Auf der richtigen Welle

Peter Müller-Kronberg stieg vor zehn Jahren in dritter Generation bei Zufall ein und brachte frischen Wind in den Familien­betrieb. So entwickelte sich im Göttinger Logistikunternehmen unter ihm auch das zufall.lab – ein Ort, an dem Innovationen entstehen und Transformation gelebt wird. Der 39-jährige CEO spricht über den Mut zum Risiko, den sowohl Surfer als auch Unternehmer brauchen, und darüber, warum die wirklich wichtigen Dinge im Leben nicht käuflich sind.

Zum Unternehmen
Zufall wurde 1928 in Kassel gegründet und hat den heutigen Firmensitz in Göttingen. Das Unternehmen gliedert sich in zwei große Geschäftsbereiche: Transport und Logistik. Mit über 2.000 Mitarbeitenden an zehn Standorten in ganz Deutschland transportiert Zufall rund fünf Millionen Sendungen pro Jahr und erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von rund 450 Millionen Euro.
Die Zufall logistics group gehört zu den Sonderpreis­trägern des Europäischen  Transportpreises für Nachhaltig­keit. Der Logistiker wurde für sein soziales
Engagement hinsichtlich der Unternehmenskultur sowie der Förderung und Motivation von Mitarbeitenden und Auszubildenden prämiert. Darüber hinaus unterstützt Zufall verschiedene kulturelle, ökologische und allgemeinbildende Projekte in der Region wie die Internationalen Händel-­Festspiele und den Internationalen Schul­bauernhof in Hardegsen.

www.zufall.de

Ein Mann steht auf seinem Surfboard. Vollkommen in dem Moment und zu einhundert Prozent bei sich. Nur das Meer, die Wellen und er. Gute Surfer haben ein Gespür für die Welle. Keine ist wie die ­andere, alles verändert sich, alles ist im Fluss. ­Vertrauen in sich selbst, sich einschätzen können, eine Entscheidung treffen und es durchziehen – für Peter Müller-Kronberg ist sein Lieblingssport eine gute Analogie zu seiner Aufgabe als CEO der Zufall logistics group. „Als Unternehmer machst du genau das jeden Tag. Und wie im Sport brauchst du Kompetenzen, die Liebe zur ­Sache und einen gewissen Mut zum Risiko.“ Zum Surfen kommt der 39-jährige Familien­vater zwar nicht mehr so oft wie früher, aber er ist sich sicher, dass ihn diese Leidenschaft bis zu seinem Lebensende begleiten wird.

Surfen als Metapher für unternehmerische Herausforderungen

Peter Müller-Kronberg ist eines von drei Kindern und der Einzige, der in das Familienunternehmen einsteigt. Sein Vater Gerhard Müller hatte es ihm freigestellt, unter der Bedingung, dass sich sein Sohn bis zu seinem 30. Geburtstag entscheiden sollte. „Ich hatte die Wahl – und das ist ein Privileg, ohne Zweifel“, sagt Müller-­Kronberg heute. Erfahrungen sammeln, andere Kulturen kennenlernen und neue Perspektiven ent­decken – das treibt den gebürtigen Göttinger von jeher an. Er verbringt bereits während seiner Schulzeit ein Jahr in Irland, reist später neun Monate mit dem Rucksack durch Mittelamerika. Prägend für seine Entwicklung ist der Zivildienst. Zusammen mit drei weiteren jungen Menschen ist er für den Standort Hörnum auf Sylt der Schutzstation Wattenmeer verantwortlich, führt Exkursionen durch, hält Vorträge. Er studiert Eventmanagement, einen international angelegten Studiengang, arbeitet bei einer Sportmarketingagentur und sammelt Praxis­erfahrungen in anderen Logistikbetrieben. Nicht gerade der klassische Weg für jemanden, der das Logistik­unternehmen der eigenen Familie übernehmen kann. „Dabei haben mich alle Stationen genau darauf gut vorbereitet. Logistik ist ein globales Geschäft und funktioniert nur mit Menschen. Will ich erfolgreich sein, muss ich wissen, wie Menschen ticken, und ich muss mich selber kennen“, erklärt der CEO überzeugt. Die einzige Bedingung, die er für seinen Einstieg stellte: Ich möchte ein Unternehmen führen, in dem ich selbst gern arbeite. „In den intensiven Gesprächen mit meinem Vater ist mir klar geworden, dass es immer wieder Herausforderungen geben wird, die es zu überwinden gilt, und dass meine innere Überzeugung die tragende Säule dafür sein wird.“

1928 gründete Friedrich Zufall das Unternehmen in Kassel, wodurch es seinen unverwechselbaren Firmennamen erhielt, der aus Deutschlands Logistiklandschaft nicht mehr wegzudenken ist. Mittlerweile besteht die Zufall logistics group aus zehn Niederlassungen in ganz Deutschland, hat über 2.000 Mitarbeitende und einen Umsatz von 450 Millionen Euro. Neben dem Transport ist die Kontraktlogistik ein wichtiges Geschäftsfeld, das Logistiklösungen mit langfristigen Geschäftspartnern erarbeitet. Bestes Beispiel ist der Kunde Sartorius.
Die Distribo GmbH, ein Joint Venture ­beider Unternehmen, leistet in Göttingen komplexe Lagerlogistik und Produktionsversorgung. Zufall ist dabei der ­alleinige Investor des im Sommer 2014 eingeweihten Logistikzentrums am Siekanger.
Gerade entsteht dort das nachhaltigste Logistikzentrum der Region. Alles, was technisch machbar ist, wird umgesetzt, so dass das Gebäude 60 Prozent weniger Energie verbraucht, als es bei einer konventionellen Bauweise der Fall wäre. „So klimatisieren wir mit einer Sheddach-Konstruktion, die das Licht herein und die Wärme draußen lässt, und kommen komplett ohne fossile Brennstoffe aus. Es wird am Ende des Tages ein energiepositives Gebäude sein, das die extrem hohen Kundenanforderungen von Sartorius erfüllen wird“, sagt Müller-Kronberg. Für Zufall ist das mit weit über 20 Millionen Euro die größte Einzelinvestition in der Firmengeschichte. Ziel der Zufall logistics group ist es, zum 100-jährigen Jubiläum nicht nur CO2-neutral zu sein, sondern zusätzlich die Rentabilität zu verdoppeln – das erfordert Mut, Logistik neu zu ­denken.

Das zufall.lab: Ein Raum für Innovation und kreatives Arbeiten

Neue Themen brauchen einen eigenen Raum, in dem man sich bewusst Zeit nimmt und mit neuen Impulsen und neuer Methodik an der Zukunft arbeitet. „Das ist im turbulenten Tagesgeschäft schwierig“, erzählt Müller-Kronberg. Dieser Raum entstand 2019 mit dem zufall.lab auf dem ehemaligen Gelände der Spedition Hermann Weber. „Es braucht offene und kreative Menschen. Und vielfältige Perspektiven, auch aus anderen Wirtschaftszweigen, um ein neues Kundenverständnis und neue, zunehmend digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln“, ergänzt der CEO. Entstanden ist eine Zukunftswerkstatt, in der hierarchiefrei und erlebbar anders gearbeitet wird. Und tatsächlich herrscht hier eine angenehme Atmosphäre mit offen gestalteten und flexibel nutzbaren Räumen. Nachhaltigkeit ist ein Wort, das häufig fällt. So lag der Umbau des alten Gebäudes unter den Kosten eines Neubaus. Vorhandenes wurde, wo immer möglich, integriert. Das Dach wurde begrünt, und im Innenhof hat sich am kleinen Teich ein Entenpärchen eingenistet. Die Vitra-Stühle, auf denen wir beim Interview sitzen, kommen aus zweiter Hand, und Teile der ehemaligen Deckenverkleidung dienen heute als Schallschutzelemente. „Dass wir unsere Zukunft gerade in diesen Räumen gestalten können, die jahrzehntelang Heimat für klassisches Speditionsgeschäft gewesen sind, schafft für uns eine besondere Verbindung“, erklärt Müller-Kronberg bestimmt.

Die Logistik-Branche stiftet einen enormen Mehrwert für die Gesellschaft. Sie ist die Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft und baute in der Vergangenheit darauf, dass die Menschen durch ihren Konsum zum Wachstum beitragen. „Als Unternehmer und Vater erlebe ich, dass diese Wachstumslogik keine Zukunft mehr hat. Es geht um ökologische und soziale Werte“, so Müller-Kronberg. Aber entzieht verantwortungsvoller und somit reduzierter Konsum einem Transport- und Logistikunternehmen nicht die wirtschaftliche Grundlage? Die klare Antwort des CEO lautet: „Der Weg führt nur über Umdenken.“ Weniger E-Commerce und mehr Re-Commerce. Upcycling statt neu kaufen, und Sharing statt selbst besitzen. Regional statt langer Transportwege. Und ganz oben auf der Liste: Eigenverantwortung. Jeder steht in der Pflicht, mit dem eigenen Verhalten einen Beitrag zu leisten. Und darauf aufbauend gilt es, zu lernen und die richtigen, oft unbequemen Fragen zu stellen. Noch sind die Antworten für eine komplett nachhaltige Logistik nicht da, aber Müller-­Kronberg sieht Ansätze in der richtigen Richtung und Kunden, die zusammen mit der Zufall logistics group wachsen wollen.

„Die Menschen bei Zufall haben tolle Ideen. Wir müssen zuhören und verstehen, was sie sehen“, sagt Müller-­Kronberg. Als schnell denkender Visionär ist er oft zu ungeduldig, aber es sei elementar, mit den Menschen im Gespräch zu sein. Auch dafür bietet das zufall.lab einen großzügigen Rahmen und mit einer Million Euro pro Jahr ein ausreichendes Budget, sich auszuprobieren, Projekte anzustoßen und konkrete Entwicklungen voranzutreiben. So ist ein digitaler Zwilling des Umschlaglagers aufgebaut worden, mit dem sich Prozesse virtuell testen lassen, bevor sie in die Realität umgesetzt werden. Darüber hinaus investierte das Unternehmen in den letzten Jahren 3,2 Millionen Euro in Start-ups, die ihre Idee für eine nachhaltige Zukunft teilen.  
„Ich bin so stolz und freue mich, dass wir im Unternehmen Menschen haben, die mit viel Leidenschaft und Herz diese Transformation mitgestalten“, sagt Müller-­Kronberg. Die Zukunft bei Zufall hat längst begonnen. Denn schon längst sind es nicht nur die großen LKWs, die durch Deutschland und Europa fahren. Mit City­logistik hat das Unternehmen ein innerstädtisches Modell ent­wickelt, bei dem E-Cargobikes den Verkehr klima­freundlich entlasten. Der nächste Schritt wird sein, ­Kundenanforderungen in Echtzeit digital zu verarbeiten, sodass sich die Fahrstrecken automatisch anpassen. Und der ,Night Star Express‘ transportiert in der Nacht Ersatzteile für Wärmepumpen oder Windkraftanlagen sogar direkt bis in den Kofferraum eines Monteurs, der so am Morgen direkt zu seinen Kunden fahren kann. Hinter all dem steckt logistische Feinarbeit, die immer weiter optimiert wird.

Die Macht der Konsumenten – Einladung zur Verantwortung

Alles, was wir tagtäglich in den Händen halten, ist Teil einer globalen Wertschöpfungskette. Es sei denn, die Gurke kommt direkt aus dem heimischen Garten und die Milch vom Bauern nebenan. Wir haben es als Konsumenten in der Hand, die Warenströme und damit die Lieferketten zu beeinflussen. Wir müssen hinterfragen, woher Produkte kommen und wie nachhaltig Transportwege sind. Um sich dann auch der Frage zu stellen: Wie viel Konsum brauchen wir wirklich? „Dinge, die für mich ein erfülltes Leben ausmachen, kann ich nicht kaufen. Damit meine ich Zeit mit Menschen, die mir wichtig sind, und eine intakte Natur“, erklärt der 39-Jährige, der mit seiner Familie auch kleine Auszeiten bewusst genießen kann. „Das ist jedes Mal ein Stückchen gelebter Perspektivwechsel.“
Und so sollten wir uns alle von Zeit zu Zeit auf eine Reise begeben und nach neuen Wegen suchen, die uns zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und den Ressourcen inspirieren. Ein Logistikunternehmen in Göttingen hat sich dieser Aufgabe gestellt. ƒ

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Zur Person
Peter Müller-Kronberg führt als CEO und Gesellschafter in dritter Generation das  Familienunternehmen. Bevor der heute 39-Jährige vor zehn Jahren bei Zufall einstieg, studierte er Eventmanagement und sammelte Erfahrungen im Sportmarketing sowie im Autorennsport, wo er sekundengenau getaktete logis­tische Abläufe kennenlernte.
Müller-Kronberg lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Göttingen. Er integriert in seinem Privatleben und in der Unternehmens­kultur eine gelebte Nachhaltigkeit, die auf die Zukunft der Enkel einzahlt. Mit Zufall möchte er nach neuen Wegen suchen, die uns zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und den Ressourcen inspirieren.
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