Was bleibt, ist die Veränderung

Erstmals wurde eine Frau zur Chefin der Göttinger Polizei ernannt – als eine von zwei Präsidentinnen niedersachsenweit. faktor sprach mit Gwendolin von der Osten über ihr großes Ziel der Akzeptanz von Frauen bei der Polizei, den Kampf gegen Rassismus und darüber, warum sie sich mit einer Bahncard 100 ihren Kindheitstraum verwirklichte.

Trifft man auf Gwendolin von der Osten, steht man einer dynamischen, fokussierten und sportlichen Frau gegenüber. Der erste Eindruck: Führungspersönlichkeit. Eine Frau, mit klarem Ziel vor Augen. Dabei war ihr Weg zur Polizei eher zufällig. Sie studierte Jura aus dem Gedanken heraus: „Damit kann man bestimmt was machen.“ Verwaltungs-, Verfassungs- und Strafrecht lagen ihr, Zivilrecht eher nicht: „Das muss ich jetzt einfach mal so sagen“, erzählt die heute 50-Jährige lachend, die im Februar dieses Jahres zur Polizeipräsidentin in Göttingen ernannt wurde – die erste in der Leine­stadt und eine von zwei Präsidentinnen niedersachsenweit.

Während ihres Referendariats absolvierte von der Osten eine Station im Innenministerium und wurde dabei auf die seltene Gelegenheit aufmerksam, als Volljuristin in den höheren Polizeidienst einzusteigen. „Das hat mich gereizt, da ich die Polizei bereits damals als extrem handlungs­orientiert empfand“, erzählt sie – etwas, was ihr bis heute sehr liegt. „Juristen denken erst lange nach, bevor sie handeln. Die Polizei handelt, sie muss handeln.“ Auch die Möglichkeit, eine Führungsposition zu übernehmen, war für sie bei ihren Entscheidungen immer schon ein wichtiger Punkt: „Ich arbeite gern mit Menschen, und ich habe diesen Weg gewählt, auch um meine Ideale und Ziele einzubringen.“

Es habe sich jedoch auch viel gewandelt, seit sie sich vor 18 Jahren für den Polizeidienst entschieden hat. „Eigentlich ändert es sich die ganze Zeit“, sagt von der Osten. Noch immer ist diese Institution von dem typischen Bild der Männlichkeitskultur geprägt. „Doch vor allem in den letzten Jahren haben wir es geschafft, viele Stereotype zu überwinden“, erzählt die Polizeipräsidentin. „Wir leben heute Diversität, das ist eins unserer, eins meiner Ziele“, erklärt die frischgebackene Chefin bestimmt, die sich von ­Beginn an verstärkt für die Besetzung von Stellen mit Frauen einsetzt. Die Akzeptanz von Frauen in der Polizei sei gut und die Entwicklung schreite voran, betont sie ausdrücklich. „Wir sind bei knapp 30 Prozent. Nicht schlecht, aber vor uns liegt noch ein langer steiniger Weg.“ Es sei wichtig, die Unterschiedlichkeiten der Mitarbeitenden und Kollegen zu betonen – und zuzulassen, sagt von der Osten, die bereits zuvor viele verschiedene Führungspositionen bekleidet hat, zuletzt als Referatsleiterin Einsatz und Verkehr im Ministerium für Inneres und Sport.

Dabei bringt sie ein durchaus kritisches Verständnis für den Job mit. Denn ihrer Ansicht nach muss sich die Polizei als Staatsgewalt immer und immer wieder überprüfen, sie trägt eine große Verantwortung. Deshalb ist ihr ein vertrauensvolles Auftreten ihrer Kollegen den Bürgern gegenüber ungemein wichtig.

Die gebürtige Braunschweigerin wuchs mit ­einem Theologieprofessor als Vater und einer Psychologin als Mutter auf. Keine klassische Polizeifamilie also, die den beruflichen Werdegang vorgezeichnet hätte. Auch ihre eigenen Kinder haben bislang noch keine Ambitionen gezeigt, es ihrer Mutter beruflich nachzutun. „Grundsätzlich bin ich aber für das Verständnis meiner Kinder sehr dankbar: Sie sind stolz auf mich und meine Arbeit. Und das berührt mich sehr.“ Zu Hause werde zudem viel diskutiert. „Zwei meiner drei Kinder haben bereits ihren Weg gefunden und studieren – alle sind in einem Alter, in dem der Staat auch kritisch gesehen wird.“ Etwas, was sie durchaus positiv sieht, denn die Gespräche mit der jüngeren Generation geben ihr wichtige Impulse für ihre Tätigkeit. In ihrer Leitungsposition ist es von der Osten immens wichtig, dass vor allem auch junge Leute die Arbeit der Polizei verstehen können. „Es sollte von außen nachvollziehbar sein, warum wir welche Entscheidung treffen“, sagt die Präsidentin. Nur so könne es gegenseitiges Vertrauen geben.

Ob sie es bedauert, dass ihre Kinder andere Wege einschlagen? „Ich bin mir nicht sicher. Ich habe einen riesigen Respekt vor der Tätigkeit der Beamtinnen und Beamten, sie sehen täglich so viel Leid und Elend, und das prägt doch sehr.“ Eine besondere Fürsorgepflicht den Mitarbeitenden gegenüber sei deshalb wichtig. Schon allein vor dem Hintergrund, dass das Klima in der Gesellschaft den Polizisten gegenüber rauer geworden sei und es deutlich mehr Übergriffe als früher gebe. Es sei schwer zu erklären, wie es zu diesem Phänomen kommt. „Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass die Polizei als Staats­organ betrachtet wird und sich die Wut über die Politik an ihr entlädt, dass die Einsatzkräfte Maßnahmen ­ergreifen, mit denen die Betroffenen nicht einverstanden sind“, sagt von der Osten ernst, „und dass insgesamt die Hemmschwelle sinkt, das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Beamtinnen und Beamten zu respektieren.“ Aus diesem Grund möchte die neue Chefin ihre Leute auch künftig noch besser schützen. Ein Punkt sei dabei eine bessere Ausrüstung. Daran dürfe es nicht hapern, ebenso wenig an konsequenter Fortbildung und Training.

Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit dem rauen Klima gegenüber den Polizisten steht: In den vergangenen Monaten wurden verschiedene Polizeibehörden in Deutschland von Fällen betroffen, in denen es um rechtsextremes Gedankengut unter Polizeibeamten ging. In Göttingen ist bislang kein Fall bekannt. „Und darüber bin ich sehr froh“, erklärt die Präsidentin. „Wir als Polizei gehen offen mit diesem Thema um und reagieren dort konsequent disziplinarrechtlich, wo es den Verdacht des Rassismus oder der Diskriminierung gibt.“ Das sei auch zwingend nötig: „Täten wir es nicht, würden die Menschen das Vertrauen in uns verlieren. Dabei dürfen wir als Führungskräfte allerdings keine Kultur des Misstrauens einziehen lassen. Ich habe grundsätzlich sehr großes Vertrauen in alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“

Menschen und Strukturen kennenzulernen, ist von der Osten wichtig – Netzwerken habe eine hohe Priorität. „Zuallererst hat mich der Vizepräsident Gerd Lewin durchs Haus geführt und ich habe versucht, mir die Struktur einzuprägen“, berichtet sie und lacht, denn ganz erschlossen habe sie sich das große Gebäude an der Groner Landstraße noch immer nicht. Durch die spontane Veränderung in der Führung hat von der Osten einen Weg gesucht, mit ihrer Ankunft nicht gleich alles auf den Kopf zu stellen. Ihre erste Amtshandlung: mit den Kollegen in den Führungspositionen das Gespräch suchen, um Vertrauen aufzubauen. Kommunikation sei für sie von großer Bedeutung. Sowohl intern als auch mit den Bürgern ,draußen‘. „Durch unsere verstärkte Präsenz in den sozialen Medien und unsere andauernde Einladung, sich die Polizei auch mal von innen anzusehen, wollen wir zeigen, dass wir nichts zu verbergen haben.“ Gerade bei Außen­einsätzen müsse der verbale Austausch zwischen Beamten und Bürgern sensibel ablaufen, die Kommunikation muss stimmen. Was als nettes Kompliment gedacht sei, könne beim Gegenüber vielleicht ganz anders ankommen, beschreibt die Chefin. Mit ihrem Ziel, hier zu schulen, käme sie gut an.

Überhaupt verlief der Start in Göttingen ihrer Einschätzung nach gut. Die Verabschiedung ihres Vorgängers war zwar nicht vorhersehbar, viele Kollegen von der Entscheidung betroffen – trotzdem haben die Mitarbeitenden sie bei sich willkommen geheißen.

Als sie Die Position der Polizeipräsidentin angeboten bekam, musste sie die Entscheidung Knall auf Fall treffen. Göttingen kannte sie schon ein wenig aus der Zeit, als sie in Hann. Münden tätig war. Von dort aus habe sie bereits Stippvisiten in die Universitätsstadt unter­nommen. Doch gab es eine Bedingung der Familie: Der Wohnort bleibt Hannover. Und so hat sich von der Osten schließlich einen Kindheitstraum erfüllt: eine Bahncard 100. „Auf der Fahrt morgens nach Göttingen lese ich die Zeitung und arbeite mich in die aktuellen Aufgaben ein“, erzählt die Pendlerin mit einem Lächeln und hängt dann kurz noch ihren Gedanken nach. „Auf der Rückfahrt entspanne ich, schaue in die Landschaft oder lese tatsächlich auch mal ein Buch.“ Wenn sie dann zu Hause ankommt, sei sie schon halbwegs im Feierabend. „Und dann koche ich.“

Entspannen kann die Präsidentin auch im eigenen Garten – zumindest prinzipiell. „Wir haben Rasen gesät. Der braucht viel Pflege und vor allem viel Geduld. Das ist nicht so meins, ich bin ja eher ungeduldig“, sagt von der Osten augenzwinkernd – und verabschiedet sich: Die nächste Aufgabe warte bereits.

Foto: Alciro Theodoro da Silva

Zur Person

Gwendolin von der Osten ist seit Februar Präsidentin der Polizeidirektion Göttingen. Sie ist Volljuristin und seit 2003 bei der niedersächsischen Polizei in verschiedenen Führungspositionen tätig. 2016 wurde sie schließlich ­Leiterin der Polizeiinspektion Hannover-Mitte, bevor sie im Oktober 2019 als Leiterin des Referats 24 (Einsatz und ­Verkehr) ins niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport wechselte. Von der Osten ist 1971 in Braunschweig geboren, verheiratet und hat drei Kinder. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in Hannover.

TOP

entdeckt, entwickelt & erzählt Erfolgsgeschichten