Der Göttinger Neurowissenschaftler und Top-Hörforscher Tobias Moser lässt mit bahnbrechenden Erkenntnissen die Fachwelt und Betroffene aufhorchen.

Die doppelte Sensation: Mit seinem Forschungsprojekt ,Multiscale Bioimaging: von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen‘ ist dem Göttinger Neurowissenschaftler Tobias Moser die Auszeichnung als Exzellenzcluster für die Georg-August-Universität 2018 gelungen. Nur ein Jahr später, im September 2019, nahm der Mediziner der Universitätsmedizin Göttingen den Guyot-Preis für herausragende Leistungen in den Bereichen Hörforschung und Otologie entgegen – mit der Zugabe, dass die Verleihung mit einem Symposium ‚Fortschritte in der biologischen Otologie‘ gefeiert wurde. Denn mit der Entwicklung eines sogenannten optogenetischen Cochlea-Implantats ist ihm ein wahrer wissenschaftlicher Paukenschlag gelungen.

Grundlagenforschung zur Funktion des Innenohrs

Professor Tobias Moser ist ein Pionier der Grundlagenforschung, die entscheidende Erkenntnisse über die Funktionen des Innenohrs lieferte. Und die nun zu einer spektakulären Methode führte, die – wenn sie in ein paar Jahren durch klinische Studien bestätigt und zugelassen wird – das Leben von Hunderttausenden Schwerhörigen erleichtert. Das Besondere: Bisher streuten Cochlea-Implantate elektronisch den Schallreiz so breit, dass einzelne Tonhöhen nicht unterscheidbar waren und das Hören damit intensiv trainiert werden musste. Nun haben er und sein Team an Mäusen mittels eines ,Lichtschalters‘ die Hörsignale räumlich so exakt steuern können, dass die Tonhöhen fast wie beim normalen akustischen Hören aufgelöst werden.

Viele weitere Versuchsreihen, auch an Primaten, sind vonnöten, der Finanzbedarf ist trotz der bisherigen Förderung noch enorm. „Doch der Grundstein für die fundamentale Verbesserung des Cochlea-Implantats ist gelegt und“, so Moser, „dies ist ein wichtiger Durchbruch.“ Ein Durchbruch, der auch wirtschaftliche Erfolge verspricht: Im Jahr 2019 gründeten Moser und Kollegen in Göttingen das Start-up OptoGenTech, das aus der von Bund, DFG und EZ geförderten Forschungsarbeit an den Universitäten Göttingen, Freiburg und Chemnitz sowie dem Deutschen Primatenzentrum in Göttingen entstanden ist. Hier sollen optogenetische Mehrkanalstimulatoren entwickelt, realisiert und vermarktet werden. Als ehrenamtlicher Geschäftsführer sucht Moser noch finanzkräftige Investoren: „Es wäre gut, wenn sie tatsächlich Erfahrung mit Medizinprodukten oder mit der Zulassung von Medikamenten mitbringen. Aber wirklich wichtig für uns ist zu vermitteln, dass es Zeit braucht.“ Lange Zeit mit profitabler Perspektive: „Der jetzt schon große Markt ist weiter wachsend.“ Das alles erzählt er, während er entspannt in seinem kleinen Büro im Gebäudekomplex der Universitätsmedizin Göttingen sitzt: Ein voller Schreibtisch, darauf ein Becher mit dem Aufdruck ‚Love what you do‘. Ein Ohrenmodell und der Mann, der liebt, was er tut. Worte wie ,faszinierend‘, ,total verrückt‘, ,fantastisch‘ fallen immer wieder im Gespräch. Moser schwärmt von seiner Arbeit, erklärt in einfachen Worten, lacht zwischendurch. Und nimmt sich Zeit, obwohl jeder seiner Arbeitstage so vollgepackt ist, dass er mehr Stunden bräuchte, und er mehr als einen Arbeitsplatz in Anspruch nimmt. Auf die gezielte Frage danach lacht er herzlich auf. „Sehen sie mich an, wie zerrissen bin ich? Ganz klar, ich habe aktuell eigentlich vier Arbeitsplätze: Als da  wären das Institut für Auditorische Neurowissenschaften an der UMG und Labore an den Max-Planck-Instituten für Experimentelle Wissenschaft sowie für Biophysikalische Chemie und am Deutschen Primatenzentrum“, erzählt Moser zufrieden. „Es ist toll, dass wir auf diese Weise mit Wissenschaftlern am Campus verbunden sind.“

Großer Einsatz für ein kleines Organ

Ein so großer Einsatz für seine ziemlich kleine Liebe: das Innenohr. Genauer gesagt, die „total verrückte Kontaktstelle“ zwischen Haarsinneszelle und Hörnervenzelle, die ihn „völlig fasziniert“. Als der studierte Humanmediziner vor 20 Jahren bei Professor Erwin Neher am MPI für Biophysik seine erste Arbeitsgruppe gründete, wollte er verstehen, wie dieser Übergang zwischen der Sinneszelle und der Nervenzelle funktioniert. Bei den Untersuchungen spielt auch das „wabbelnde Fließband“, wie Moser die Wendeltreppe im Innenohr beschreibt, eine wichtige Rolle. Diese besteht aus ca. 3.000 Stufen und ist – je nachdem, wo sie durch den eintreffenden Schall am meisten in Schwingung versetzt wird – für das Erkennen der gesendeten Frequenz verantwortlich. Diese Mechanik trifft auf die Haarsinneszelle und regt sie durch Auslenkung ihrer Härchen an. Die erregte Haarsinneszelle gibt die Information über den Schall unermüdlich und mit höchster zeitlicher Präzision an einer Synapse an eine Nervenzelle weiter – „und das ist eigentlich das, was mich zum Innenohr gebracht hat“.

Dafür hat Moser nach seiner Weiterqualifizierung als HNO-Arzt 2001 das Göttinger ,InnerEarLab‘ aufgebaut, in dem unterschiedliche Fachbereiche gebündelt sind. Denn es ist ein komplexer Prozess, der uns zum Hören bringt: Die Kontaktstelle besteht aus einer Synapse mit ganz speziellen Eiweißproteinen, die den mechanisch eintreffenden Schall in einen elektrischen Nervenimpuls codiert. Bei einer Störung der Synapse bleibt das Gehirn quasi stumm. Um die verschiedenen Betrachtungsebenen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern, gründet sich 2015 das Institut für Auditorische Neurowissenschaften an der UMG. „Hier können wir zusammen einzelne Moleküle sowie Zellen verändern und studieren“, erklärt Moser zufrieden. „Und wir können das Hörsystem als Ganzes einerseits an Tiermodellen untersuchen und andererseits an Betroffenen in der Klinik messen.“

Erkannt wurde durch seine Ergebnisse die Auditorische Synaptopathie, also die Schwerhörigkeit aufgrund einer Synapsenerkrankung. Ihre Erkennung erfordert den Einsatz moderner Audiologie etwa mit der Messung der Gehirnströme und – für vererbte Formen – die humangenetische Diagnostik. Die Göttinger Forschung hat auch Hoffnung geweckt, den von einer speziellen Form der erblichen Auditorischen Synaptopathie Betroffenen durch das Einführen eines intakten Gens das Hören zu ermöglichen. Eine Riesenaufregung in der ,Hörwelt‘ hat die Erkenntnis einer lärmbedingten Schädigung dieser Synapsen versuchsacht. Weil sie im normalen Hörtest nicht auffällt, spricht man vom ,verborgenen Hörverlust‘, wobei diese Schäden vermutlich dann zu der sehr häufigen Lärmschwerhörigkeit beitragen.

Cochlea-Implantate

Hier und bei der Altersschwerhörigkeit werden Hörgeräte und bei hochgradiger Schwerhörigkeit schließlich Cochlea-Implantate eingesetzt. Die Herausforderung dabei: „Sie brauchen viele Informationskanäle zum Gehirn, um Störgeräusche und Nutzsignale zu trennen und zu verarbeiten.“ Mit dem oben beschriebenen optischen Cochlea-Implantat wollen Moser und Kollegen die aktuell verwendete elektrische Version ersetzen, weil die optische Variante mehr Informationskanäle erlaubt.

Der gebürtige Görlitzer, der in Leipzig, Erfurt und Jena studierte, lebt gern in Göttingen. Hierhin hat ihn die Chance geführt, seine Doktorarbeit bei Erwin Neher zu schreiben. „Das hat mich wohl endgültig für diese Stadt gewonnen. Ich hatte immer mal wieder drüber nachgedacht, mir Angebote von außen anzuschauen, aber für die Synapsen und die Neurowissenschaften und auch einiges andere war Göttingen immer ein sehr guter Standort. Deswegen bin ich auch geblieben.“ Seine Familie – Frau und drei Kinder – sei ebenfalls gern in „dieser sehr lebenswerten Stadt.“ Und wenn er Zeit findet, treibt er Sport: Skifahren, Laufen und Fahrradfahren, „am liebsten schnell“ – dennoch unter der Schallgrenze.

Aber auch privat will Moser für das Hören sensibilisieren, denn die Synapsenschwerhörigkeit nehme durch stete Beschallung, zum Beispiel durch Kopfhörer und das laute Telefonieren in der Öffentlichkeit zu. „Deshalb bekommt bei mir jeder ein Lärmschutzmittel“, sagt er und schiebt Ohrstöpsel über den Tisch. „Ich nutze sie auch, weil ich viel unterwegs bin und arbeiten muss. Denn worüber ich mich ärgere, ist, dass die Privatsphäre des anderen wenig respektiert wird. Ich finde es oft in der Öffentlichkeit viel zu laut, und man wird unzumutbar eingeweiht in das, was andere Leute gerade austauschen wollen. Ich denke, da braucht es jetzt einen Schwung, dass wir uns zusammenreißen.“

Doch trotz aller störenden Geräusche gibt es etwas, das sogar der Hobbymusiker erlaubt: „Bässe können Sie ruhig laut aufdrehen. Die schaden nicht.“

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