Der Göttinger Chemiker Lutz Ackermann ist ein echter Teamplayer. Auch dank dieser Eigenschaft wurde er kürzlich mit der bedeutendsten deutschen Forschungsauszeichnung  geehrt: dem Leibniz-Preis.

Gedankenexperiment: Wie lebt es sich ohne Chemie? Baumwolldecke statt Mikrofaser. Unzählige Krankheiten wären nicht heilbar. Lebensmittel wären nicht so lange haltbar, und sie wären auch nicht in dieser Fülle vorhanden. Kein süßer Kaffee – überhaupt kein Kaffee – auch kein Rotwein. Kein Käse. Und: keine Smartphones. Spätestens jetzt erfolgt der Schrei des Entsetzens … Chemie beherrscht unser Leben, aber sie vereinfacht es auch.

„Den Menschen ist oft gar nicht bewusst, wo im Alltag sie überall mit chemischen Verbindungen zu tun haben“, sagt Lutz Ackermann. „Das geht bei den Farbstoffen los, über Kleidung bis hin zu Wirkstoffen wie Medikamenten.“ Der Leiter des Instituts für Organische und Biomolekulare Chemie der Uni Göttingen hat es sich zum Ziel gesetzt, ressourcenschonende Herstellungswege zu ergründen.

Es sind die Forschungen eines Wissenschaftlers mit internationalem Renommee, der am 15. März in Berlin den bedeutendsten Forschungsförderpreis Deutschl ands erhielt: den Leibniz-Preis. An diese Ehrung ist ein Forschungsgeld von über 2,5 Millionen Euro gekoppelt. „Die Summe ist einfach … – wow‘. Sie erlaubt uns, in den nächsten Jahren relativ frei zu agieren“, sagt Ackermann. Was er nicht sagt: Mit dieser Würdigung bewegt er sich in einer illustren Runde von Naturwissenschaftlern, die Großes geleistet haben. Für sieben der ehemaligen Leibniz-Preisträger führte der Weg direkt nach Stockholm. Stefan Hell, Physiker am Max-Planck-Institut in Göttingen, ist einer von ihnen. 2014 wurde ihm, zusammen mit zwei Kollegen, der Nobelpreis für Chemie verliehen.

In seiner Jugend war Ackermann leidenschaftlicher Fußballspieler. Ein ambitionierter Mannschaftssportler, der durchaus Talent für den Profifußball zeigte. Als es dann aber um die Berufswahl ging, hat die Chemie gesiegt. „Es war schon so etwas wie ein Traum, Chemiker zu werden. Ich war begeistert vom Schulunterricht“, erzählt er. „Schuld daran war insbesondere eine Lehrerin, die meine Neugier geweckt hatte.“ Diese Leidenschaft – sie präge ihn bis heute – versucht er jetzt weiterzugeben und die Studierenden für die Vielfalt der Chemie zu sensibilisieren. Es ist ihm eine Herzensangelegenheit, die Grundvorlesungen im zweiten Semester noch immer selbst zu halten. „Schön, wenn dort nicht nur die angehenden Chemiker sitzen“, sagt er, denn die müsse man ja in der Regel nicht mehr überzeugen. Er mag es, weil auch Biologen dabei sind sowie Material wissenschaftler und Studierende aus der Medizin und der Biochemie. Besonders Lehramtss tudierende sieht er gern in seinen Einführungskursen – damit für sie Chemie erlebbar wird. Und damit seine Begeisterung durch sie auch auf die nächsten Generationen überschwappen kann.

Spielerisch scheint er seinen Karriereweg gegangen zu sein. Seinem Wesen merkt man eine Anstrengung zumindest nicht an. Leichtigkeit und Witz blitzen aus seinen Augenwinkeln. Altehrwürdiges, oberlehrerhaftes Professorentum sucht man bei ihm vergebens. Ackermann gehört bereits zu der neuen Generation Lehrender, die werbend für ihre Wissenschaft unterwegs sind – und das mit allgemeinverständlichen Worten.

„Ich erkläre das mal in ganz vereinfachter Form“, sagt er lächelnd und legt zwei Legosteine und zwei Holzbauklötze auf den Tisch, „denn ganz so ist das natürlich in Wirklichkeit nicht.“ Er nennt das „molekulares Lego“, dabei geht es um funktionelle Gruppen, um Synthese und um Katalysatoren … . Was am Ende der Forschungen herauskommen soll, sind Herstellungsverfahren, die ressourcenschonender sind und eine nachhaltigere Produktion ermöglichen. In Kooperationen mit der Industrie arbeitet das Forschungsteam um Lutz Ackermann an chemischen Verbindungen für Pflanzenschutzmittel und Medikamente.

Er wirkt jung für einen Professor, Mitte vierzig, und vor allem jung für einen Preisträger dieser Rangordnung. „Natürlich habe ich diesen Preis nicht allein verdient. Er ist eine ganz außergewöhnliche Anerkennung der Arbeiten von vielen aktuellen und früheren Mitarbeitern.“ Was auf den ersten Blick nach Understatement klingen mag, zeigt in Wirklichkeit etwas anderes: Lutz Ackermann ist ein absoluter Teamplayer.

Das muss er nicht explizit betonen. Man erkennt es schon allein daran, wie er mit seinen Mitarbeitern umgeht. Und umgekehrt. Auf den Fluren und im Labor herrscht ein freundschaftlicher Ton. Im Gespräch mit einer Postdoktorandin spielen sich die beiden, Professor und Mitarbeiterin, die Bälle zu. Sie erzählen begeistert von der Forschung, hier in diesem Labor. Davon, wie Bachelor- Studierende neue chemische Verbindungen hergestellt haben: leuchtend rote, violette und blaue Flüssigkeiten. Sichtbare Chemie also.

Überhaupt werden die Studierenden unter der Leitung von Ackermann bereits sehr früh in die wissenschaftliche Arbeit eingebunden. „Im letzten Semester haben wir erstmalig ein spannendes Projekt ins Leben gerufen. Es stand unter dem Motto ‚forschungsorientiertes Lernen und Lehren‘“, so Ackermann. Das Besondere an diesem Projekt ist der direkte, sozusagen hautnahe Kontakt zur Forschung. Und das bedeutet in diesem Fall, dass sich die Studierenden an der Forschung beteiligen durften, für die der Institutsleiter letzten Endes auch den Leibniz-Preis erhielt.

Vor allem jedoch könnten seine Studenten auf diese Weise erleben, was es heißt, auf die drei ,G‘s der Wissenschaft angewiesen zu sein. „Geld, Geduld und Glück. Mehr beziehungsweise weniger bedarf es gar nicht. Geld ist ja nun da. Geduld kann man lernen – und Glück: Das muss man halt haben“, sagt Ackermann mit einem Zwinkern.

Und das Glück gebe es auch immer wieder. „Erst kürzlich habe ich einen Bericht über eine spanische Forscherin gelesen, die zufällig entdeckt hat, dass es eine Mottenart gibt, die Plastik zersetzen kann“, erzählt er weiter. Die Forscherin, die er meint, heißt Federica Bertocchini und ist Biologin. Als Hobby-Imkerin fand sie in ihrem Bienenstock eine schädliche Larve, die sie in einer Plastiktüte entsorgen wollte. Glück oder Zufall – nach einiger Zeit waren in der Tüte Löcher und die Larve war weg. Als echte Wissenschaftlerin spornte sie das natürlich an, weiterzuforschen: mit Erfolg. Ein glücklicher Zufall.

Zum Abschied noch ein Blick ins Labor: Reagenzgläser mit hellen Flüssigkeiten, Pipetten und Erlenmeyerkolben – Erinnerungen an längst vergessen geglaubte Schultage kommen wieder hoch. Da sind sie wieder: Experimente. Fehlversuche. Der Geruch von Schwefelwasserstoff – besser bekannt als ,Faule-Eier- Geruch‘ –, der durchs ganze Schulhaus zog und in jedes Klassenzimmer kroch. Die Gedanken von Lutz Ackermann hingegen fliegen für einen Moment nach draußen. Für den gebürtigen Schleswig-Holsteiner geben die Hügel vor den Fenstern des Nordcampus schon fast Berge ab. „Ich mag Göttingen, und ich lebe gerne hier. Und ich liebe meinen Beruf“, sagt er noch. „Die Forschung und die Lehre – und jetzt auch noch der Preis. Dadurch können wir zukünftig relativ frei Entscheidungen über den Fortgang der Forschungen treffen. Aber dies sollte immer vor dem Bewusstsein geschehen, dass das Geld von der Gemeinschaft erwirtschaftet wurde.“ Ein wahrer Teamplayer eben.

 

Zur Person

Lutz Ackermann, geboren 1972 in Schleswig- Holstein, studierte in Kiel Chemie und promovierte an der Universität in Dortmund. Als Postdoktorand ging er nach Berkeley und von dort nach München. Seit 2007 besetzt er einen Lehrstuhl an der Uni Göttingen. 2015 übernahm er die Leitung des Institutes für Organische und Biomolekulare Chemie. Laut DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) gehört er „zu den weltweit am häufigsten zitierten Wissenschaftlern seines Fachbereichs“. Am 15. März wurde ihm der Leibnitz-Preis 2017 in Berlin verliehen.
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