Sound im Kopf

Auf einem Göttinger Hinterhof hat sich Henning Mohr vor sechs Jahren einen lang gehegten Traum erfüllt: Hier baut er in wochenlanger Handarbeit hochwertige E- und Akustikgitarren sowie Bässe nach Maß für Liebhaber und Kenner aus ganz Deutschland – jedes Stück ein Unikat. Bei einem Besuch in seiner Werkstatt erzählt der gelernte Heilpraktiker vom einzigartigen Klang heimischer Baumarten und davon, wie er sich bis zum Ende seiner Tage beschäftigen wird.

"Ich suche immer nach einem ganz bestimmten Klang."

Was passiert, wenn man dem Meeresrauschen lauscht und dabei in sich hineinhört? Wenn man an einem warmen Wintertag am Atlantik sitzt, die Füße im Sand und sich selber sagt: ‚Ich werde hier erst aufstehen, wenn ich die Frage beantwortet habe: Wie soll der Rest meines Lebens aussehen?‘ Henning Mohr ist 50 Jahre alt, als er sich in seinen alten VW-Bus setzt und wie schon viele Male zuvor nach Portugal fährt. Nur wird er dieses Mal als ein anderer zurückkehren. Als ein Mann, der beschlossen hat, sein Leben zu ändern. „Ich habe gar nicht lange am Meer sitzen müssen – ich wusste nach ein paar Sekunden die Antwort“, sagt Mohr. „Ich werde Gitarren bauen.“ Dass es herausfordernd sein wird, was er sich vorgenommen hat, ist ihm durchaus bewusst. Mohr hat sein Leben lang selbstständig gearbeitet. Mit Mitte Zwanzig eröffnet er seine Praxis als Heilpraktiker, bildet später auch angehende Heilpraktiker aus und verlegt Bücher zu diesem Thema – bis zu jenem Tag am Meer. Mittlerweile verkauft er bis zu 20 Gitarren pro Jahr – noch ausschließlich in Deutschland, doch das soll sich ändern. „Ich brauchte ein ambitioniertes Ziel, weil ich dazu neige, mich schnell zu langweilen“, sagt er nicht ohne Stolz. 

Eine Klingel hat seine Werkstatt nicht. „Rufen Sie mich an, wenn Sie auf dem Hof sind“, erklärt Mohr freundlich am Telefon. Es wirkt wie ein Geheimtipp. Vorne an der Einfahrt ist das Firmenschild eines Malermeisters, aber kein Hinweis auf einen Gitarrenbauer. Auf dem Hinterhof angekommen, öffnet ein weißhaariger Mann mit Zopf und Brille die Tür. Er führt uns durch einen schmalen Gang in seine zwei Räume mit Werkbänken, großen Maschinen und einer Sitzecke mit einer alten Ledercouch. An den Wänden hängen halbfertige und fertige Gitarren und elektrische Bässe auf der einen Seite, auf der anderen lagern zugesägte Holzbohlen in deckenhohen Regalen. „Es gibt inzwischen kaum einen Ort, wo ich lieber bin“, sagt Mohr und zeigt, woran er gerade arbeitet: eine Gitarre für einen Göttinger Musiker, ganz nach dessen Wünschen.

Laut soll sie sein und einen tiefen, vollen Klang haben – diese neue Gitarre, die im Moment noch in einem riesigen Schraubstock eingespannt ist. „Jeder Gitarrenbauer hat seine eigenen Rezepte“, sagt Mohr. Einiges, was er über die Jahre gelernt hat, gibt er regelmäßig in Workshop-Kursen weiter. Aus ganz Deutschland und sogar aus der Schweiz reisen Gitarristen an, um sich in Bovenden diesen Traum zu erfüllen. Drei E-Gitarren-Modelle und drei Bass-Modelle hat er standardmäßig zur Auswahl. Dazu kommen verschiedene Modelle akustischer Gitarren und sogenannte LapSteel-Gitarren, auch Hawaiigitarren genannt, mit Stahlsaiten. Anders als beim gewöhnlichen Gitarrenspiel wird sie vom sitzenden Spieler auf den Schoß (englisch lap) gelegt; die Saiten weisen nach oben. Nicht jeder möchte gleich in eine individuelle Maßanfertigung investieren. Denn eine Gitarre nach Maß kostet zwischen 2.700 und 4.500 Euro – je nachdem, für welches Holz und welche Hardware man sich entscheidet. Dafür fließen bis zu 120 Arbeitsstunden in ein Instrument. Inzwischen hat es sich außerdem herumgesprochen, dass man bei ‚Mohr‘ auch seine alten lieb gewonnenen Gitarren reparieren lassen kann. „Ich kriege viele Instrumente zu Gesicht, die ich vorher noch nie gesehen habe – die urigsten Sachen und sehr viele, sehr alte“, sagt der gebürtige Wolfsburger. Auch deshalb liebt er seinen Job. 

Seine allererste Gitarre, die er in seiner Werkstatt gebaut hat, hängt heute bei ihm zu Hause an der Wand. „Sie ist nicht schön. Man kann sie nicht verkaufen. Aber ich mag sie und spiele gerne auf ihr“, sagt er und schaut sich in seiner Werkstatt um. „Ich habe in meinem Leben viel Musik gemacht und habe daher ziemlich klare Vorstellungen vom Sound“, erzählt er weiter, während er eine Lap-Steel-Gitarre aus seiner Sammlung nimmt und sie sich auf den Schoß legt und spielt. Ein bisschen Hawaii. Ein bisschen Blues. Good old America. Überraschender Weise ist er einer der wenigen Gitarrenbauer, die zugleich Musiker sind. Noch heute spielt er in einer Band und testet dort seine neu entworfenen Gitarrenmodelle, ob sie sich beispielsweise mit ihrem Klang gegen ein Schlagzeug durchsetzen können. „Ich suche immer nach einem ganz bestimmten Klang“, sagt der Hobbymusiker. Er will es anders machen. Experimentiert. Bricht Regeln. Und sucht die Seele jeder einzelnen Gitarre, sucht den Sound, der bereits in ihm selbst schwingt. „Als ich vor mehr als dreißig Jahren mit dem Bau meiner ersten Gitarre anfing, suchte ich nach etwas Neuem. Ich wollte ein Instrument haben, das nicht so aussieht wie eine Paula oder Strat“, sagt Mohr. Unter Musikern sind diese Marken natürlich bekannt und werden von Liebhabern nicht nur erstanden, um gespielt zu werden, sondern auch als Wertanlage. Eine ‚Les Paul‘ von Gibson, liebevoll ‚Paula‘ genannt, kostet an die 5.000 Euro. Die meistverkaufte Gitarrenmarke der Welt ist die ‚Strat‘ oder Fender Stratocaster. Sie ist zugleich die teuerste Gitarre aller Zeiten, die für 2,7 Millionen US-Dollar für einen karitativen Zweck versteigert wurde. Mick Jagger, Keith Richard, Eric Clapton, Paul McCartney und Sting, um nur einige zu nennen, haben sie signiert. 

Mohr ist stolz, dass er es geschafft hat. „Ich bin der beste Beweis, dass man keine Lehre braucht, um etwas zu erlernen“, sagt er – obwohl er gerne eine Ausbildung zum Zupfinstrumentenmacher gemacht hätte. Doch niemand wollte einen Fünfzigjährigen ausbilden. Also absolvierte er stattdessen mehrere Praktika in ganz Deutschland, lernte die notwendigen Arbeitsschritte und das Holz zu verstehen. „Alles hängt am Holz, absolut alles“, sagt er. „Die Länge der Fasern und die Dichte bestimmen, wie das Holz klingt.“ So verwendet Mohr für den Bau seiner Gitarren viele Hölzer, die im Gitarrenbau eher unüblich sind, wie Hainbuche, Eberesche oder Akazie.

Die Decke einer akustischen Gitarre ist ihr Herzstück. Ihre Beleistung und Formung machen den Sound aus. ‚Du kannst die Decke nicht auf Spannung verleimen, das reißt‘ – haben ihm Kollegen gesagt. Und Henning Mohr? Er sagte: Ich weiß, dass es geht. „Ich gehe bei der Konstruktion der Decken neue Wege, und der Sound meiner Gitarren gibt mir recht. Diese neuen Wege habe ich allerdings in den Anfangsjahren mit der einen oder anderen Gitarre bezahlt, die im Feuer landete, weil sie zu nichts anderem zu gebrauchen war.“ „Man muss vor allem Geduld haben“, sagt der 56-Jährige. Meint damit aber vor allem die lange Zeit, die ein Holz benötigt, bis es verarbeitet werden kann. Vier bis fünf Jahre liegt es bei ihm im Lager. Es ist inzwischen gut gefüllt mit einheimischen Hölzern – vorwiegend gekauft bei regionalen Holzhändlern und Sägewerken: Zwetschge, Erle, Kirschbaum, Eichenholz aus dem Moor, Esche, Birne, Apfelbaum. Und Nussbaumholz aus Kanada – vor allem, weil es dort in Wäldern geerntet werden kann. Er zieht ein paar Bretter aus den Stapeln und streicht liebevoll darüber. „Was Sie bei mir nicht finden werden, sind Tropenhölzer“, sagt Mohr. Den Raubbau mit gefälschten Zertifikaten möchte er nicht unterstützen. Zumal die heimischen Baumarten in Klang und Aussehen dem verbotenen Rio-Palisander in nichts nachstehen. 

„Ich habe ein Thema gefunden, mit dem ich mich bis ans Ende meiner Tage beschäftigen kann“, sagt er zufrieden lächelnd. Ein paar Ziele hat er als rastloser Geist dennoch. In diesem Jahr will er gezielt namhafte Musiker im In- und Ausland ansprechen und ihnen seine Modelle anbieten. „Eine Auswahl habe ich schon im Kopf. Alle sind Musiker, die ich sehr mag und deren Musik zum Sound meiner Instrumente passt. „Für einen anderen Traum lernt er derzeit Spanisch mit einem Podcast, während er in seiner Werkstatt steht und seine Gitarren baut. „Ich möchte in Spanien lernen, wie eine echte Flamenco-Gitarre gebaut wird“, erzählt er. Vor einiger Zeit hat er probiert, eine solche zu bauen. „Aber sie klingt nicht gut.“ Es gäbe Techniken, das Holz zu formen, zu biegen, zu spannen. Rezepte, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und sich in keinem Lehrbuch finden. Mohr hofft, dass er eines Tages auch bei den Flamenco-Gitarren zu den Eingeweihten gehören wird – und er seinen Sound in die Welt bringen kann. ƒ

Kontakt
Mohr Guitars Gitarrenbau
Göttinger Straße 46
37120 Bovenden
info@mohr-guitars.de
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