Irischer Künstler mit geheimnisvoller Technik

„Meine Sprache ist wie Musik sie ist aus Licht, Farbe, Textur.“ Auf diese müsse sich der Betrachtende einlassen.

Rund um den Globus findet die vielschichtige Kunst des Göttingers Fintan Whelan zahlreiche Abnehmer. Mit seinen Werken taucht er ein in die Farben seiner irischen Heimat und bringt die Welt zum Leuchten.

Hineinsinken, sich vertiefen ins Blau der Bilder. Eintauchen in glatte Flächen, in denen sich der Himmel zu spiegeln scheint. Doch lauern auch graue Strudel, schwarzblaue Untiefen, die einen hinabziehen können in einen raumlosen Ort. Und plötzlich, ja abrupt, endet das Blau mit einer scharfen Kante. Ab hier ist alles weiß, so rein, ohne jeglichen Makel. Die Welten des Malers Fintan Whelan bieten Ausflüge ins Unbekannte. Mag ihr Blau auch die Farbe des Himmels, des Meeres und der Ferne sein – sie sind etwas anderes. Haben ihre eigenen Geheimnisse. Die bewahrt der Maler sorgsam bedacht vor zu vielen neugierigen Blicken.

Auch, wenn sich die Tür seines Ateliers in einer der schmalen Gassen Adelebsens öffnet. Mit gastfreundlichem Lächeln bittet er hinein, an einem schwülen und heißen Samstagnachmittag. Gewährt Einblick, wo diese ungewöhnlichen Bilder mit ihren Marmorierungen, Schlieren, Strudeln auf weißen Flächen entstehen. Das Fachwerkhaus von 1910 ist nicht sein neuer Wohnsitz oder gar ein Sommerhaus zum Vergnügen. „Es ist ein Haus für Kunst“, erzählt Fintan Whelan wenige Schritte nach dem Eintreten in den schmalen langen Flur. Mit seiner Frau Gabi und den zwei Töchtern wohnt er weiterhin im 20 Minuten entfernten Göttingen.

Der 1967 in Dublin geborene Maler schlägt eine Hausführung vor. Bald zeigt sich, was er meint: Die kleinen Räume links und rechts des Flurs sind keine Wohnoder Schlafräume – sondern Magazine. Dort lehnt sich Keilrahmen an Keilrahmen, einige sind so groß wie ein Mann, andere handlich auf Armlänge, wieder andere rund wie eine Scheibe. Von manchen ist nur die cremefarbene Rückseite der Leinwand zu sehen. Ein wenig von ihren Farben lässt sich erhaschen, vom Blau, Violett, Rot und Grau.

Ein Haus für Kunst in Adelebsen

„Platz ist mir wichtig“, sagt Whelan und steigt mit raschen Schritten die Treppe zum Obergeschoss hinauf. Das sei der Grund gewesen, das Atelier vor ein paar Jahren von Göttingen nach Adelebsen zu verlegen und das Haus zu kaufen. Auch das Obergeschoss mit seinen schmalen Zimmern dient nun seiner gegenstandslosen, abstrakten Kunst, beherbergt Holzlatten für Rahmen und Verpackungsmaterial. Selbst unter dem Dach in brütender Hitze wartet Material auf seinen Einsatz. Zurück im Erdgeschoss bleiben noch drei Räume, darunter die Küche. Durch einen schmalen Türrahmen öffnet sich der erste Atelierraum. Auf einem großen Tisch in der Raummitte liegt eine dicke, gepolsterte graue Tischdecke. Unter dem Tisch stehen wohlgeordnet Werkzeuge wie Spachtel, Pinsel und Lasuren. „Das ist der Packraum“, erklärt der Künstler. Hier werden die Bilder für den Transport in alle Welt vorbereitet. Teils, weil Sammler sie im Internet gesehen und selbst in Australien bestellt haben – bei seiner Agentur finden sich je nach Größe Bilder von 300 bis hin zu 12.000 Euro. Teils, weil sie für Ausstellungen und Kunstmessen auf Reisen gehen.

Fintan Whelan hat bereits in vielen Ländern ausgestellt, vorwiegend in Irland, Großbritannien und Deutschland. In wenigen Wochen geht es wieder nach Los Angeles. Alles hat Whelan geordnet wie in einer Manufaktur, jeder Raum hat seine Aufgabe – vom Dachboden bis zur Terrasse. Auch seine Frau hilft mit, spannt Leinwände, fotografiert die fertigen Werke für die sozialen Medien. Einzig der kniehohe Hund Cachi mit schwarz-weiß gelocktem Fell hält sich nicht an Regeln. Vielleicht liegt es an seinem Straßenleben im spanischen Sevilla noch vor zwei Jahren. So vertreibt er denn die Stille rund um das Haus im Garten mit seinem kräftigen Bellen. Whelan verrät, dass der Rüde ab und an seinen Kopf auf die Leinwand am Boden legt. Und er muss dann zum Pinsel greifen und all die Flecken wieder ausbessern. Doch auch ohne Cachis Schnauzenabdruck erhalten die kleinen Formate im Packraum eine letzte aufwendige Korrektur, berichtet der Mittfünfziger: Jeden noch so kleinen Farbspritzer auf den weißen Flächen der Bilder tilgt Whelan mit einem feinen Pinsel.

Fintan Whelan gibt seine Technik nicht preis

Doch wie entstehen diese außergewöhnlichen Bilder? Wie kommt die Farbe auf die Leinwand, wie entstehen die wirbelnden Farben, die mit ihrer Leuchtkraft manchmal gar an Seidenstoffe erinnern? Das mag der Künstler nicht zeigen, nicht verraten. Zu viele wollten seine Technik imitieren, ihn erreichten regelmäßig Anfragen in diese Richtung. Auch Malkurse lehne er deshalb regelmäßig ab. Was daher im zweiten, hinteren Atelierraum geschieht, wissen einzig Eingeweihte, der Künstler und seine Frau. Der fremde Betrachter fühlt sich daher wie in einem Rätsel angekommen, inmitten eines lang gezogenen Raums mit großen Fenstern mit Blick auf die Burg Adelebsen. Auf dem Fußboden liegt eine große Kunststoffplane ausgebreitet, auf der schon einige blaue, schwarze und türkise Farbflecken zu sehen sind. Eine fast zwei mal zwei Meter große weiß grundierte Leinwand liegt darauf. Vier niedrige Füße erheben sie wenige Zentimeter vom Boden. Whelan muss dort hinunter, um mit seiner Arbeit zu beginnen. Tag für Tag, in der Regel immer an der Kante mit Blick auf die Tür zur Terrasse. So wirkt er sportlich in seinem dunkelblauen Poloshirt. Auf einem kleinen Tischchen stehen einige Pigmente, darunter für Kobaltblau, ein sattes Himmelblau. Whelan gesteht, er sei „wie verliebt in diese Farben“. Neben Blau sind die Erdtöne, Orange und Rot.

Ein wenig zur Technik verrät schließlich doch: Wichtig für die Leuchtkraft sei die Grundierung, die er mit einer Malerrolle auf die Leinwand bringt. Sie wird quasi versiegelt, sodass sich die später aufgebrachten Farben nicht mit dem Weiß mischen. Jeder, der einmal einen Tuschkasten hatte, ahnt warum: Farben mit Weiß gemischt werden heller, pastelliger, matter. Das wäre der Leuchtkraft der Farben daher abträglich. Zweifellos werden die Pigmente mit verschiedenen Flüssigkeiten, Emulsionen aufgelöst. Zu Beginn gleicht jedes Bild einem kurzen Experiment, so Whelan, wenn die Farbe auf die Fläche trifft. Dann aber greift er ein, bewegt die Leinwand hin und her, gestaltet. „Viel Konzentration ist nötig“, sagt der Künstler. Bei den riesigen Formaten nutzt er eine Montageplattform, die wie ein ungefähr auf zwei Meter verlängerter Tritt aus Metall aussieht. Auf einem der Fotos seiner Webseite lässt sich erahnen, wie Whelan mit dieser arbeitet: Er liegt mit dem Bauch auf der Plattform und tupft mit einem Tuch überschüssige Farbe von der Bildmitte auf.

Whelans Werke sind bei der Biennale di Venezia zu sehen

Vier bis fünf Farben kommen Schicht für Schicht hinzu. Während eine trocknet, widmet sich der Künstler anderen Werken. Was auch sinnvoll sei, entstehen sie doch oftmals in Serien, wie aktuell zu sehen im Palazzo Bembo während der Biennale di Venezia. Dort hängen acht Leinwände von zwei mal anderthalb Metern, alle in Blau-Türkis-Tönen in der Ausstellung. In ihnen stecken ein halbes Jahr Arbeit, verrät Whelan. 15 bis 16 Bilder hätten es hingegen nicht nach Italien geschafft. Ob er auch einige Werke nicht abschließe, aufgebe? Whelan bejaht, schließlich müsse er mit dem Bild zufrieden sein – da mache er keine Kompromisse. Keines gelänge aus seiner Sicht komplett, immer sei es mehr eine Annäherung an die Perfektion. Verzweifeln lasse ihn das nicht. „Ich sage mir, das nächste Mal wird es besser.“ Viele Bilder verweilen daher in einem Zwischenstadium, hängen an den Atelierwänden, damit Whelan sie betrachten kann, oftmals gar eine halbe Stunde – um herauszufinden, wie er die Komposition verbessern kann. Seine Kunst sei daher keine schnelle Kunst. Nicht immer taucht er dabei in die Stille hinab. Auf dem Fensterbrett im Atelier liegen stapelweise CDs. Gerade ist es eine Mischung von Irish Folk, Marianne Faithfull, Leonard Cohen oder Tom Waits. Viele wollten seine Kunst verstehen, sagt Whelan und klingt ein wenig unzufrieden. Eine einfache Beschreibung, eine Übersetzung, würde das Geheimnis der Bilder zerstören.

Der Weg zu diesem ganz eigenen künstlerischen Ausdruck begann vor über zwanzig Jahren in Spanien. Nach seinem Kunststudium in Dublin arbeitete Whelan ein paar Jahre in einem Verlag. Mit der Zeit fühlte sich das für ihn immer mehr nach Enge, Routine an. Er zog ins spanische Granada, mietete ein altes Haus in den Bergen in einem Ort mit 500 Einwohnern und begann wieder zu malen. Das Licht, die Stille und der Platz hätten ihm den Neuanfang ermöglicht. Nach sechs Jahren habe er dann seine erste Einzelausstellung in Spanien gezeigt. Vielleicht spielte auch die Liebe eine Rolle: Mit Gabi, die es als Biologin bei der Max-Planck-Gesellschaft zunächst nach Hannover, 2006 dann nach Göttingen verschlug, beschloss er, eine Familie zu gründen. Dieser und der Kunst gehören seitdem sein Leben. Was sich im Laufe der Jahre gewandelt habe in seinen Bildern? Whelan überlegt. Er konzentriere sich auf wenige Farben, früher seien seine Werke bunter gewesen. Aktuell sind sie fast nur blau, grau, violett und sandfarben, teils finden sich silberne Details. Die Bilder tragen Namen wie ,Zirkel der Gefühle‘, ,Himmelsfigurationen‘ oder ,reisendes Licht‘. Er würde seinen Stil als organisch beschreiben, mit Wachstum und Bewegung.

Und warum gerade das Blau wie das Wasser? Das lasse ihn an seine Heimat denken, sagt Whelan und lächelt: „Es erinnert mich an meine Kindheit in Irland, wo der Himmel ständig wechselte.“ Dazu komme Wasser nach dem Regen, wenn alles nass sei. Nicht nur das Meer habe dieses tiefe Blau. In der kommenden Woche werde er all dieses nach zwei Jahren Pandemie wiedersehen. Blau kann schließlich auch die Farbe der Ferne und der Sehnsucht sein. ƒ

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