Göttinger Studenten gründen Tattoo-Start-up

Die Göttinger BWL-Studenten Michael Noack und Melvyn Wittwer vertreiben mit Inkster wasserfeste Zwei-Wochen-Tattoos – ihre Erfolgsgeschichte hingegen ist langfristig angelegt.

Darüber, wie sie sich kennengelernt haben, schmunzeln Melvyn Wittwer und Michael Noack nur. Stichwort: Orientierungsphase, die ersten Tage im Studentenleben. Sagen wir es so: Die Erinnerung ist verblichen. Womit wir beim eigentlichen Punkt wären. Verblichen wie ein Tattoo von Inkster. Der Marke, die die ehemaligen Betriebswirtschaftsstudenten der Georg-August-Universität Göttingen erst Anfang 2021 gegründet haben und die mittlerweile einen Umsatz von 400.000 Euro generiert. Monatlich, versteht sich.

Während ihres Auslandssemesters 2018 im kalifornischen San Diego haben die beiden Surferboys im Modul ,Business Plan & Development‘ die Aufgabe, eine Geschäftsidee zu entwickeln und den passenden Plan dazu zu erstellen. Zur gleichen Zeit überlegt Wittwer, sich ein Tattoo stechen zu lassen. Motiv? Unklar. „Ich dachte, es wäre cool, mal eines zur Probe zu tragen“, sagt er. Also recherchiert der 27-Jährige, was sich an temporärer Körperkunst finden lässt – und stößt auf die Jagua. Eine Frucht aus dem südamerikanischen Dschungel, deren tintenähnlicher Extrakt die erste Hautschicht färbt.

Zweiter Platz beim Lift-Off-Wettbewerb 2020

Zurück in Göttingen, wo die Freunde bis 2020 noch studieren, analysieren sie, ob sich daraus ein Business erschaffen lässt, und kommen zu dem klaren Urteil: Ja. Und sie sollen recht behalten. Zunächst baut Noack nur einen Instagram-Kanal mit Inspirationsmotiven auf, der in kurzer Zeit auf 100.000 Abonnenten anwächst. Beim Lift-Off-Gründungswettbewerb 2020 der Universität räumen die beiden nur kurze Zeit später den zweiten Platz in der Kategorie Gründungspotenzial sowie den Publikumspreis ab.

Einige Monate darauf gründen Wittwer und Noack – die übrigens jeweils zwei echte Tattoos haben – schließlich mithilfe eines Stipendiums der Universität, finanziert durch die NBank, eine GmbH, um Büroflächen zu bezahlen und Lebenshaltungskosten zu decken. Sie sparen nicht an den falschen Stellen. Eine Kosmetikzertifizierung – selten bei temporären Tattoos – liegt vor, eine Agentur berät das Duo beim Marketing.

Im Juni 2021 beginnt der Verkauf der ersten Produkte. Zunächst wird den Kunden eine Tube mit der Jagua-Tinte nebst Schablone geliefert. Der Umsatz in Monat eins: 10.000 Euro. „Das hat uns mächtig stolz gemacht“, sagt Noack. Die ersten 330 Motive dafür – zeichnen die beiden selbst. Nach nur zwei Monaten stellt Inkster – der Name leitet sich vom englischen Wort ,ink‘ für Tinte ab – den ersten Mitarbeiter ein, mittlerweile sind es acht, überwiegend Werksstudenten, darunter eine Designerin, die die Abziehbildchen entwirft. Abziehbildchen? Korrekt. Im April dieses Jahres wurde die Produktpalette weiterentwickelt, jetzt werden Abziehtattoos verkauft. „Die sind deutlich weniger fehleranfällig und so einfach wie Kindertattoos, nur in der Haut statt darauf“, erklärt Wittwer. Bis zu zwei Wochen halten die Kunstwerke, die zwischen drei mal drei und sechs mal zehn Zentimetern groß sind, bei guter Pflege. Inzwischen gibt es erste Kopierer der Idee, was die Unternehmer nicht besorgt, sondern auf ihrem Weg bestätigt.

Göttinger Start-up zieht nach Hamburg

Den Geschäfts und Lebensmittelpunkt haben die Gründer nach Hamburg verlegt. Eine persönliche Entscheidung mit beruflichen Vorteilen. „Hier sind wir ein Start-up unter vielen und profitieren von der lokalen Expertise“, sagt Wittwer. Das Unternehmen setzt ausschließlich auf Onlinehandel. „Leichter skalierbar.“ Die enorme Produktauswahl wäre im stationären Handel schwierig zu handhaben.

Die Kunden kommen hauptsächlich aus dem deutschsprachigen Raum, sind in der Regel 35 Jahre und älter – und zu rund 75 Prozent weiblich. Daran orientieren sich auch die minimalistischen Motive. „Individualisierung ist ein großes Ding dieser Tage. Unsere Tattoos sind zum Accessoire zur Kleidung geworden. 30 Prozent der Käufer erwerben sie vor ihrem Urlaub, um sie dort zu tragen“, erläutert Noack. Bestseller sind Herzen aller Art sowie Schmetterlinge. „Das Herz ist ein emotionales Tattoo, was besonders den Frauen unserer Zielgruppe zu gefallen scheint“, so Wittwer mit strahlenden Augen.

Eine Ausweitung des Geschäfts auf den europäischen Markt ist derzeit noch nicht geplant. „Die sprachliche Hürde, Logistik, Werbung, Customersupport und den Onlineshop aufzubauen, ist sehr groß“, sagt der 26-jährige Noack. Die nächsten Ziele der jungen Firma sind stattdessen die kontinuierliche Erweiterung der Produktpalette, die Verbesserung des Designs sowie die Schärfung des Markenbildes. „Wir wollen Inkster hipper machen. Es wird viele Nachahmer geben. Wichtig ist, dass die Leute wissen, dass wir das Original sind. Wie bei Coca Cola und Pepsi“, sagt Wittwer. Und da der Verkauf häufig über die sozialen Medien, vornehmlich Instagram und Facebook, funktioniert, soll auch TikTok erschlossen werden. „Und Amazon wollen wir knacken“, schiebt der Gründer nach. Schwierigkeiten besaßen bislang Seltenheitswert. Ab und an gerät die Liquidität an ihre Grenzen. Aber das sind Luxusprobleme.

Für Investoren sind der in Salzgitter geborene Wittwer und der in Husum aufgewachsene Noack zwar grundsätzlich offen, konnten bislang aber auch wunderbar durch den eigenen Cashflow organisch wachsen. Auch ein Verkauf des Unternehmens sei langfristig nicht ausgeschlossen. „Die Struktur ist so gebaut, dass ein Verkauf möglich wäre“, berichtet Wittwer. Allerdings schieben die beiden das noch auf die lange Bank. Zu viel Freude bereiten ihnen Arbeit und Zusammenarbeit. „Sollten wir einmal verkaufen und auf eine andere Geschäftsidee kommen, bietet es sich schon an, weiter als Duo zu arbeiten, weil wir uns bestens verstehen und unsere Stärken und Schwächen gut kennen“, erklärt Noack, der seine Expertise überwiegend im Marketing hat, während sich sein Partner primär um die Unternehmensführung kümmert. Was das nicht heißen soll: dass die beiden gerade wieder in einer Orientierungsphase sind. Ihre Liebe für Inkster ist noch lange nicht verblichen. ƒ

Foto: Marvin Contessi
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