„Einfach mal loslaufen und machen“

Eva Kienle ist eine Powerfrau, die mit ihrem bunten Lebenslauf und ihrer   unkonventionellen Mutterrolle manche Erwartung sprengt. Mit Leidenschaft für Struktur und Planung hat sie es über verschiedene Stationen in den Vorstand der
globalen KWS SAAT AG in Einbeck geschafft. Die Macherin erzählt im faktor, warum sie sich nicht als Quotenfrau sieht und es akzeptiert, bewusst mal einen Schritt zurück zu treten.

„Ich mache Dinge neu, anders, und stoße Transformationen an.“

Zum Unternehmen

KWS ist eines der führenden Pflanzenzüchtungsunternehmen weltweit. Über 5.000 Mitarbeiter in mehr als 70 Ländern erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2021/2022 einen
Umsatz von rund 1,5 Milliarden Euro. Seit über 165 Jahren wird KWS als  familiengeprägtes Unternehmen eigenständig und unabhängig geführt. Schwerpunkte sind die Pflanzenzüchtung und die Produktion sowie der Verkauf von Mais-, Zuckerrüben-, Getreide-, Gemüse-, Raps- und Sonnenblumensaatgut. KWS setzt modernste Methoden der Pflanzenzüchtung ein, um die Erträge der Landwirte zu steigern sowie die  Widerstandskraft von Pflanzen gegen Krankheiten, Schädlinge und abiotischen Stress wie beispielsweise Dürre, Wassermassen oder extreme Temperaturen weiter zu verbessern. Um dieses Ziel zu realisieren, investierte das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr mehr als 285 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung.

www.kws.com

Eva Kienle ist, wie sie ist. „Ich habe nie darüber nachgedacht, wie ich beruflich mein Ding machen werde“, sagt sie. Bereits als Kind haben sie Dinge interessiert wie alles Mögliche zu planen, Tabellen zu erstellen oder Themen zu strukturieren – und sie wusste: Das wird ihr Weg werden. So war es auch naheliegend, dass sie eine Ausbildung zur Bankkauffrau machte. Sie wusste aber auch schnell, dass sie nach der Lehre auf jeden Fall studieren wird, und das nicht nur in Deutschland, sondern „unbedingt international“. Mit feinem Gehör kann man noch den heimatlichen Dialekt heraushören, auch wenn es die gebürtige Stuttgarterin schon früh vom Schwabenländle in die Welt hinausgezogen hat. Es folgt ein duales BWL-Studium mit je zwei Jahren Studium in Deutschland und Frankreich. Im Gegensatz zu heute war dies damals nicht die Norm, und es gab wenig Studien­angebote hierfür. Doch das interessierte Kienle schon damals nicht. Nach dem Studium führten ihre Karriere­schritte sie von Unilever, unter anderem in der Schweiz, über Wal-Mart, die Stadtwerke in Bremen und zwei Unternehmen, die von Private-Equity-­Gesellschaften geführt wurden – eines davon amedes in Göttingen – vor zehn Jahren schließlich zu KWS. Und da blieb sie bis heute.

Der Weg zur Führungskraft bei KWS

Inzwischen ist sie mit KWS zehn Jahre in ein und demselben Unternehmen tätig. Das ist neu für Kienle – so lange hat sie es zuvor nirgends gehalten. „Jeden Tag das Gleiche … Wenn das auf Dauer absehbar ist, dann gehe ich wieder. Das halte ich nicht aus“, sagt die 55-Jährige und lacht. In Einbeck hingegen macht es selbst nach all der Zeit viel Spaß – „und es ist richtig viel los“. Wozu sie einen erheblichen Beitrag leistet. Es ist auf der einen Seite die Bereitschaft zu Innovation und Transformation und auf der anderen Seite diese Verlässlichkeit und Beständigkeit einer familiär geprägten Aktiengesellschaft, die den Aktionären gefällt und die für eine recht risiko­freie Geldanlage sorgt. Gleichzeitig wird bei KWS sehr weit im Voraus und nachhaltig gedacht.
„Wir ziehen eine ruhige Furche“, sagt die Vorstandsfrau. KWS ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich ge­wachsen. So stieg der Umsatz von knapp 425 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr. ­Parallel hat sich die Zahl der Mitarbeitenden verdoppelt – auf heute rund 5.000 an internationalen Standorten in mehr als 70 Ländern. Der Einbecker Global Player
konzentriert sich auf die Pflanzenzüchtung und die
Produktion von Mais-, Zuckerrüben-, Getreide-, Raps-, Sonnenblumen- und Gemüsesaatgut. Dabei setzt KWS modernste Methoden der Pflanzenzüchtung ein, um die Erträge der Landwirte zu steigern sowie die Widerstandskraft von Pflanzen gegen Krankheiten, Schädlinge und abiotischen Stress weiter zu verbessern.

„Ich mache Dinge neu, anders, und stoße Transformationen an“, erklärt die Wahlgöttingerin weiter. Sie hat keine Angst, Dinge auszusprechen, Missstände anzusprechen. 2015 erklärte sie dem Vorstandskollegium und der Belegschaft, jetzt müsse auch bei KWS gezielt die Digitalisierung strategisch mitgedacht werden. Zunächst stieß sie auf Widerstand: Wir brauchen das jetzt nicht. „Teils herrschte noch die Ansicht, Landwirtschaft ist und bleibt ein Geschäft, in dem sich immer persönlich auf dem Acker getroffen und alles analog besprochen wird“, sagt sie schmunzelnd. Doch wenn Kienle sich etwas in den Kopf setzt, dann scheint es ziemlich aussichtslos, sich dem zu verwehren. Es wurde ein Projektteam von 15 Mitarbeitenden gebildet und „dann haben wir einfach mal den ganzen Elefanten ,Industrie 4.0‘ filetiert“.
Nicht alles, was an Ideen im Umlauf war, war für den globalen Saatproduzenten von Relevanz. Aber einiges dann doch. Zunehmend wurden digitale Tools für die Kunden, aber auch für die Züchtungsprozesse eingeführt, die beispielsweise dabei helfen, das Pflanzenwachstum intensiv zu überwachen und Rückschlüsse auf Erntezeitpunkt oder Düngerapplikation zu ziehen. Ebenso wurden neue Kommunikationskanäle eingeführt. Seit 2021 gibt es für Landwirtschaftsinteressierte unter anderem den KWS-Podcast ‚World of Farming‘.

Von dem Fokus auf das Thema Digitalisierung profitierte KWS auch während der Corona-Pandemie. So konnten die Mitarbeitenden, wo die Tätigkeit dies ermöglichte, ziemlich unkompliziert ins Homeoffice wechseln. Eva Kienle aber vermisste den Kontakt zu den Menschen im Unternehmen. So ging sie wieder ins Büro, sobald es die Gesetze zuließen. „Für mich ist es auch eine Form der Solidarität“, sagt sie. Solidarität mit den Mitarbeitenden aus Forschung, Züchtung und Produk­tion, die sich zum Beispiel tagtäglich um die Pflanzen kümmern und eben deswegen nicht von zu Hause arbeiten können. Leere Flure und Büroräume. „Das macht etwas“, sagt Kienle. Und meint damit nichts Positives. Mit manchen Ansichten sei sie heutzutage einfach ein Dinosaurier. Ob es um die Gemeinschaft im Unternehmen geht oder um Zoom-Meetings, bei denen manche nach einigen Minuten die Kameras ausschalten und sich hinter schwarzen Bildschirmen versteckten. „Das ist, als würden Sie sich bei einem Präsenztermin plötzlich unter den Konferenztisch setzen und erklärten, Sie wären trotz­dem voll dabei“, sagt Kienle.
Was auf den ersten Blick witzig erscheint, zeigt jedoch deutlich, wie Digitalisierung neben allen Vorteilen auch zum Verlust von sozialer Gemeinschaft führen kann.
Daher hat sich das Unternehmen für die Zeit nach der Pandemie für eine Mischung aus Arbeitstagen im Büro und persönlichen Meetings und der Möglichkeit für Remote-Arbeiten entschieden.

Auch wenn sie selbst nie an ihrer Zugkraft und ihrem Karrie­reweg zweifelte, neben der gesunden Portion Selbst­bewusstsein zeigt Kienle auch Demut vor ihrem Erfolg. „Am Anfang braucht man wirklich Fürsprecher. Wenn man alleine versucht, gegen Widerstände anzugehen, wird es schwierig“, sagt sie und bezieht sich dabei auf ihre erste Führungsposition bei Unilever in der Schweiz. Damals war sie 28 Jahre alt, als der technische Direktor ihr die Leitung der Administration eines Produktionswerkes übertrug und wenig später auch die dortige Personalverantwortung. Eine, gerade für die damalige Zeit, sehr ungewöhnliche Entscheidung und ein ungeheures Vertrauen, welches ihr entgegengebracht wurde. Dies spricht nicht nur aus heutiger Sicht sehr für eine bereits damals sehr selbstbewusste junge Frau, die um ihren Wert und ihre Kompetenz weiß – und die sich als Frau im Business nicht infrage stellt.

Letztlich überzeugt sie heute bei KWS in einem Unternehmen, das von familiären Werten geleitet wird. Nicht als Quotenfrau, sondern eben mit ihrer Kompetenz. Dass sie als Frau nicht die gleichen Chancen haben soll wie die Männer, war für die dreifache Mutter nie ein Thema. Bereits nach der Geburt des ersten ihrer drei Söhne ging sie nach einigen Wochen wieder in ihren Beruf. Ihr Mann, ein Jurist und selbstständiger Unternehmer, blieb zu Hause und nahm ,Elternzeit‘, die es damals noch nicht als solche gab. Bis heute ist ihr Mann eine wichtige Stütze der Familie und zumeist der Part, der auf Elternabende ging. Kienle ist glücklich darüber, dass dieses Modell für die Familie seit vielen Jahren so gut passt. Sie darf Mutter sein und gleichzeitig ihren persönlichen Erfolgsweg gehen.

Herausforderungen und Chancen für Frauen in Führungspositionen

Hat sie je das Gefühl gehabt, als Frau habe sie es schwerer? „Entweder war ich zu naiv und habe das nie wahrgenommen oder es ist mir nie passiert. Dann ist die Frage: Warum ist mir das nie passiert?“, sagt Kienle und ergänzt mit einem Zwinkern: „Vielleicht liegt es mit­unter auch an meinem forschen Auftritt?“

Doch es ist ihr durchaus bewusst, wie ernst das Thema Frauen in Führungspositionen immer noch ist und wie sensibel gleichzeitig damit umgegangen werden muss. Deutschland sei da einfach noch nicht weit genug.
Einerseits braucht es mehr Maßnahmen, um Gleich­berechtigung herzustellen und Frauen gezielt zu fördern, andererseits muss man auch berücksichtigen, dass Karriere­entscheidungen immer auch etwas mit persönlichen Lebensentscheidungen von Frauen und Männern zu tun haben. „Nicht jeder und jede will in der Führungsetage arbeiten“, sagt sie.
Ihr eigener Lebenslauf zeigt nicht unbedingt proto­typisch, aber doch inspirierend, wie es anders gehen kann. Dass es möglich ist, Rollenmodelle zu hinterfragen, andere Familienstrukturen zu leben und nicht vor vermeint­li­chen Widerständen zurückzuweichen. Kienle weiß, dass es nicht allen Frauen so leichtfällt wie ihr selbst. Aus diesem Grund engagiert sie sich in Frauennetzwerken, zum Beispiel innerhalb von KWS oder auf LinkedIn, und tauscht sich mit anderen Frauen in Führungspositionen aus. Also brauchen wir eine Frauenquote, um mehr Diversität in die Vorstandsetagen zu bekommen, Frau Kienle? „Eigentlich bin ich nicht für Quoten“, sagt sie, „aber ohne wird es bei diesem Thema nicht gehen.“

Vorbilder hatte Eva Kienle für ihren Karriereweg keine. „Ich bin immer ich geblieben, habe immer selbst entschieden, was das Richtige für mich ist und was der nächste Schritt“, sagt sie. Einfach mal loslaufen und machen, das war ihre Devise. Erfahrungen sammeln. Deshalb fühlt sie sich auch angekommen bei KWS in Einbeck. Ein internationales Unternehmen. Börsennotiert und mit Weitblick agierend. Private-Equity-Unternehmen waren ihr hingegen zu kurzfristig getrieben. Das weiß sie jetzt. „Ich finde es zum Beispiel auch nicht schlimm, wenn man mal einen Schritt zur Seite macht oder bewusst einen zurück“, sagt Kienle. Und so sind es Frauen wie Anna-Lena Baerbock, die eine vermeintliche Niederlage – Stichwort Kanzlerkandidatur – nicht aus der Bahn wirft, denen sie Respekt zollt. Aufstehen, Krönchen richten und neuen Anlauf nehmen. Und auch mal den Männern mit ihrer Beharrlichkeit den Rang
ablaufen. ƒ

Zu den Personen

Eva Kienle (geb. 1967) ist Vorstandsmitglied der KWS SAAT AG mit Stammsitz in Einbeck.  Nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau und einem dualen Studium der Betriebswirtschaft übernimmt die gebürtige Stuttgarterin mit 28 Jahren ihre erste Führungsposition bei Unilever. Nach verschiedenen weiteren Stationen als Führungskraft, unter anderem als CFO der amedes Holding AG, wird sie 2013 mit 46 Jahren in den Vorstand von KWS berufen. Kienle sitzt zusätzlich in zwei Unternehmen im Aufsichtsrat.
Die dreifache Mutter lebt mit ihrem Mann in Göttingen. Sie liebt es zu verreisen, wobei es nicht immer die große, weite Welt sein muss, sondern durchaus auch die Alpen sein dürfen.
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