Der Logistik-Stau passiert vor der Haustür: Wenn sich hier den Tag über die verschiedenen Paketdiensttransporter die Klinke in die Hand geben, wird das Problem ersichtlich. Noch schwieriger ist die Situation in der Fußgängerzone, die eigentlich nur in einem kleinen Zeitfenster von Lieferwagen befahren werden darf – ein Fenster, das aber bei Weitem nicht mehr ausreicht. Es ist das Problem der ,letzten Meile‘ – ein Fachbegriff aus der Logistik, der den Verkehrs- und Organisationsaufwand beschreibt, der im Lieferverkehr auf dem Weg vom lokalen Distributionszentrum bis zur Anlieferung anfällt. Hier entstehen zudem die meisten Fahrt- und Personalkosten. Nach Lösungen für die letzte Meile wird schon lange gesucht – derjenige, der eine davon gefunden hat, heißt Felix Dossmann. Seine 2022 gegründete Grünfuchs Logistik GmbH ist seit diesem Sommer unterwegs – und das für alle Kunden sichtbar.
Dossmann blickt auf reichhaltige Unternehmens- und Gründungserfahrung zurück. Der gebürtige Iserlohner bekam das quasi mit in die Wiege gelegt: Sein Vater hatte bereits eine Softwarefirma im Bereich Druck und Verpackung gegründet, in der Felix Dossmann schon früh mitgearbeitet hat. „Ich hatte mir allerdings geschworen, selbst nie Unternehmer zu werden“, erzählt Dossmann und lacht herzlich auf. Dass es doch anders kam, passierte nebenbei.
Während des Studiums in Göttingen arbeitete er am Wirtschaftsinformatik-Lehrstuhl und bekam darüber einen Praktikumsplatz bei Bertelsmann. Dort war Dossmann unter anderem für New Media Development bei einem Bertelsmann-Start-up zuständig und wurde dafür als Chief Technical Officer nach New York geschickt. „Ich war damals 22. Das war alles sehr spannend, aber ich habe mich dann doch dagegen entschieden, bei dem Start-up zu bleiben. Ich wollte mich lieber selbstständig machen.“
Felix Dossmann: Von Start-up zum Unternehmensberater
Daraus resultierte die Gründung der DFF Solutions, die das Ziel verfolgte, das Papier im Auslieferungsprozess abzuschaffen. Die Idee zündete und hatte Erfolg, große Kunden wie die Metro und zahlreiche große Lebensmitteldiscounter nutzten das System – bis heute. „Aus Göttingen heraus wurden wir der Marktführer im Lebensmittelbereich für dieses System“, erklärt Dossmann. Am Ende hatte die Firma rund 40 Mitarbeiter. „Doch die Konzepte kamen weiterhin nur von mir.“ Es war absehbar, dass es mit einem deutlich professionelleren Personalmanagement weitergehen musste – also entweder mit einem Partner oder mit einer veränderten Rolle für ihn selbst. „Ich habe damals festgestellt, dass ich in großen Unternehmen einfach nicht so gut funktioniere, und habe deswegen die Firma verkauft.“ Er blieb noch einige Zeit danach als Director of Operations im Unternehmen, verließ es aber 2018 endgültig – mit einem Wettbewerbsverbot in der Logistik für die kommenden zwei Jahre.
Ich durfte zwar nicht in der Logistik tätig sein, aber Gedanken über entsprechende Konzepte durfte ich mir natürlich machen“, erzählt Dossmann. Zunächst begleitete er als Berater andere Unternehmen unter anderem bei der Prozessdigitalisierung und -analyse, bis er 2021 zusammen mit einer Geschäftspartnerin die boldly GmbH gründete – ein Unternehmen, das gezielt Start-ups scoutet, fördert und in sie investiert. Den Namen hatte sich Star-Trek-Fan Dossmann vom Leitspruch der Serie geliehen: to boldly go, where no one has gone before – mutig dorthin zu gehen, wo noch niemand zuvor war. Das Steckenpferd Logistik hat Dossmann allerdings nicht losgelassen. „Man muss nur aus dem Fenster gucken und sieht jeden Tag die ganzen Paketdienste vorfahren. Zwei Jahre habe ich letztlich an der Idee getüftelt, wie man diesen ganzen Aufwand reduzieren kann.“
Grünfuchs sammelt Pakete aller Zustelldienste
Er stimmte sich mit ProCity ab, ein interfraktioneller Ratsantrag ebnete den Weg. Herausgekommen ist der Grünfuchs, der inzwischen im Gewerbegebiet von Elliehausen direkt an der A7 seine erste Sortieranlage für Pakete in Betrieb genommen hat: den SmartCity-Microhub. Die Idee ist von simpler Eleganz: Im Idealfall liefern alle großen Paketdienste – DHL, dpd, Hermes etc. – die Sendungen an das Verteillager des Grünfuchs. Dort werden die Pakete entsprechend sortiert, am Ende in kleine Lastenräder eingeladen und dann ausgeliefert. Im Ergebnis reduziert sich der Gesamtaufwand für die Paketzustellung erheblich: Derzeit beträgt die tägliche Fahrstrecke der Paketdienste durchschnittlich 3.500 Kilometer – allein in Göttingen.
Durch den Grünfuchs-Ansatz kann diese Wegstrecke um bis zu 67 Prozent reduziert werden, die Fahrzeit pro Ausliefertour halbiert sich und damit verringert sich auch die Größe der benötigten Zustellflotte. Daraus resultieren Konditionen, die es für Paketdienste attraktiv machen, für die letzte Meile auf Grünfuchs zurückzugreifen. Entsprechend laufen derzeit viele Gespräche. Dossmann geht derzeit davon aus, dass der Göttinger im Stadtgebiet ab Herbst eine deutliche Reduktion der Zustellfahrzeuge sehen wird – und die grün-weißen Lastenräder dafür sichtbar in Erscheinung treten werden.
Noch eine weitere Dienstleistung wird Grünfuchs anbieten, die von keinem der Paketdienstleister in dieser Form angeboten werden kann: Same day oder Next day delivery für den Einzelhandel der Stadt – Grünfuchs wird zum Abhol- und Lieferdienst für den lokalen Handel. Im Advent 2021 wurde das Prinzip schon in Kooperation mit dem Innenstadt-Einzelhandel angeboten und hat damit beim Kunden für Erstaunen gesorgt. In der Innenstadt an der Johanniskirche ist eine erste Annahmestelle für Pakete eröffnet worden. Der Kunde kann seine Einkäufe hier abgeben, die ihm später zugestellt werden – oder er lässt die Waren vom Geschäft selbst über den Grünfuchs nach Hause liefern. Zudem wird der Grünfuchs auch Retouren und Pakete entgegennehmen. „Wir sind letztlich so etwas wie ein mobiler Paketshop“, sagt Felix Dossmann.
Externe Lagerfläche für Göttinger Einzelhändler
Und noch ein Angebot für den lokalen Einzelhandel schwebt dem Unternehmer vor. Die Halle in Elliehausen ist 5.500 Quadratmeter groß, nur ein winziger Teil, etwa 250 Quadratmeter, werden für die Sortieranlage für die Pakete benötigt. „Einzelhändler brauchen verständlicherweise ein Lager, aber muss das bei denen im Gebäude ein ganzes Stockwerk einnehmen? Kleinere Händler könnten ihre Flächen besser nutzen, indem sie das Lager auslagern und trotzdem am selben Tag lieferfähig bleiben.“ Konkret kann beim Schuhhändler ein Modell anprobiert werden, wird jedoch eine andere Farbe gewünscht, liefert der Grünfuchs das entsprechende Modell in der richtigen Größe. Auch für Händler, die neu in den Onlinehandel einsteigen wollen, wäre das eine Option.
m Herzen des Geschäftsmodells schlägt neben einer leistungsfähigen KI-Infrastruktur und den logistischen wie ökologischen Vorteilen noch ein sozialer: Bei seinem Personal will Dossmann gezielt Menschen gewinnen, „die beruflich nicht so viel Glück hatten und denen wir eine Chance bieten können“, denn das Radfahren benötigt keine großen Qualifizierungen. Die Einbindung in die Weiterentwicklung der Unternehmensprozesse soll für jeden Mitarbeiter genauso gelten wie Weiterentwicklungsmöglichkeiten. „Wer sich bei uns langfristig verpflichtet, kann eine Qualifikation als Anlagentechniker, Fahrradmechaniker bis hin zum Lkw-Fahrer durchlaufen.“ Und weil die Räder ohnehin den ganzen Tag in der gesamten Stadt unterwegs sind, eignen sie sich auch als mobile Plattform für die Umweltdatengewinnung: Es werden unter anderem Lärm, Luftqualität sowie Erschütterungen und damit Informationen über Straßenschäden registriert und der Stadt zur Verfügung gestellt. Der Grünfuchs-Ansatz soll dabei nicht auf Göttingen beschränkt bleiben, sondern als Franchise-System auch andernorts verfügbar werden. Das Interesse für das deutschlandweite Letzte-Meile-Problem ist da: In Magdeburg und Leipzig wird das Konzept bereits eingesetzt. ƒ
Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Woher kommt der Name Grünfuchs?
Der Grünfuchs ist eine Figur, die Felix Dossmann mit seinen Töchtern für ihr selbst entwickeltes Spiel ,Pampomime‘ erfunden haben. Weil der Fuchs als schlaues Tier gilt und die Farbe Grün Ressourcenschonung und lokale Lieferanten symbolisieren soll, schlug eine Mit gesellschafterin Dossmanns das Tier dann als Logo und Namengeber für das neue Unternehmen vor, weil er auch gut für intelligente Nachhaltigkeit stehen kann. Von dem Ansatz überzeugt, gaben auch Dossmanns Töchter ihr O.K.
Der logistische Albtraum Paketzustellung
In einer mittelgroßen deutschen Stadt werden pro Tag rund 15.000 Pakete von verschiedenen Zustellern gleichzeitig ausgeliefert. Dabei werden etwa 3.500 Kilometer verfahren, 140 Fahrzeuge sind dafür im Einsatz. 8.000 Stopps für die Paketzustellung werden eingelegt. 1,86 Pakete werden pro Stopp ausgeliefert, ein Lieferfahrzeug fasst rund 130 Pakete, das ergibt 70 Stopps pro Tour, eine Tour dauert sieben Stunden. Was der Grünfuchs leisten kann: Bei einer gebündelten Zustellung von 15.000 Paketen pro Tag sind es vier Pakete pro Stopp, damit 3.800 Stopps und 1.600 verfahrene Kilometer.