Ein Typ, Marke Heimspiel

Marc Kerger ist neuer Vorstand der Einbecker Brauhaus AG. Bei einer Tasse Tee erzählt er uns von seiner Liebe zu flüssigen Produkten mit Geschichte und einer Zukunft ohne Alkohol.

“Bier ist ein Kulturgut in unserem Land, und man merkt schon einen anderen Stellenwert, als ich das bisher kannte.”

Bevor Marc Kerger dem Traditionsunternehmen seinen Stempel aufdrückt, bringt er sich zunächst selbst in Form. Der 51-Jährige tritt die Nachfolge von Martin Deutsch an. Als Geschäftsleiter Marketing, Gas­tronomie und des Standorts des Spirituosenherstellers Hardenberg-Wilthen AG sowie in verantwortungsvoller Position beim Traditionsunternehmen Jägermeister kennt sich der gebürtige Dortmunder mit flüssigen Produkten aus, die eine Geschichte besitzen. Im Interview mit faktor gibt er sich bescheiden und möchte die Einbecker Welt von Grund auf (neu) kennenlernen.

Nur Tee und Wasser, kein Zucker, viel Bewegung. Das Leben von Marc Kerger ist seit einigen Wochen recht einfach. Knapp 20 Kilo hat er abgenommen, fühlt sich pudelwohl und voller Energie. Er will ein gesundes Leben führen und hat sich ein persönliches Trainingsporgramm verordnet, schon bevor er seine neue Stelle bei der Einbecker Brauhaus AG angetreten hat. Und das, obwohl seine Vergangenheit und die neue Gegenwart aus Genussmitteln bestehen. Jägermeister, Pernod Ricard, Hardenberg-Wilthen stehen in seinem Lebenslauf. „Ich hatte bisher das Glück, mich niemals irgendwo bewerben zu müssen“, sagt er. Der Weg nach Einbeck führte ihn über einen Headhunter, mehrere ­Telefonate und ein Vorstellungsgespräch.

Auch wenn das Produkt – Flüssigkeit in Flaschen – grundsätzlich nicht neu ist, sind die Herausforderungen für Kerger es dann doch. „Zum ­einen verantworte ich Unternehmensbereiche, die ich bisher in dieser Detailtiefe nicht hatte, werde durch ein tolles Team eingearbeitet und bilde mich entsprechend weiter“, sagt er bescheiden. „Bier ist ein Kulturgut in unserem Land, und man merkt schon einen anderen Stellenwert, als ich das bisher kannte.“ Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. Dabei scheint Bier eigentlich ein langweiliges Produkt zu sein. Aber das ,Wieviel‘, das ,Wo‘ und das ,Wie lange‘ machen seit 1378 in Einbeck den Unterschied. Fragen, mit denen sich auch Marc Kerger von nun an intensiv beschäftigt. „Das finde ich schon wahnsinnig spannend, und ich glaube, dass man darüber auch kommen kann“, sagt Kerger. „Kommen“ will er damit zum Kunden, denn im Herzen ist Kerger ein Kommunikator, sein Handwerk sind Marketing und Vertrieb. Das Einbecker Brauhaus produziert seit vielen Jahren nicht nur verschiedene Biere, sondern auch Mischgetränke, die der Markt nachfragt. Einer der größten Wandel des für das Einbecker Bockbier und seine Historie bekannten Brauhauses.

Kerger setzt auf Marke, Kommunikation und Relevanz. „Und ich bin überzeugt, dass die gelebten Themen Produktqualität, Regionalität und auch ein Stück weit die einzigartige Einbecker Geschichte, Tradition, Entwicklung dann der Schlüssel sind.“ Zur Traditionsmarke Einbecker gehören inzwischen auch Nörten-Hardenberger, Härke, Göttinger und Martini. Sich dort einen Überblick zu verschaffen, ist derzeit die größte Aufgabe für Kerger. „Ich will gucken, was machen wir mit diesen einzelnen Marken, welche Rolle nehmen die eigentlich bei uns im Unternehmen ein, worauf setzen wir?“
Dabei ist Marc Kerger selbst noch dabei, seine Rolle zu finden. Die ist namentlich als Vorstand zwar gefunden, doch der Reisekoffer ist voll mit Ideen und Visionen. „Mein Ziel ist es, das Unternehmen weiter in die Moderne zu führen, dabei die Tradition und Geschichte zu bewahren, aber vor allem die junge Zielgruppe für unser Haus zu gewinnen.“ Den Spagat zwischen Historie und Moderne möchte er mit Wertschätzung bewältigen. Seine Vision nennt er ,Einbecker Brauhaus 2033‘, ein Zehnjahresplan also. Sie soll die Frage beantworten, „was wir für ein Unternehmen sein und werden wollen“. Der Fokus soll dabei auf Markenbildung, -führung und Innovationen liegen. „Innovationen nicht nur im Bereich der Produktentwicklung, sondern auch bei Prozessen, Unternehmen und Vertriebsmaßnahmen“, sagt Kerger. Und eben, weil die Historie seit 1378 so wesentlich ist, soll sie zugleich die Grundlage bilden.

Recht plakativ sichtbar wird der Spagat bei einem Rundgang des mitten in der Stadt gelegenen Brauhauses. Im Rahmen der Einbecker Street-Art-Meile wurden die sonst einfarbigen Fassaden im Innen- und Außen­hof mit Graffiti versehen. Den Künstlern wurde dabei freie Hand gelassen, sie verarbeiteten das Thema Bier recht unterschiedlich und oft im krassen Gegensatz zur geradlinigen Unternehmerwelt. Vor allem deswegen fallen sie auf, nicht nur wegen der Farbe. Seine ganz eigene Historie ist Kergers intensivste Schule. Bei Hardenberg-Wilthen und Jägermeister hat er seine Spuren hinterlassen und beide Unternehmen in ihm. „Was ich aber mitnehme und dort auch begleitet habe, ist der Schritt aus der Tradition in die Moderne, ohne die Wurzel und Herkunft dabei zu verlieren. Aus meiner Sicht geht es immer stark um Marke, darum, eine emotionale Bindung zu den Konsumenten zu schaffen und die Zielgruppen geschärft und klar anzusprechen.“ Die Herausforderungen der neuen Wirkungsstätte liegen ihm. „Sich stetig in allen Bereichen weiterzuentwickeln, nie stillzustehen, aber den Marken- und Unternehmenskern dabei nicht zu verlieren.“

Im Gespräch schweift der Blick immer wieder auf einen Schrank mit Markenbildern der Einbecker, auf dunkles Holz und das satte Grün der Corporate Identity. Auf bunte Etiketten der Mischgetränke, auf die bekannte Flaschenform. Und auf einen Wimpel, auf dem „Stammtisch“ geschrieben steht. Eine verrauchte Kneipe, klirrende Gläser und Gelächter tanzen am geistigen Auge vorbei. Eine Bolzplatzromantik als Markenbild, das Marc Kerger als glühender Fan der Borussia aus Dortmund nicht ganz fremd ist. Im Mittelpunkt einer Marke steht manchmal nicht das Produkt, sondern seine Anwendung: in geselliger Runde, nach dem Sport, in der Umkleide, zum Abendessen oder in der Kneipe. Für junge Menschen inzwischen vermehrt ohne Alkohol. Kerger ist es deshalb wichtig, „dass wir unser Portfolio für die junge Generation attraktiver gestalten und uns an deren Konsumverhalten orientieren, weniger Alkohol, neue Sorten und auch andere Gebinde. Zentrales Thema bleibt aber die Marke und die Kommunikation. Wir müssen die richtige Sprache finden, innovative Wege gehen und Relevanz schaffen.“
Ein alkoholfreies Bier mit wenigen Kalorien und ein Cola-­Orange-Mischgetränk ganz ohne Bier sind bereits im Handel. Doch eine Marke braucht auch einen Markt. Und den will Marc Kerger verteidigen. „Zum einen müssen und werden wir den Heimatmarkt verteidigen und sicherstellen, dass hier niemand wildern kann. Dazu zählt auch, dass wir unsere Positionen halten und über Verdrängung weitere dazugewinnen“, sagt der Vorstand. „Göttingen ist bereits im Fokus und wird es in den nächsten Jahren noch mehr sein. Vertrieblich haben wir hier die ersten Maßnahmen getroffen, nun werden wir uns auf die richtigen Partner und Kooperationen konzentrieren, um in Göttingen starkes Wachstum zu erzeugen.“ Unter anderem ist das Einbecker Brauhaus neuer Toppartner der Göttinger Basketballer-Herren.

Für den Fußballfan „ausm Pott“ eine Sportart, die es kennenzulernen gilt. Genauso wie das Unternehmen und seinen Zustand, weshalb sich Kerger mit einer ersten Einschätzung zum Ist-Zustand noch zurückhält. „Ich bin nun erst wenige Wochen hier, und es wäre verfrüht, hier ins Detail zu gehen.“ Er erlebe aber ein gesundes, mittelständisches Unternehmen, das Pandemie und kriegsbedingte Krisen „gut gemeistert“ habe. Vor allem dank seines Vorgängers, Martin Deutsch, der ihm noch bis Ende des Jahres 2023 beratend zur Seite steht. Kerger habe ein Portfolio erkannt, „was alles mitbringt, um verschiedene Verwendergruppen zu erreichen und zu gewinnen“. Und natürlich „eine beeindruckende Historie und das Selbstbewusstsein, dass es ohne uns kein Bockbier geben würde – vor allem nicht in Bayern“. Und ein „Team, das Lust und die Motivation hat, nun den nächsten Schritt auf einem starken Fundament zu gehen“. Daraus schöpfe er auch das Selbstbewusstsein für kurzfristige Ziele. „Wir wollen nicht einem Trend hinterherrennen, sondern einen setzen.“ ƒ

 

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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