Hiltraud Casper-Hehne, Vizepräsidentin der Universität Göttingen, über das geplante Welcome Centre am Bahnhof, bürokratische Prozesse und die richtige Tonlage.
Wer genau hinsieht, kann im Büro von Hiltraud Casper-Hehne, Vizepräsidentin der Universität Göttingen, Erinnerungen entdecken: Kleine Porzellanteller aus China stehen im Regal. Sie sind zwar aufwendig bemalt, dennoch fallen sie im klassizistisch-eleganten Universitätsgebäude am Wilhelmsplatz mit den imposanten hohen Stuckdecken und dem glänzenden Parkett kaum auf. Die Germanistik-Professorin begeistert sich für das asiatische Land und mag es dezent. Seit 2009 ist sie als Vizepräsidentin für Internationales zuständig – und nun auch gemeinsam mit der SüdniedersachsenStiftung als Initiatorin für das geplante Welcome Centre des Göttingen Campus und der Region, das am Bahnhof entsteht. Dies soll Fach- und Führungskräfte für Wirtschaft und Forschung holen und auch langfristig halten. Doch warum engagiert sich Casper-Hehne eigentlich persönlich so stark für ein neues Zentrum der Willkommenskultur? Und wo liegt überhaupt der Sinn dieser Einrichtung?
Frau Casper-Hehne, warum glauben Sie, dass die Region ein Willkommenszentrum braucht?
Die demografische Entwicklung in Südniedersachsen ist eine unserer größten Herausforderungen. Die Gesellschaft wird immer älter, laut dem Prognos-Institut fehlen 2030 in Deutschland drei Millionen Fachkräfte, und wir erleben immer mehr Abwanderung aus der Region. Deshalb müssen wir die Region attraktiver machen. Sie ist schon attraktiv, aber wir müssen noch einen Schritt weitergehen.
Aber können die Unternehmen die ankommenden Führungskräfte nicht selbst betreuen?
Hinter dem Projekt stehen bereits mehr als 40 Partner: Hochschulen, Unternehmen, Verbände und Kommunen aus den Landkreisen Göttingen und Northeim, die Landkreise selbst sowie die Städte Göttingen und Northeim. Für die Personalabteilungen größerer Unternehmen ist es nicht effizient, jemanden mit besonderen sozialen oder interkulturellen Kompetenzen zu beschäftigen, wenn nur wenige neue Mitarbeiter pro Jahr aus dem In- oder Ausland hinzukommen. Es ist viel effizienter, ein Welcome Centre für alle Unternehmen einer Region einzurichten, das gezielt den Service anbietet, neue Mitarbeiter bei ihrer ersten Orientierung zu unterstützen. Solch eine Einrichtung führt auch zu einer weiteren Professionalisierung in diesem Bereich. Die kleineren Firmen haben oft gar keine Personalabteilung und somit auch keine personellen Ressourcen für ein ,Welcoming‘. Professionalisierung ist also das eine, Effi zienz das andere Argument.
Wer hat Sie für diese Pläne inspiriert?
Vorbilder in Deutschland gibt es noch nicht so viele, wir können hier bundesweit ein Leuchtturmprojekt gestalten. Wir lernen aber auch von anderen: Das niederländische Welcome Centre North der Universität Groningen und ihrer Partner aus Wirtschaft und Politik hat beispielsweise einen ,One Stop Shop‘, eine zentrale Anlaufstelle. So muss die neue Fach- oder Führungskraft nicht zehn verschiedene Orte aufsuchen, sondern bekommt in kürzester Zeit unter anderem ihre Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, Steuer nummer, Krankenkassenanmeldung, Schulbetreuung und einen Kindergartenplatz vermittelt.
Warum soll das Centre am Bahnhof stehen?
Göttingen hat ja leider keinen Flughafen (lacht). Das heißt, Forschende, Fach- und Führungskräfte müssen mit der Bahn oder dem Auto anreisen. Öfter aber mit dem Zug, weil nicht alle gleich über einen Pkw verfügen. Die im Bahnhofsgebäude geplante Welcome Lounge soll vor allem ein Entree bieten: Da empfängt sie jemand mit freundlichem Gesicht und hilft konkret – mit Unterlagen, Wohnungsschlüsseln, Terminen und Unterstützung in alltagspraktischen Fragen.Weshalb ist Ihnen das Projekt persönlich wichtig? Weil ich in China und den USA selbst die Erfahrung gemacht habe, wie wichtig eine gute Willkommenskultur ist, wenn man im Ausland arbeitet. Ich weiß, wo es in den Angeboten typische Lücken gibt, wo man sich dann allein durchschlagen muss. Wo man Hilfe benötigt hätte.
Und was ist aus Ihrer Sicht für Ankommende entscheidend?
Konkrete Unterstützung. Dass man möglichst wenige Hürden und bürokratische Prozesse bewältigen muss und einem Türen geöffnet werden. Und dass man sehr schnell weiß: Wo muss ich hin? Wo finde ich was? Ich habe als Wissenschaftlerin zwei Jahre in Shanghai gearbeitet, wo die Willkommenskultur noch nicht so entwickelt ist wie vielleicht in anderen Ländern. In den USA habe ich in der Nähe von Boston geforscht. Dort wird man ,an die Hand genommen‘ und fühlt sich gleich willkommen. Das sind die
zwei Auslandserfahrungen in meinem Leben, die mich sehr stark beeinflusst haben.
Haben Inder andere Bedürfnisse und Wünsche an das Willkommen als beispielsweise Italiener?
Es gibt grundlegende Dinge, die Menschen von überall wollen – sich hürdenfrei in die neue Region zu integrieren. In der Inter aktion aber brauchen alle unterschiedliche Ansprachen. Interkulturelle Kommunikation bedeutet: Wie erkläre ich Menschen aus anderen Kulturen unsere Prozesse und Abläufe? Was kann ich voraussetzen, was muss ich näher erläutern? Oder wie sage ich jemandem höflich, was nicht geht? Wir brauchen Personen, die interkulturell kompetent sind und die richtige Tonlage finden.
Sie haben den Begriff Willkommenskultur benutzt, bevor er in Deutschland in Bezug auf die Flüchtlinge breit diskutiert wurde. Wie kam das?
Da war ich sicher ein wenig vor der Zeit. Willkommenskultur ist für mich selbstverständlich und die Grundlage jeder internationalen Arbeit. Sie gehört immer dazu, wenn Menschen aus Deutschland oder woanders in der Welt einen neuen Lebensmittelpunkt suchen. Ein freundliches ,Hallo‘ ist eine schöne Sache. Das Welcome Centre soll darüber hinaus aber auch dafür sorgen, die Fach- und Führungskräfte langfristig an die Region zu binden … Studien belegen, dass ausgeprägte Willkommensangebote dazu führen, dass man sich aufgehoben fühlt und sich für eine Region entscheidet, wenn sie einem in dieser Hinsicht viel bietet – besonders für die ganze Familie.
Und wie sieht das Angebot aktuell aus? Finden Sie zum Beispiel, dass genügend Wohnungen und Kindergartenplätze vorhanden sind?
Für unter Dreijährige müssen wir die Angebote noch ausbauen, Stadt und Landkreis sind dabei sehr engagiert. Für Kinder über drei Jahren haben wir ganz gute Angebote, aber alles ist optimierbar. Auf dem Wohnungsmarkt gibt es für bestimmte Bedarfe Engpässe, weshalb wir an der Universität für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Unterbringungsservice eingerichtet haben, der sehr gute Arbeit macht. Für Fach- und Führungskräfte werden Makler eingeschaltet.
Das klingt nach einigen Aufgaben und Herausforderungen. Wie viel Personal wird im Welcome Centre beschäftigt sein?
Durch die Zusammenlegung der Angebote von Universität und SüdniedersachsenStiftung: jeweils eine Person für die Projektkoordination, das Front Office, digitale Services und Wirtschaftskontakte sowie vier Personen für die konkrete Betreuung. Studierende sollen für eine ehrenamtliche Betreuung Punkte für ihr Studium bekommen. Die Kommunen haben eine Stelle für Stadt und Landkreis Göttingen und eine für Stadt und Landkreis Northeim eingerichtet, hinzu kommen weitere in Grund- und Mittelzentren. Und wenn irgendwann 40 oder 50 weitere Unternehmen sowie der gesamte Göttingen Campus mit seinen außeruniversitären Einrichtungen und Pro movierenden unseren Service nutzen, brauchen wir sicher noch die eine oder andere Person mehr.
Das Projekt ist für zwei Jahre finanziert. Wie soll es auf längere Sicht abgesichert werden?
Bis 2019 werden wir zunächst unsere bestehenden Angebote zusammen führen und ausbauen sowie neue Möglichkeiten der Betreuung und Zu sam menarbeit erarbeiten, er proben und evaluieren. Wenn wir erfolgreich sind, bekommen wir vom Land vielleicht zwei weitere Jahre Förderung. Natürlich schauen wir aber auch ganz behutsam, wie eine nachhaltige Finanzierung aussehen kann, zum Beispiel über Service gebühren oder Basisbeiträge.
Wie ist denn die Struktur geplant? Werden Sie einen Verein gründen?
Wir prüfen gerade verschiedene Optionen. Zurzeit arbeiten wir mit einem Lenkungsausschuss, dem neben mir als Projektleiterin und Sprecherin noch Klaus Hoffmann als Vertreter der SüdniedersachsenStiftung und Dr. Martin Rudolph von der Industrie- und Handelskammer, Geschäftsstelle Göttingen, angehören.
Schlussendlich: Was denken Sie, wann werden Sie die ersten Ankömmlinge im fertigen Welcome Centre begrüßen können?
Die Räumlichkeiten im rechten Flügel des Bahnhofsgebäudes stehen in ihrem jetzigen Zustand schon zur Verfügung. Hans Georg Näder, Geschäftsführer der Otto-Bock -Gruppe und einer der Partner, möchte den Ausbau der Lounge im Erdgeschoss und der Back Offices im ersten Stock finanzieren. Wir wollen die Räume für zehn Jahre von der Deutschen Bahn mieten, haben das finale Umbaukonzept, müssen nun die endgültigen Kosten ermitteln und den Bauantrag stellen. Ich hoffe, dass wir im kommenden Frühjahr die Eröffnung feiern.
Frau Casper-Hehne, vielen Dank für das Gespräch.
Foto: Alciro Theodoro da Silva
Zum Welcome Centre Ziel des Projektes ist es, Fach- und Führungskräfte für Wirtschaft und Forschung in die Region zu holen und langfristig zu halten. Dies soll dem demografischen Wandel, der Abwanderung und einem Fachkräftemangel entgegenwirken. Bisher bestanden zu diesem Zweck zwei getrennte Einrichtungen: der Welcome Service geniusgöttingen der SüdniedersachsenStiftung und das Welcome Centre der Universität. Nun arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand. Gemeinsam soll ein neues Welcome Centre am Göttinger Bahnhof entstehen, das vom Niedersächsischen Wirtschaftsministerium für zwei Jahre mit 350.000 Euro gefördert wird. Die regionalen Partner steuern weitere 600.000 Euro bei. www.welcome-to-suedniedersachsen.de