Bits, Bytes, und eine Mission
Ramin Yahyapour ist Geschäftsführer der GWDG, einer der wichtigsten Dienstleister für die wissenschaftliche IT. Gleichzeitig hat er einen klaren Lehrauftrag. Sein Ziel: eine starke Informatik in Göttingen.
“Ich mag es zu verstehen, wie etwas gemacht wurde. Wenn man sich näher damit beschäftigt, ist Kochen der Informatik sehr ähnlich.”
Im vierten und höchsten Stock des Neubaus der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG) finden Gäste kein Namensschild von Ramin Yahyapour. Kein Büro, kein Schreibtisch, auf dem sich die Tagespost des Geschäftsführers der GWDG stapeln könnte. Wer sucht, könnte Briefe und Pakete in einem verschlossenen Schrank in einem der Konferenzräume finden. „Das ist das Einzige, was noch nicht digital ist. Ansonsten brauche ich kein Büro, ich bin immer unterwegs“, sagt der 51-Jährige, der seit 2011 die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung von Georg-August-Universität Göttingen und der Max-Planck-Gesellschaft führt. Seitdem formt und entwickelt der Professor für praktische Informatik den Standort und die GWDG als solche. Aber was genau passiert eigentlich in dem Gebäude mit den Supercomputern, Rechenzentren und riesigen Kühlanlagen?
Ältere Navigationsgeräte kennen den Burckhardtweg 4 in Göttingen nicht, sie enden bei 2 und schlagen eine Alternativroute vor. Der Neubau liegt zum Spätherbst eingehüllt in Baustellenromantik und herbstgoldenem Laubfall. Im Foyer werden die dekorativen Sonnenliegen durch einen Weihnachtsbaum ersetzt, hinter einer riesigen Glaswand verwandeln Bauarbeiter grauen Beton geduldig in einen Hörsaal. Ramin Yahyapour leitet die GWDG, den IT-Dienstleister für wissenschaftliche Organisationen. Der Neubau gehört zu den wesentlichsten Entwicklungen des vor mehr als zehn Jahren aus Dortmund nach Göttingen gewechselten Informatikers. „Als ich herkam, waren hier eine Handvoll Leute“, erinnert er sich. Heute arbeiten rund 200 Menschen in Göttingen, etwa die Hälfte sind hoch ausgebildete Fachkräfte und Experten der IT-Welt. Yahyapour hat es geschafft, sie entweder nach Göttingen zu locken oder direkt vor Ort groß zu machen. „Wir wollen, dass die jungen Studierenden bei uns studieren und promovieren“, sagt Yahyapour. Dabei hilft die GWDG als attraktiver Arbeitgeber, zugleich aber auch bei dem Bestreben, Informatik an der Universität Göttingen zu stärken.
Was macht die GWDG eigentlich?
Der Geschäftsführer empfängt seine Gäste im Foyer zwischen Blumen und vor großen Fenstern mit Blick auf den Wald ausgerichteten Sitzmöbeln und vor einer riesigen LED-Leinwand mit GWDG-Werbebotschaften. Auf dem Weg in die Technik-Ebene kündigt er absichernd den Gang beim Pförtner an. Der schaut verdutzt, lacht: „Sie sind der Geschäftsführer.“ Ein Sicherheitsmann mit Radiomoderatoren-Stimme lässt uns durch die Schleuse zum Serverraum. Viel geredet wird dort nicht; es ist zu laut. Zu sehen gibt es umso mehr. Die GWDG kümmert sich als Dienstleister um die IT von Universitäten und wissenschaftlichen Organisationen bundesweit. Dabei gehört sie zu gleichen Teilen der Uni Göttingen und der Max-Planck-Gesellschaft. „Das macht die GWDG von der Struktur her ungewöhnlich, ich würde auch sagen, einzigartig in Deutschland“ sagt der Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH.
Die GWDG bietet Dienste für die Forschenden beider Gesellschaften an, aber auch überregional für Niedersachsen und in nationalen und internationalen Kooperationen. Betreut werden mehr als 250.000 Nutzer. Das sind grundsätzliche IT-Leistungen wie E-Mails für 73.000 Menschen, Server- und Hosting-Strukturen und ein digitales Archiv. Dazu kommen sehr spezielle Leistungen für die Forschung. Unter anderem werden Hochleistungs- und Supercomputer betrieben, an denen Forscher aufwendige Berechnungen durchführen können. „Das ist etwas, was wir nicht von der Stange kaufen können“, sagt Yahyapour. „Alles das, was die Wissenschaft braucht, um erfolgreich zu sein.“ Zum Dritten betreibt die GWDG auch selbst Forschung. Immer mit dem Ziel, die Unterstützung zu verbessern. Forschung für Hochleistungsrechner, zum Thema Datenmanagement und Datenanalyse. „Daraus werden am Ende Lösungen, die dafür sorgen, dass unsere Dienste besser werden und unsere Wissenschaftler eine bessere Unterstützung haben, als sie es vielleicht anderswo bekommen.“ Immer vor dem Hintergrund eines globalen Wettbewerbs. „Wissenschaft ist kompetitiv. Es kommt darauf an, wer schneller die besseren Ergebnisse bekommt.“ Mit Blick auf die GWDG sind der Schlüssel dazu die eigenen Experten und Fachkräfte. Doch auch hier gibt es einen umkämpften Wettbewerb, der sich zumindest aus öffentlicher Hand nicht nur mit Gehalt gewinnen lässt.
Wie wollen wir arbeiten?
Als Geschäftsführer leitet Ramin Yahyapour ein Unternehmen, als Professor hat er einen eindeutigen Bildungsauftrag. Am Mittag hält er eine Vorlesung zum Thema Parallel Computing, danach beantwortet er Fragen der Studierenden. Erst am Abend kommt er dazu, Entscheidungen zu treffen und die Geschäfte zu führen. Die großen Herausforderungen betreffen aktuell vor allem seine Mitarbeitenden und die Art und Weise, wie heute und morgen gearbeitet wird. „Vor Corona haben wir angefangen, Diskussionen zu führen, wie wir künftig arbeiten wollen. Die große Sorge war, dass man den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen verliert. Im Nachgang gab es aber den großen Wunsch, auch weiterhin mobiles Arbeiten zu ermöglichen.“ Denn mittlerweile nutzen rund 80 Prozent der Mitarbeiter die Möglichkeit, auf ein eigenes Büro oder Anwesenheit zu verzichten. „Und dafür wollen wir unser Raumangebot anpassen. Denn wenn sie dann ins Büro kommen, suchen die meisten eben nicht das stille Kämmerlein, sondern es ist ein Bedarf da, mit den Kollegen zusammenzukommen.“ Yahyapour selbst braucht nur seinen Laptop und Internet, um die Geschäfte zu führen. „Allerdings, und das merken alle Mitarbeiter, aber natürlich auch ich als Geschäftsführer ganz besonders: Die Leute wollen einen mal sehen und zufällig begegnen. Natürlich kann jeder einen Termin machen, man kann eine Mail schicken. Aber es gibt schon Bedarf an Kommunikation, die nicht in diese Kategorien hineinpasst.“
Nach der Corona-Pandemie hat die GWDG eine After-Work Veranstaltung eingeführt, um Mitarbeitende aus dem Homeoffice viermal im Jahr wieder gemeinsam am Standort zusammenzubringen. „Heute Abend kommen wir wieder zusammen“, sagt Yahyapour. Es gibt Wein, sorgfältig ausgewählt vom Chef. Kollegen und Angestellte sind eingeladen, Familie und Freunde. Zwischen 60 und 100 kommen am Abend, nehmen das Angebot an.
Abseits der Bits und Bytes steht Ramin Yahyapour gern in der Küche, am Herd und an der Küchenwaage. „Wenn man sich näher damit beschäftigt, ist Kochen der Informatik sehr ähnlich.“ Informatiker haben laut Yahyapour das Bestreben, Grundlagen herauszufinden und zu verstehen, wie ein System funktioniert. „Ich mag es zu verstehen, wie etwas gemacht wurde. Und deshalb kaufe ich Unmengen an Kochbüchern, aber ohne, dass ich etwas nachkoche. Sofern sich die Köche in die Karten schauen lassen, lese ich nach, wie sie es gemacht haben.“ Die Göttinger Küche kennt er mittlerweile sehr gut, gerät ins Fachsimpeln und Schwärmen. Gleiches gilt für alte Autos, die laut Yahyapour dank ihrer oftmals simpleren Technik im Vergleich zu modernen Fahrzeugen voller Emotion stecken. Gibt es die bei all der Technik auch in der Informatik noch? „Ganz viel“, sagt Yahyapour mit einem hörbaren Ausrufezeichen. Denn auch sie lebt von den Menschen. „Das ist von der jeweiligen Person und deren Charakter abhängig. Aber pauschal zu sagen, das ist jetzt sehr trocken und wenig emotional, das ist nicht richtig“, betont der GWDG-Geschäftsführer. „Wir freuen uns alle, wenn wir uns erfolgreich an einem Wettbewerb beteiligen und am Ende den Zuschlag für ein großes Projekt bekommen.“
Als Mitte des Jahres die IT-Systeme verschiedener Forschungs- und Medizineinrichtungen in Deutschland durch Hackerangriffe lahmgelegt wurden, war auch Zeit, sich gemeinsam zu ärgern. „Aber das tue ich selten sehr lang.“
Vielleicht muss er das in Zukunft auch gar nicht mehr. Vielleicht übernimmt das eine KI für ihn. Schon jetzt sind künstliche Intelligenzen auch bei der GWDG ein heißes Thema. Inzwischen werden dafür vermehrt Rechenleistung und Infrastruktur nachgefragt. Vor allem aber der praktische Nutzen in der Forschung stellt die Göttinger Informatiker vor die nächsten großen Herausforderungen. Genau dort sieht Yahyapour auch das Potenzial für eine eigene Fakultät der Informatik in Göttingen. „Es ist ja vollkommen klar, dass wir künftig mehr Studierende mit diesem Know-how benötigen.“ Der Neubau am Burckhardtweg bietet noch Platz für Wachstum – für Ramin Yahyapour, die GWDG, junge kluge Köpfe und als das Rechenzentrum für die Wissenschaft in Deutschland. ƒ