Alle Hände voll zu tun

Seit ihrem ersten Training im Jahr 2005 hat die Göttingerin Jennifer Crowder eine beeindruckende Basketballkarriere hingelegt. Mit der Leidenschaft und dem Ehrgeiz, den sie von ihrer Großmutter geerbt hat, möchte sie ihren Traum von den Olympi­schen Spielen in Paris verwirklichen. Abseits des Courts arbeitet sie an einer Karriere als Anwältin – und für mehr Aufmerksamkeit für den Frauenbasketball. 

ZUR PERSON
Jennifer Crowder (Jahrgang 1996), spielt seit dem Jahr 2005 Basketball, davon die meiste Zeit bei der BG 74 Göttingen. Als Jugendspielerin wurde sie im Team des Trainerpaares Sonja und Hans Schoen in der Altersklasse U15 deutsche Meisterin. Bereits als 15-Jährige schaffte sie den Sprung in das BG Damenteam (damals 2. Bundesliga). Nach dem Abitur im Jahr 2014 verließ sie Göttingen Richtung
Hessen, wo sie beim Bundesligisten BC Marburg und mit Doppellizenz beim Zweit­ligateam Bender Baskets Grünberg aktiv war. 2015 kehrte sie nach Göttingen zurück. Seither ist sie Spielmacherin des BG-Teams (heute Medical Instinct Veilchen), das in der abgelaufenen Saison trotz eines der niedrigsten Etats der Liga den Klassenerhalt in der Bundesliga schaffte. Neben dem Sport studierte Crowder Philosophie und Rechtswissenschaften an der Universität Marburg. Nach den bestandenen Examina erhielt sie am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Kartellrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Voraussichtlich im kommenden Jahr wird sie ihre Promotion abschließen. 

Jennifer Crowder kann sich noch genau an den Tag erinnern, an dem sie zum ersten Mal zu einem Basketballtraining ging. „Das war am 5. April 2005.“ Ihre inzwischen verstorbene Großmutter Helga Steinert, die selbst erfolgreich Basketball gespielt hatte, begleitete sie damals zum ersten Training. „Das begann um 16 Uhr 15“, sagt Crowder und muss über die Genauigkeit der Zeit­angabe selbst lächeln. „Mein Zahlengedächtnis ist ziemlich gut“, sagt die heute 28-Jährige. Dieses erste Training vor fast 20 Jahren sei ihr vor allem deswegen in Erinnerung geblieben, weil sie als Neuling von der Trainerin gleich eine besondere Aufgabe bekam: „Zum Trainingsschluss musste ich die rituellen Abschiedsworte rufen“, sagt Crowder. Das durfte damals immer das Kind machen, das als nächstes Geburtstag hatte. Und das war an diesem Tag sie. Denn wenige Tage später, am 10. April, wurde Jenny neun Jahre alt.

Schon zwei Monate nach dem Start hatte die sportliche Karriere der Jungbasketballerin ein erstes Highlight: Ihr Team nahm am traditionellen Miniturnier der BG 74 teil. Welche Trikotnummer sie damals trug, weiß Crowder heute nicht mehr. „Ich habe mir irgendein Hemd aus der großen Tüte der Trainerin gegriffen.“ Doch bei der anfänglichen Beliebigkeit der Trikotnummer blieb es nicht: Schon bald entdeckte Jenny die Nummer 7 für sich. „Das ist die Nummer, mit der meine Oma jahrelang gespielt hat“, sagt Crowder. Mit der ,7‘ spielt sie bis heute. Hinzu kam, „dass die älteren Jungen mir den Ball nie zugepasst haben“. Basketball habe sie deswegen schnell wieder aufgegeben. Mittlerweile, meint Crowder, können Kinder aber durchaus mit sechs oder sieben Jahren beginnen, Basketball zu spielen. Denn heute könne man in fast allen Hallen die Körbe herunterkurbeln. „Und es gibt auch kleinere, leichtere Bälle als früher.“

An diese allerersten, eher unschönen Basketballerlebnisse denkt Crowder aber nur noch selten. Beim Thema Basketball geht ihr derzeit eher Erfreuliches durch den Kopf: die Olympischen Spiele, die Ende Juli in Paris beginnen. Crowder hofft nämlich, dass sie als Aktive dabei ­sein kann. Ob es tatsächlich so weit kommt, sei aber noch offen. 

Fest steht: Crowder gehört zum Kader der Spielerinnen, die Ende Juni mit dem gemeinsamen Training für die Olympischen Spiiele beginnen werden. Dieser 20-köpfige Kader werde dann schrittweise verkleinert, sagt die Aufbauspielerin. Am Ende bleiben zwölf Frauen übrig. Die Chance, dabei zu sein, beziffert Crowder mit etwa 50 Prozent. Sie sei jedenfalls körperlich fit und mental gut auf das Turnier vorbereitet. Und: Sie will in der Vorbereitungszeit 100 Prozent geben, um in Paris für Deutschland aufzulaufen. „Für mich ist es immer toll, Teil der Nationalmannschaft zu sein.“ 

Falls es mit der Olympiateilnahme nichts werden sollte, wäre das für Crowder zwar eine Enttäuschung, aber nichts, was sie aus der Bahn werfen würde. „Entweder ich fahre nach Paris, oder ich mache Urlaub.“ 

Trotz der Vorliebe für Basketball möge sie auch an­dere Sportarten, sagt Crowder. So habe sie vor einiger Zeit das Bouldern für sich entdeckt. Die Kletterei mache ihr viel Spaß und fache ihren Ehrgeiz an. Mit viel Einsatz spiele sie auch regelmäßig Tischtennis gegen ihren Vater Richard. Ihr Ehrgeiz bekomme dabei aber genauso regelmäßig einen Dämpfer: „Denn obwohl er eigentlich von Haus aus Fußballer ist, spielt er viel besser Tisch­tennis als ich.“ 

Sich selbst charakterisiert sich Crowder als „super­ehrgeizig“. Sie gebe „immer Vollgas“. Dabei fühle sie sich aber auch verantwortlich für das Team. Das liege nicht zuletzt an ihrer Rolle als Aufbauspielerin. Dabei stehe sie stets in engem Austausch mit BG-Trainerin Ruzica Dzankic, für die Crowder nur lobende Worte findet. „Wir tauschen uns aus, was den Trainingsaufbau und die Taktik angeht. Das klappt gut.“ Dzankic mache einen Superjob. Sie sei innerhalb kürzester Zeit aus der Rolle als Spielerin der BG in die Rolle der verantwortlichen Trainerin hineingewachsen. 

Sie fühle sich in ihrer Rolle sehr wohl, sagt Crowder. „Für mich ist es irgendwie normal, als Aufbauspielerin die Chefin auf dem Feld zu sein.“ Es liege ihr, ein Team zu führen. „Ich glaube, dass mein Charakter das hergibt.“ Und: „Point Guards müssen sagen, wo es langgeht.“ Diese Rolle, die viel Verantwortung mit sich bringt, nehme sie gerne an.

Wichtig ist es Crowder aber auch zu betonen, welch bedeutende Rolle die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, Trainerinnen und Trainer für die Nachwuchs- und Jugendarbeit der BG spielen. Auch sie versuche an dieser Stelle, etwas beizutragen. Sie kümmere sich, soweit dies zeitlich möglich ist, um das zweite Frauenteam, in dem junge Talente entwickelt werden sollen. „Vor allem beim Individualtraining versuche ich, so viel mitzuwirken, wie es geht“, sagt Crowder.

Trotz der wichtigen Rolle, die Basketball für sie spiele, sei der Sport aber nicht alles im Leben der 28-Jährigen, die einen Hochschulabschluss in Philosophie besitzt und ein Jurastudium abgeschlossen hat. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl der juristischen Fakultät arbeitet sie derzeit an ihrer Promotion zum Thema ,Regulierung institutioneller Investoren seit der Finanzkrise‘. Zahlen bleiben also ihr Ding. Mittelfristig strebt sie eine Karriere als Rechtsanwältin an.

Es sei zwar bisweilen schwierig, Leistungssport, Ausbildung und Beruf unter einen Hut zu bringen, sagt Crowder, „aber es ist möglich, jedenfalls in Göttingen.“ Die Spielerinnen der BG haben montags frei, von Dienstag bis Freitag trainieren sie nur abends, dazu am Samstagvormittag. Die Spiele finden zumeist am Sonntag statt. 

„Wenn ich bei einem Team wäre, das auch europäisch spielt und man dann unter der Woche reisen muss, wäre das mit der beruflichen Karriere kaum zu vereinbaren“, sagt Crowder. Ihr sei es jedenfalls grundsätzlich wichtig, nicht nur im Sport, sondern auch im Beruf voranzukommen. Hintergrund: „Im deutschen Frauenbasketball gibt es zwar einige Vereine, die so viel zahlen, dass die Spielerinnen ihren aktuellen Lebensunterhalt davon bestreiten können“, üblich seien in der Frauen-Bundesliga allerdings nur Saisonverträge über acht Monate. Auf den ersten Blick könnten diese 3.000 Euro netto pro Monat als „ganz komfortabel“ erscheinen. „Aber was macht man ohne Ausbildung dann mit 35 Jahren, wenn die Karriere beendet ist?“ Und ohnehin: „In Göttingen wird deutlich weniger gezahlt als bei den meisten anderen Clubs.“ Für sie sei es jedenfalls richtig, Basketball und Beruf zu kombinieren. 

Das sei umso wichtiger, als Basketball eine sehr verletzungsträchtige Sportart sei, sagt Crowder. Sie selbst habe schon mehrere schwere Fuß- und Knieverletzungen erlitten. „Linker Fuß und rechtes Knie sind wohl dauerhaft beeinträchtigt.“ Mehrere Nasenbeinbrüche erwähnt sie nur am Rande. Überhaupt sei Basketball in den vergangenen Jahren immer härter geworden, sagt Crowder. 

3×3 macht BasketBaller populärer

Hart zur Sache geht es bisweilen auch bei den in jüngster Zeit immer beliebteren Turnieren im ,Drei-gegen-­drei-Basketball‘, an denen sie in den vergangenen Jahren außerhalb der eigentlichen Bundesligasaison wiederholt teilgenommen hat. „Drei gegen drei auf einen Korb macht viel Spaß. Es ist ein rasantes Spiel.“ Man müsse viel schneller Entscheidungen treffen als im herkömmlichen Basketball. „Das macht viel Spaß.“ Zudem könnte es helfen, den Sport populärer zu machen. „Ich habe schon gesehen, dass ein solches Feld am Berg und auf dem Wasser aufgebaut wird“, sagt Crowder, die gerade erst ein Turnier in Thailand gespielt hat. 

Deutlich weniger Freude hat Crowder, wenn es um die öffentliche Beachtung des Frauenbasketballs in Deutschland geht. „Im Fernsehen findet er so gut wie nicht statt“, kritisiert die 28-Jährige. Und selbst in einer Basketball-Stadt wie Göttingen fänden die Männer deutlich mehr Beachtung als die Frauen. In anderen Ländern, etwa in Spanien, sei das anders. Sie würde sich jedenfalls freuen, wenn Sportfans, die noch nie beim Frauen­basketball waren, mal zu einem Bundesligaspiel ihres Teams in die FKG-Halle kämen, um sich persönlich ein Bild zu machen. Dafür möchte sie einstehen und vorneweg gehen. Unabhängig von einer möglichen Olympiateilnahme werde der Basketball einen hohen Stellenwert in ihrem Leben behalten. Denn: „Ich liebe das Spiel als Wettkampfsport im Team. Es ist cool, Teil einer Mannschaft zu sein.“ ƒ

Fotografie Alciro Theodoro da Silva
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