„Die Kommunikationskultur muss sich ändern“

Ulrike Beisiegel ist seit zweieinhalb Jahren Präsidentin der Universität Göttingen. Erstmals in der 276-jährigen Geschichte steht eine Frau an der Spitze der Georgia Augusta. Im faktor-Interview erklärt die Biochemikerin, warum Gleichstellung für sie Chefsache ist und was sich ändern muss, damit mehr Frauen in Führungspositionen gelangen.

Sie gehören zu den wenigen Frauen, die Karriere in den Naturwissenschaften gemacht haben. Wie haben Ihre Kollegen auf Sie reagiert?

In meiner Studienzeit fanden es die Männer ganz nett, dass auch ein Mädchen dabei war, ich war gewissermaßen ein seltenes Exemplar. Doch schon während meiner Promotionszeit habe ich mich in meiner wissenschaftlichen Arbeit oft nicht ernst genommen gefühlt.

Wie äußerte sich das?

Folgende Situation war ganz typisch: Auf einem Kongress unterhält sich eine Gruppe von Männern über ein wissenschaftliches Thema. Sobald eine Frau dazu kommt, reden sie sofort über etwas anderes und nicht mehr über Wissenschaft. Ich war auf vielen Fachkonferenzen die einzige Frau. Das hatte natürlich auch Vorteile, weil jeder mich kannte. Ab dem Moment jedoch, wo ich als Forscherin akzeptiert und nicht mehr nur die ,kleine Nette‘ war, begann der Konkurrenzkampf. Dann setzte all das ein, was man auch als ,gläserne Decke‘ bezeichnet.

Wie haben Sie es geschafft, sich in dieser Männerdomäne zu behaupten?

Frauen werden erst ernst genommen, wenn sie dreimal so gut sind. Wir müssen in der Qualität überkompensieren. Ich bin nach meiner Promotion nach Dallas gegangen, wo ich im Labor der späteren Nobelpreisträger Josef L. Goldstein und Michael S. Brown gearbeitet habe. Das war eine gute Visitenkarte, dafür habe ich aber auch zwei Jahre Tag und Nacht gearbeitet. Ich war die erste Postdoc-Frau, die dort durchgehalten hat, da muss man schon hart im Nehmen sein.

Später wechselten Sie zum Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf. Wie war es dort?

Ich wurde eingestellt, um die Oberärzte bei der Forschung zu unterstützen. Den Gefallen habe ich ihnen jedoch nicht getan, sondern selbst viel Geld eingeworben, was bei einer Begutachtung große Anerkennung fand. Mein Chef hat sich dann hingestellt und öffentlich gesagt: „Die kleine Beisiegel – das hat sie alles von mir gelernt!“ Tatsächlich hatte er mir dazu jedoch nichts beigebracht!

Gab es andere Erlebnisse dieser Art?

Oh ja. Als ich zum Beispiel 2001 Dekanin an der medizinischen Fakultät in Hamburg werden wollte, sagte man mir im Vertrauen, dass dies unmöglich sei. Für eine Frau auf diesem Posten sei man einfach noch nicht reif!

Was macht es den Frauen so schwer, sich im Wettbewerb um Führungspositionen durchzusetzen?

Die Spielregeln in diesem Wettbewerb werden von Männern bestimmt. Männer haben aber eine andere Kultur und andere Codes, die Frauen nicht kennen. Umgekehrt verstehen Männer die Frauen nicht, weil diese ein anderes Sozialverhalten haben. Frauen sind in der Regel offener, ehrlicher und sachbezogener. Gerade in den Berufungsund Bleibeverhandlungen spielt dieser Kulturunterschied eine große Rolle; das erlebe ich immer wieder. In einem Fall zum Beispiel hatte eine Bewerberin für eine Professorenstelle offen erklärt, dass sie eines von sieben Kriterien noch nicht erfülle, sie dies aber binnen Kurzem nachholen könne. Meine Kollegen in der Berufungskommission wollten einem Mitbewerber die Stelle geben, der sich sehr selbstbewusst präsentiert hatte. Ich wies dann darauf hin, dass dieser Kandidat nur drei Kriterien erfüllte und zu den übrigen vier gar nichts gesagt hatte. Das hatten die anderen gar nicht gemerkt.

Wie kann die ,gläserne Decke‘ durchlässiger werden?

Die Kultur muss sich einfach ändern. Die andere Diskussionskultur der Männer bricht den Frauen immer wieder das Genick. Männer verhandeln knallhart, sie lieben es zu pokern. Frauen pokern nicht so. Ich kenne viele Frauen, die auf eine wissenschaftliche Karriere verzichtet haben, weil sie es zu anstrengend fanden, sich ständig gegen die männlichen Spielregeln zu wehren. Die Menschheit besteht zur Hälfte aus Frauen, also müssen die Spielregeln an sie angepasst werden.

Wie stehen Sie zur Frauenquote?

Ich bin kein Fan der Quote. Ich setze darauf, dass Frauen, die jetzt in Führungspositionen sind, offensiv Frauenförderung betreiben. Dabei sind Mentoring-Programme sehr wichtig. Ich habe in meinem wissenschaftlichen Werdegang keine einzige Hochschullehrerin gesehen. Wie soll eine junge Frau auf die Idee kommen, dass sie Professorin werden könnte, wenn es keinerlei Vorbild für diese Rolle gibt?

Wie wollen Sie an der Universität für mehr Gleichstellung sorgen?

Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit vom Vizepräsidenten die Kommission für Gleichstellung übernommen, um ein Zeichen zu setzen, dass Gleichstellung Chefsache ist. Ich habe auch schon Berufungslisten ,umgedreht‘, wenn eine Wissenschaftlerin trotz gleicher Qualifikation hinter dem männlichen Bewerber auf Platz zwei platziert worden war. In solchen Fällen sind bevorzugt Frauen einzustellen.

Wo haben Sie eigentlich das Selbstbewusstsein her, das anderen Frauen fehlt?

Die meisten Frauen haben Selbstsicherheit nicht gerade in die Wiege gelegt bekommen. Ich habe einige Coaching- und Trainingsangebote in Anspruch genommen, so etwas kann ich nur empfehlen. Welche Art von Training am sinnvollsten ist, muss jede Frau selbst herausfinden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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