Im Interesse der Belegschaft: Arineo wird unverkäuflich

Wenn Unternehmen florieren, kann es passieren, dass sie an Investoren verkauft werden. Für die Belegschaft kann sich dann abrupt vieles ändern. Weil der aufstrebende Göttinger IT-Dienstleister Arineo einen solchen Bruch mit unabsehbaren Konsequenzen verhindern will, beschreitet das Unternehmen einen ungewöhnlichen Weg: Die Belegschaft wird über eine Stiftung dauerhaft an Arineo beteiligt. Das soll die Firma unverkäuflich machen.

Wir wollen sicherstellen, dass die Mitarbeitenden das Firmenruder in der Hand behalten.“

 Arineo wächst: Seit der IT-Dienstleister mit Hauptsitz Göttingen im Jahr 2018 gegründet wurde, hat sich die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf fast 400 erhöht. Standorte gibt es mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Dänemark und China. Der Umsatz hat im Jahr 2022 erstmals 40 Millionen Euro überschritten. Tendenz: weiter deutlich steigend.

Wegen dieser Erfolgsgeschichte dürfte Arineo – wie viele agile Unternehmen aus der IT-Branche – längst das Interesse von Firmen-Aufkäufern geweckt haben. Eine Übernahme „durch wen auch immer“ komme für Arineo allerdings nicht infrage, sagt Marko Weinrich, einer von fünf Geschäftsführern. Denn: „Wir wollen, dass Arineo unverkäuflich wird.“

Um dieses Vorhaben dauerhaft abzusichern, wird die junge Firma Anfang 2024 als sogenannte Employee Owned Company (EOC) komplett in die Hände der Belegschaft überführt. „Die Arineo GmbH gehört dann einer Stiftung, die von den Mitarbeitenden gesteuert wird“, erläutert Weinrich. „Wir wollen damit sicherstellen, dass die Mitarbeitenden das Firmenruder in der Hand behalten. Wir sind überzeugt, dass die von uns erarbeitete, neue rechtliche Konstruktion klare Wettbewerbsvorteile bringt,“ sagt der promovierte Mathematiker. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) sprach jüngst bei einem Besuch des IT-Dienstleisters von einem spannenden
Projekt.

Wibke Jellinghaus ist Projektmanagerin bei Arineo, Mitglied der Geschäftsleitung sowie Vorsitzende des Mitte 2023 gegründeten Mitarbeitenden-Vereins. Mit dessen Hilfe, so erläutert sie, könne die Belegschaft das Unternehmen mittelbar kontrollieren, und zwar über den Vorstand. In diesem dreiköpfigen Gremium stellt die Belegschaft alle Mitglieder. Das wichtigste Ziel dieser Konstruktion sei es, eine Übernahme des Unternehmens durch Dritte zu verhindern.

„Dadurch, dass wir unverkäuflich sind, können wir Arineo in jedem Fall für die Mitarbeitenden erhalten“, erläutert Weinrich. Unabhängig davon sorge diese Unternehmenskonstruktion für einen Wettbewerbsvorteil. „Denn Gewinne müssen nicht an externe Dritte abgeführt werden. Sie verbleiben im Unternehmen.“

Weiterer Vorteil für die Belegschaft: „Wenn die Mitarbeitenden in der Verantwortung sind, dann werden sie immer so entscheiden, dass sie ihren Arbeitsplatz erhalten,“ sagt Weinrich.

Um die Firma dauerhaft stabil zu halten, sei es unmöglich, dass Mitarbeitende Anteile verkaufen, wenn sie das Unternehmen verlassen oder ins Rentenalter kommen. „Das wollen wir nicht“, sagt Weinrich. „Wir wollen nur, dass sie mitentscheiden können. Alleiniger Eigentümer des Unternehmens wird deshalb die Stiftung.“ Das Konzept sei ansonsten vergleichbar mit dem Konstrukt unverkäuflicher Stiftungsunternehmen wie Bosch, Zeiss oder ZF Friedrichshafen: „Unverkäuflich, unzerstörbar, langfristig orientiert.“

Als Employee owned Company habe Arineo eine extrem flache Hierarchie, sagt Wibke Jellinghaus. Das sei sehr attraktiv für die Mitarbeitenden. Die Fluktuation sei jedenfalls deutlich geringer als im Branchendurchschnitt. Das sei auch attraktiv für die Kunden, die sich nicht ständig auf neue Ansprechpersonen einstellen müssten.

Die Kunden: Das seien vor allem mittelgroße und große Firmen, denen Arineo auf der Basis von Microsoft- und SAP-Produkten maßgeschneiderte Softwaresysteme installiert. Weinrich: „Wenn ein Unternehmen zum Beispiel schnell wachsen will oder Prozesse verschlanken möchte und sich für ein Software-Produkt entschieden hat, braucht es zur Einführung jemanden, der das beherrscht. Und das machen dann wir.“ Das Wichtigste dabei: „Das sind die Mitarbeitenden. Und die wollen wir in jedem Fall binden.“

„Der wesentliche Unterschied zu den meisten anderen IT-Dienstleistern ist unsere Unternehmensorganisation“, sagt Jellinghaus. „Wir sind kollegial organisiert. Das ist eine Organisationsform, die wir uns selber gebaut haben. Bei uns gibt es keine klassischen Führungskräfte. Es gibt keine Chefs. Wir sind organisiert in Basisgruppen zu bestimmten Themen.“ Die Arbeit werde verteilt auf verschiedene Köpfe. Jellinghaus: „Es gibt natürlich nach wie vor Führungsarbeit und Führungsfragestellungen, zum Beispiel: Mit wem verhandele ich meinen Vertrag, mit wem bespreche ich mein Gehalt, mit wem meine Auslastung? Das ist aber auf verschiedene Personen verteilt.“ Wesentlich sei: „Entscheidungen werden von denjenigen getroffen, die die Expertinnen und Experten sind.“

In vielen Unternehmen sei es dagegen so, dass Entscheidungen „hochgetragen“ werden in der Hierarchie, bis sie dann von der Geschäftsführung gefällt werden, die zumeist weit weg von der eigentlichen Arbeit beim Kunden sei. „Und das halten wir für wenig sinnvoll“, sagt Jellinghaus. „Wir wollen die Entscheidungen dort treffen, wo sie benötigt werden.“

 Dabei könne es zwar auch Entscheidungen geben, die sich als falsch herausstellen, sagt Weinrich. „Aber aus
Fehlern wollen wir lernen.“ Wenn etwas erkennbar falsch gelaufen sei, versuche die Runde, die sich mit einer Aufgabe befasst, diese Entscheidung schnell zu korrigieren.

Und wenn das nicht funktioniert? „Wenn jemand dauerhaft Fehler macht und nicht daraus lernt, versuchen wir zu klären, ob er oder sie in einem anderen Bereich besser aufgehoben wäre“, sagt Weinrich. In Ausnahmefällen komme es auch zur Trennung. Diese Fälle seien aber sehr selten.

„Die Kunden schätzen es sehr, dass die Mitarbeitenden lange oder sogar dauerhaft bei uns bleiben“, sagt Jellinghaus. „Das ist gut für die Kunden und gibt uns einen großen Vorteil gegenüber Mitbewerbern.“ Eine solche über Jahre aufgebaute Vertrauensbasis sei mit Geld kaum aufzuwiegen.

Was es bei Arineo – anders als in vielen anderen Unternehmen der Branche – nicht gibt, sind Umsatzprämien. „Die sorgen nur für Ungerechtigkeiten“, sagt Weinrich. Denn mancher Umsatz sei ohne viel Mühe erzielt. In anderen Fällen müsse viel Arbeit und Energie aufgewendet
werden, ohne dass nennenswerte Umsätze generiert werden können. Die Mitarbeitenden wüssten es zu schätzen, dass ihre Arbeit und nicht ein auch von Zufälligkeiten abhängiger Umsatz ihr Gehalt bestimmt. Auch deshalb liege die
Fluktuation deutlich unter dem Branchendurchschnitt.

Dazu trage auch bei, dass Überstunden nicht mit dem Gehalt abgegolten seien, sondern abgefeiert werden können, ergänzt Weinrich.

Ein großes Plus sieht der Arineo-Vorstand darin, dass Gewinne in aller Regel vollständig im Unternehmen bleiben. „Das sichert die Stabilität“, sagt Jellinghaus. Das habe auch dazu beigetragen, gut durch die Corona-Krise zu kommen. „Und man weiß nicht, was in den kommenden Jahren noch passiert.“ Arineo sei finanziell auf jeden Fall gerüstet. Die gesunde finanzielle Basis habe jedenfalls schon mehrfach geholfen, auch erhebliche Ausfälle zu kompensieren, die durch “gestrauchelte Kunden“ entstanden seien, sagt Weinrich. „Das hat zwar weh getan, aber wir haben es verkraftet.“

Ganz unabhängig davon: Über fehlende Aufträge müsse sich bei Arineo derzeit niemand Gedanken machen, sagt Weinrich. Im Gegenteil: „Wir müssen immer wieder Kunden ablehnen. Die Nachfrage ist größer als unsere derzeitige Kapazität.“ ƒ

 

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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