Unterstützung von A bis Z

Seit diesem Jahr gibt es im Kampf um die Fachkräftegewinnung einen neuen Baustein: das Welcome Centre der Region Südniedersachsen und des Göttingen Campus. Uni-Vizepräsidentin Hiltraud Casper-Hehne und Martin Rudolph, Vorstandsvorsitzender der SüdniedersachsenStiftung im Interview.

Wer neu nach Südniedersachsen kommt, um hier zu arbeiten oder zu forschen, steht vor einem mehr oder weniger großen Neuanfang: neue Kollegen, neue Stadt, neue Region und vor allem für Ausländer ein Bürokratiedickicht. Um Wissenschaftler beim beruflichen Start in der Region zu unterstützen, gründete die Universität Göttingen Ende 2008 ihr Welcome Centre. Zwei Jahre zuvor hatte bereits die SüdniedersachsenStiftung mit dem Projekt ,geniusgöttingen‘ eine ähnliche Initiative gestartet, um im Auftrag von Unternehmen insbesondere neu rekrutierte Führungskräfte zu betreuen und zu unterstützen.

Schlussendlich verständigten sich jedoch die beiden Institutionen vor gut zwei Jahren darauf, ihre Ansätze zu kombinieren und flächendeckend auf die Region auszuweiten. Seitdem wurden insgesamt über zwei Millionen Euro als Projektmittel zum Aufbau der Strukturen im Rahmen des Südniedersachsenprogramms und des Fachkräftebündnisses eingeworben. Im Februar wurde das erste Regionalbüro des neuen Welcome Centres in Northeim eröffnet und sieben weitere folgten. Über den besonderen Service, den diese Büros ab sofort für die Region rund um die Fachkräftegewinnung bieten, darüber spricht faktor mit der Vizepräsidentin der Universität, Hiltraud Casper­ Hehne, und mit Martin Rudolph, Leiter der IHK­ Geschäftsstelle Göttingen und Vorstandsvorsitzender der SüdniedersachsenStiftung.

Frau Casper-Hehne, Herr Rudolph, kurz und knapp: Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Welcome Centre für die regionale Wirtschaft?

Martin Rudolph: 60 Prozent der Unternehmen sagen, dass für sie das größte Geschäftsrisiko der Mangel an Fachkräften darstellt. Da müssen wir als Region mehr tun, um Fachkräfte anzuziehen. Die Universität hat weltweit einen sehr guten Namen, die Region Südniedersachsen noch nicht. In diesem Spannungsfeld haben wir verschiedene Themen wie Arbeitgeber­ und Regionalmarketing, die wir im Welcome Centre zusammenführen wollen. Und da ist es gut, dass nicht jeder einzeln für sich agiert, sondern dass wir verschiedene Dienstleistungen rund um die Mitarbeitergewinnung und ­bindung für Unternehmen, Hochschulen und Kommunen gemeinsam anbieten.

Casper-Hehne: Wir haben uns im Vorfeld viele verschiedene Ansätze für Welcome Centres angeschaut. In Groningen und Wageningen in den Niederlanden etwa arbeiten Stadt, Kommunen, Hochschulen, Wirtschaft und Ministerien zusammen – das hat für uns Vorbildcharakter. Mit unserem Ansatz, dass wir das gemeinsame Welcome Centre für Wirtschaft und Wissenschaft regional aufstellen und nicht nur auf das Zentrum Göttingen konzentrieren, sind wir in Deutschland einmalig. Ein echtes Leuchtturmprojekt.

Was sollen und können die Mitarbeiter in den einzelnen Büros für ihre Auftraggeber leisten?

Casper-Hehne: Der Service kann schon beginnen, bevor der Arbeitsvertrag geschlossen wird, indem in Stellenausschreibungen auf das Welcome Centre verlinkt wird. Dort werden Bewerbern erste Informationen und Gespräche angeboten, später geht es in die Einzelbetreuung. Das Spektrum reicht wirklich von A bis Z: Es umfasst die Suche nach einem Kindergarten­ oder Schulplatz, nach Wohnungen, das Zeigen der Region, die Recherche, wo Hobbys nachgegangen werden kann, und reicht bis zu Behördengängen und dem Ausfüllen von Formularen, was insbesondere bei ausländischen Fachkräften eine große Hilfe darstellt. Das umfasst aber auch die Beratung von Unternehmen, wenn es um Arbeitsgenehmigungen für Ausländer geht. Da ist viel Detailwissen gefragt.

Rudolph: Die Betreuung geht aber auch noch weiter, nachdem die Person angekommen ist. Es werden persönliche Netzwerke geschaffen, um Mitarbeitern auch außerhalb des beruflichen Kontextes neue Kontakte zu ermöglichen und so den Bleibeeffekt zu erhöhen. Wichtig wird das insbesondere, wenn auch der Partner oder die Familie mitkommen. Wichtig ist, dass wir sowohl für Unternehmen als auch für Einzelpersonen ansprechbar sind, und das völlig branchenunabhängig. Vom Ingenieur bis zum Handwerker, vom Professor bis zum Chefkoch – wir wollen allen helfen, sich in der Region heimisch zu fühlen.

Casper-Hehne: Angesichts dieser Vielfalt der Aufgaben und Zielgruppen hat das absolut professionelle Auftreten des Welcome­Centre­-Teams hohe Priorität. In der Region sind gegenwärtig 15 Mitarbeiter tätig, die wir mithilfe der langjährigen guten Erfahrungen der Universität Göttingen und der SüdniedersachsenStiftung in einer umfangreichen Professionalisierungsstrategie intensiv fortgebildet haben. Das umfasst Beratung, Kommunikation, Deeskalationsstrategien, interkulturelle Trainings, Sprachkenntnisse oder solche des Aufenthaltsrechts. Das Team trifft sich einmal wöchentlich zum Austausch an verschiedenen Orten, sodass jeder einen Eindruck von den Gegebenheiten vor Ort in den Regionalbüros bekommt und eine gegenseitige Vertretung möglich wird, wenn jemand ausfällt.

Rudolph: Unternehmen, das hören wir oft, ist es wichtig, dass sie vor Ort auf diese Mitarbeiter zurückgreifen können. Ein Guide, der unabhängig vom potenziellen Arbeitgeber einem Bewerber die Region zeigt, wirkt glaubwürdiger und auch authentischer.

Welche Erfahrungen wurden seit Jahresanfang in den Regionalbüros gemacht?

Rudolph: Seit Ende des vergangenen Jahres wurden in der Zentrale und den Regionalbüros bislang 51 Fälle mit insgesamt 75 Personen betreut. In Northeim hat es bislang sehr gut funktioniert, man spürt, dass jemand unterwegs ist und die Unternehmen aktiv informiert. Das ist ein Ansporn auch für die anderen Büros. Es geht tatsächlich über alle Branchen hinweg, und es sind sehr viele mittelständische Unternehmen, die sich beteiligen und den Service ausprobieren. Standardmäßig spielen bei Ausländern die Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis eine Rolle sowie die Themen Kinderbetreuung und Wohnen.

Casper-Hehne: Bei internationalen Wissenschaftlern machen wir die Erfahrung, dass das ganze Paket nachgefragt wird – bei den deutschen ist vor allem die Unterstützung bei der Wohnungssuche zentral, was in Göttingen aber eine echte Schwierigkeit darstellt. Wir haben allein an der Universität bisher jedes Semester etwa 450 Fälle betreut. Nun weiten wir den Service sukzessive auch auf alle anderen Wissenschaftseinrichtungen am Göttingen Campus und auch auf den Bereich der Promovierenden aus.

Und wie soll sich das Projekt langfristig finanzieren?

Rudolph: In der Projektphase bis Juli 2019 ist der Service des Welcome Centres noch für alle Auftraggeber kostenlos. Danach wird es ein Komplettentgelt für die Wirtschaft geben, das je nach Fall etwa zwischen 1.200 und 2.000 Euro liegen wird. Das haben wir solide durchgerechnet, um kostendeckend zu arbeiten. Im Bereich der Wissenschaft wird das Welcome Centre in die Antragstellung der Exzellenzstrategie integriert.

Zu guter Letzt ein Blick in die Zukunft: Welche Entwicklungsperspektiven sehen Sie in den kommenden Jahren für das Welcome Centre?

Casper-Hehne: Für uns wird das Thema Dual Career, also berufliche Perspektiven für den Partner zu finden, immer wichtiger. Bisher geschah die Suche immer in Einzelaktionen. Das wollen wir zukünftig über entsprechende Plattformen und Austausche noch systematischer betreiben. Denkbar sind auch Kompetenztrainings für Unternehmen, wie sie Fach­ und Führungskräfte besser integrieren können.

Rudolph: Wir arbeiten auch an einem umfangreichen digitalen Auftritt, um insbesondere Ausländern eine gute erste Anlaufstation zu bieten. Darüber hinaus gibt es noch einige Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die man sich vorstellen kann. Zum Beispiel einen Shuttle­Service für Bewerber zum Unternehmen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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