Die Frau fürs Klima

Angela Schwerdtfeger konnte sich in der Oberstufe in Osterode viele Studienfächer vorstellen – mit einer Ausnahme: „Alles, nur nicht Jura.“ Inzwischen gibt sie als Jura-Professorin vom ,Blauen Turm‘ auf dem Göttinger Campus leidenschaftlich ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Die 42-Jährige erzählt, warum sie auf keinen Fall Forschung im Elfenbeinturm betreiben will und Rechtsfragen auch bei ihrem Herzensthema Klimaschutz wichtig sind.

Zu trocken, zu viele Paragrafen, zu viel Auswendiglernen: Während ihrer Schulzeit auf dem Gymnasium in Osterode fand Angela Schwerdtfeger das Fach Jura wenig attraktiv. Dabei war sie familiär ,vorbelastet‘. Ihr Onkel Gunther Schwerdtfeger war Jura-Professor in Hannover und Verfasser eines ,Klassikers‘ für angehende Juristen. Als bei einer Familienfeier erwähnt wurde, dass die Abi-Zeitung ihres Bruders zensiert werden sollte, erläuterte der Onkel, dass dies rechtswidrig wäre – Zensur ist hierzulande verboten. „Anhand dieses Beispiels hat er mir verdeutlicht, dass Jura überall im Alltag eine Rolle spielt“, erzählt Schwerdtfeger. Später besuchte sie probeweise an der Universität Göttingen einige Vorlesungen in Psychologie und Rechtswissenschaft – und fand Jura viel spannender: „Das war klar strukturiert, das machte alles Sinn.“ Damit war die Entscheidung gefallen, und diese hat sie bis heute nicht bereut: „Ich möchte nichts anderes machen.“ Ihr Studium absolvierte sie in Trier. „Ich wollte nach dem Abitur erstmal weit weg“, erzählt sie. Außerdem war Trier eine der wenigen Unis in Deutschland, an denen man eine fachspezifische Fremdsprachenausbildung unter anderem in angloamerikanischem Recht absolvieren konnte. Schwerdtfeger war nicht nur vom Studienangebot, sondern auch von der Stadt und der Landschaft begeistert: „Ich habe mich sofort in Trier verliebt“, sagt sie schwärmend. Während eines Auslandssemesters an der Universität Lyon verschaffte sie sich nähere Ein­blicke in die französische Rechtsordnung. Die Juristin findet es wichtig, über den Tellerrand zu schauen: „Ein Perspektivwechsel hilft, einen anderen Blick auf das eigene Rechtssystem zu bekommen und größere Zusammenhänge zu erkennen.“

„Die juristische Expertise in die Zivilgesellschaft einbringen“

Nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Trierer Uni. Für ihre Doktorarbeit wählte sie ein Thema, das Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht verbindet. „Mich interessieren die Schnittstellen zwischen verschiedenen Rechtsebenen“, erklärt Schwerdt­feger. Nachdem sie ihre Promotion, das Referendariat und das Zweite Staatsexamen erfolgreich abgeschlossen hatte und 2017 an der Humboldt-Universität habilitiert worden war, stand sie 2019 vor einer schweren Entscheidung: Erst erhielt sie einen Ruf an die Georgia Augusta, kurz darauf einen Ruf an die Universität Trier. Am Ende entschied sie sich für Göttingen. „Die juristische Fakultät hat einen sehr guten Ruf“, sagt sie. Daneben gab es auch einen privaten Grund: Ihr Lebenspartner Thomas Kleinlein war ein Jahr zuvor auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und Rechtsvergleichung an der Universität Jena berufen worden – und Göttingen liegt deutlich näher an Jena.
Seit März 2020 ist Angela Schwerdtfeger als Professorin für Öffentliches Recht insbesondere Verwaltungsrecht an der Universität Göttingen tätig. Dass sie jetzt an der Georgia Augusta forschen und lehren darf, empfindet sie als großes Glück. Auch ihr Mann arbeitet inzwischen in Göttingen und forscht zusätzlich zu seiner Professur in Jena als Gastwissenschaftler am Institut für Völkerrecht und Europarecht, das in der 13. Etage des ,Blauen Turms‘ angesiedelt ist. Angela Schwerdtfegers Büro befindet sich weiter unten im zweiten Stock. „Er hat den besseren Ausblick“, erzählt sie lachend.
Der Standort passt indes zu ihrem Selbstverständnis: Angela Schwerdtfeger will keine Forschung im Elfenbeinturm betreiben, sondern ihre juristische Expertise auch in die Zivilgesellschaft einbringen, um gemeinsam mit anderen Disziplinen und Akteuren aktuelle Probleme zu beleuchten und Lösungsansätze zu entwickeln – zum Beispiel zu den Themen Klima- und Umweltschutz. „Ich fand Umweltrecht schon immer spannend“, sagt die Juristin. Das hat auch mit ihrem Vater, dem kürzlich verstorbenen Tierforscher Ortwin Schwerdtfeger, zu tun. Dieser hatte bei seinem Langzeitprojekt zur Erforschung des Rauhfußkauzes häufig seine Tochter mit in den Harz genommen: „Ich war als Kind viel im Wald, das hat mich geprägt.“

„Bedeutung des Klimaschutzes im Rechtsbereich“

In ihrer 2010 abgeschlossenen Dissertation untersuchte sie, welche völker- und europarechtlichen Vorgaben es für den Rechtsschutz in Umweltan­gele­genheiten gibt. Seitdem hat sie das Thema Umweltrecht nicht mehr losgelassen. Damals hätten sich nur wenige Juristen mit solchen Fragestellungen beschäftigt, so Schwerdtfeger. Dies habe sich spätestens mit dem ­Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 geändert: „Das war ein bahnbrechender Beschluss.“ Allerdings sei dieser oft falsch interpretiert worden. Die Karlsruher Richter hätten kein „Recht auf Klimaschutz“ postuliert, sondern eine neue Rechts­konstruktion entwickelt.
Die Göttinger Jura-Professorin sieht es als ihre Aufgabe an, diese Konstruktion so zu erklären, dass auch Nichtjuristen sie verstehen und daraus Schlussfolgerungen für die Klimapolitik ziehen können. Die Karlsruher Richter hätten „um die Ecke“ gedacht, erläutert sie. „Das Bundesverfassungsgericht hat das damals aktuelle Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt und vom Gesetzgeber Nachbesserungen verlangt, weil den jungen Beschwerdeführenden sonst zukünftig unangemessene Freiheitsbeschränkungen drohen.“ Daraus ergebe sich zwar, dass die Politik mehr Anstrengungen beim Klimaschutz unternehmen müsse, das Gericht habe aber zu Recht keine konkreten Maßnahmen vorgegeben.

Um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass beim Klimaschutz auch Rechtsfragen bedacht werden müssen, engagiert sie sich auch außerhalb der Universität. ­Gemeinsam mit einer Schulfreundin hat sie an einem Hildesheimer Gymnasium ein Kooperationsprojekt zum Thema ,Können wir Klimaschutz erstreiten?‘ geleitet. Die Jugendlichen setzten sich zwei Jahre lang mit den Chancen und Grenzen erneuerbarer Energien auseinander und gingen der Frage nach, inwieweit sich Klimaschutzmaßnahmen rechtlich durchsetzen lassen. Am Ende gab es ein simuliertes Gerichtsverfahren um die Genehmigung von Windkraftanlagen. Die Schüler konnten so erleben, welche gegenläufigen Interessen in einen Ausgleich miteinander gebracht werden müssen. „Sie bekamen eine Vorstellung davon, wie komplex die Zusammenhänge sind“, erklärt Schwerdtfeger, „und wie schwierig es ist, gute Lösungen zu finden.“ Gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Professor Simon Fink hat sie außerdem in Göttingen ein vom Niedersächsischen Wissenschaftsministerium gefördertes Projekt organisiert, das sich mit Potenzialen und Grenzen der Bürgerbeteiligung bei der Klimawende beschäftigt.

Auch universitätsintern engagiert sich die Professorin: Schwerdtfeger ist die erste Beauftragte für die Promo­vierendenausbildung an der Juristischen Fakultät, Sprecherin der Göttinger Graduiertenschule Gesellschafts­wissenschaften und beratendes ­Vorstandsmitglied im Zentrum für Globale Migrationsstudien. Kürzlich hat sie sich bei der Juristenfete als DJane betätigt: „Ich habe viel Musik aus den Achzigern gespielt.“ In ihrer Freizeit ist sie vor allem sportlich aktiv. Die frühere Rollkunstläuferin liebt das Inlineskaten, wandert gern und joggt auf dem Wall. Auch den Brocken-Aufstieg hat sie schon mitgemacht. Ihre Entscheidung für Göttingen hat Angela Schwerdtfeger nie bereut: „In der jetzigen Lebensphase ist Göttingen genau der richtige Ort für mich.“ƒ

Foto: Marco Bühl
Zur Person
Angela Schwerdtfeger, geboren 1980 in Northeim, ist in Osterode aufgewachsen. Dort legte sie auch ihr Abitur ab. Danach studierte sie Jura in Trier, wo sie auch promoviert wurde. Anschließend arbeitete sie zunächst als Referendarin am Kammergericht Berlin und absolvierte Stationen unter anderem beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Nach dem Zweiten Staatsexamen folgte die Habilitationsphase, zunächst an der Friedrich-­Schiller-Universität Jena, dann an der Berliner Humboldt-­Universität. 2017 erhielt sie die Lehrbefugnis und wurde 2019 auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht, an der Uni Göttingen berufen. Ihre Schwerpunkte sind öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht, insbesondere Umwelt- und Klimaschutzrecht, Migrationsrecht und Grundrechtsschutz. 2021 wurde sie nach ihrer Wahl durch den Landtag von Ministerpräsident Stephan Weil für sieben Jahre zum stellvertretenden Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs ernannt.
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