieren.“