Am laufenden Band bei Next Pharma

Der Arzneimittelhersteller NextPharma feiert sein 75-jähriges Bestehen in Göttingen. Jährlich versorgt uns das Unternehmen mit über neun Milliarden Tabletten – die Pillen gegen Kopfschmerz und Co. erhalten wir in jeder Apotheke.

„Und so bin ich hiergeblieben weil sich immer Möglichkeiten ergeben haben, die ich wahrscheinlich bei einem großen Unternehmen nicht bekommen hätte.“­

Zum Unternehmen

Die komplizierte Geschichte von NextPharma in Göttingen

1946 wurde in Göttingen die Penicillin-Gesellschaft Dauelsberg gegründet, die zunächst aus dem Urin von US-Soldaten Penicillin zurückgewann, weil im Nachkriegsdeutschland ein hoher Bedarf daran bestand.


1976 wurde die Firma von SmithKline übernommen.


1990 kaufte die Gehe AG den Standort und gründete daraus die allphamed Arzneimittelgesellschaft.


1996 kaufte die Bielefelder Pharbil Pharma den Standort.


1999 wurde die PenCef Pharma als Joint Venture mit der Haupt Pharma AG gegründet. Die allphamed Arzneimittel­gesellschaft und PenCef Pharma existieren – unter dem Dach der NextPharma als eingetragene Unternehmen am Standort Göttingen – noch heute.


2000 wurde aus den beiden Standorten Bielefeld und Göttingen im Rahmen einer Restrukturierung des Unternehmens die NextPharma gegründet, die seither ihre Standorte durch gezielte Zukäufe erweitert.

Ich wage zu behaupten, dass es in Deutschland keine Apotheke gibt, in der Sie nichts aus unserer Produktion finden“, sagt Georg Althaus, Leiter des NextPharma-Standorts in Göttingen. Rund um die Uhr werden hier die gängigsten Arzneimittel hergestellt und in die ganze Welt verschickt – wie Ibuprofen, Paracetamol oder Blutdrucksenker. Insgesamt werden jährlich ungefähr acht Milliarden Tabletten und 1,2 Milliarden beschichtete sogenannte Filmtabletten abgepackt.

Produktion im Hintergrund

Zur europaweiten NextPharma-Gruppe gehören neun jeweils klar spezialisierte Produktionsstandorte: Fünf davon sind in Deutschland, zwei in Frankreich sowie jeweils einer in Finnland und Schottland. Göttingen ist auf feste Arzneiformen spezialisiert. NextPharma tritt selbst jedoch nie namentlich in Erscheinung, denn die Gruppe ist ein sogenannter Lohnhersteller oder genauer eine CDMO: Contract Development Manufacturing Organisation.  „Wir haben keine eigenen Produkte, sondern produzieren und entwickeln Arzneimittel für andere Kunden“,  erklärt der Werksleiter Georg Althaus. Das bedeutet konkret: NextPharma übernimmt wahlweise die Produktion auf Basis eines Rezepts und Patents eines Pharmaunternehmens oder erhält den Auftrag, etwa eine Kopfschmerztablette bis zur Marktreife zu entwickeln.

Es sind dieselben Kompetenzen wie in einem Pharmaunternehmen, die NextPharma unter seinem Dach vereint. Dass man sich dennoch aus der Entwicklung und dem Vertrieb von Eigenprodukten heraushält, hat sowohl praktische Gründe als auch Kostengründe. Denn nach der Produktentwicklung kommt der deutlich kostenintensivere Teil. Bevor eine Arznei zugelassen wird, müssen klinische Studien durchgeführt werden, zudem stehen Stabilitätsuntersuchungen und die Prozessvalidierung an. Nach der Zulassung kommt das Marketing für neue Produkte – in einem Markt, in dem in Deutschland schon knapp über 100.000 Arzneimittel vorhanden sind.

Stattdessen profitiert NextPharma von den Marktbedingungen in der Branche. „In der Pharmaindustrie gibt es einen großen Preisdruck“, sagt Althaus. Da lohne es sich nicht für jeden Kunden, eine eigene Produktion aufzubauen. Im Gegenteil gebe es sogar den Trend, dass selbst große Pharmaunternehmen ihre Produktion auslagern – „da das nur ein kleiner Teil der Wertschöpfungskette ist, aber viel Arbeit bedeutet“, erklärt der promovierte Apotheker. Diese Auslagerungstendenzen betreffen vor allem kleinere und mittlere Volumina, denn nicht jedes Arzneimittel ist ein Blockbuster, der in milliardenfacher Stückzahl gefertigt wird. „Bei einer Milliarde Tabletten stellt man die Maschine einmal ein, und dann läuft sie das ganze Jahr. Bei einer Million Tabletten lohnt sich das einfach nicht.“ Gleiches gilt auch für Arzneimittel, deren Patentschutz ausgelaufen ist, was die Gewinnmargen deutlich reduziert.

Durchsetzungsstark gegenüber der Kokurrenz

Dass Lohnhersteller gefragt sind, zeigen die Zahlen von NextPharma. Am Standort Göttingen ist die Mitarbeiterzahl in den letzten zehn Jahren von 260 auf aktuell rund 430 gewachsen, der Umsatz hat sich allein in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Konzernweit erwirtschaften die etwa 2.000 Mitarbeiter einen Umsatz von rund 300 Millionen Euro bei einer jährlichen Wachstumsrate des Ergebnisses von 14 Prozent.

Konkurrenz im Segment der Lohnhersteller gibt es reichlich, doch NextPharma hat es geschafft, unter die Top 10 in Europa aufzusteigen. „Gelungen ist uns das, weil wir uns auf attraktive Technologien und teils auch Nischen spezialisiert haben“, sagt Althaus. Denn in Göttingen werden nicht etwa nur Tabletten produziert, auch wenn das den Hauptumsatz ausmacht. Außer der Produktion werden Arzneimittel auch neu entwickelt und analytische Methoden konzipiert, anhand derer sich die korrekte Wirkstoffzusammensetzung eines Produkts überwachen lässt – es werden mikrobiologische Prüfungen durchgeführt, mit denen beispielsweise Sonnencremes darauf geprüft werden, ob sie mit Keimen belastet sind. Und dann gibt es noch ein weiteres Standbein, allerdings ein noch relativ neues: die Produktion klinischer Prüfmuster. Hier werden in Kooperation mit Kliniken kleine Chargen noch nicht zugelassener Produkte gefertigt, die dann in klinischen Tests zum Einsatz kommen.

Damit setzt NextPharma die lange Tradition findiger Arzneiproduktion fort, mit der 1946 am Standort Göttingen alles begann. Die damals gegründete Penicillin-Gesellschaft Dauelsberg sah im Nachkriegsdeutschland den hohen Bedarf an Penicillin-Antibiotika zur Behandlung von Kriegsverletzungen. Da die Nachfrage jedoch bei Weitem nicht gedeckt werden konnte, wurde man kreativ: Da US-Soldaten gut mit Antibiotika versorgt waren, filterte man in der Penicillin-Gesellschaft kurzerhand den Wirkstoff aus dem Urin der Soldaten zurück.

Wachstum am Standort Göttingen

Dass sich Göttingen, als größter Standort der NextPharma- Gruppe, so gut entwickelt hat, sei auch dem Umfeld geschuldet. „Apotheker werden zwar nicht an der Universität ausgebildet“, sagt Althaus, „aber wir finden hier Ingenieure und Biologen mit einer sehr guten Grundausbildung. Das hat geholfen, das Unternehmen so schnell voranzubringen.“ Der 43-Jährige nimmt Göttingen als einen sehr innovationsfreundlichen Standort wahr, weshalb es auch den erklärten Willen gebe, hier zu bleiben. Dazu trage auch die sehr gute Zusammenarbeit mit den Genehmigungsbehörden bei.

Aktuelles Beispiel für die schnellen Verfahren und das starke Wachstum ist eine Investition von 15 Millionen Euro, die NextPharma hier im vergangenen Jahr getätigt hat. Das Investitionsprojekt, das innerhalb von zwölf Monaten umgesetzt wurde, umfasste den Bau eines 1.000 Quadratmeter großen Gebäudes auf zwei Ebenen mit zusätzlichen Produktionsanlagen im Erdgeschoss – zum Mischen, Granulieren, Tablettieren und Befilmen. Keine leichte Aufgabe auf dem seit 1946 organisch gewachsenen Werksgelände in der Stadt – bei laufender Produktion und fast kontinuierlichem Lieferverkehr. Doch es hat sich gelohnt: Dadurch hat sich die Kapazität in Göttingen noch einmal um 25 Prozent erweitert.

Die Investition ist Teil einer breiteren Erweiterungsstrategie an allen Standorten der Gruppe, die stark wachsen – trotz der Herausforderungen durch die Pandemie. So ist etwa durch die Lockdownmaßnahmen die Nachfrage nach Antibiotika, Husten- und Schnupfenarzneimitteln sowie Grippemedikamenten um bis zu 80 Prozent eingebrochen. „Zum Glück sind wir jedoch sehr vielfältig aufgestellt und haben einen breiten Kundenstamm“, sagt Georg Althaus. „So konnten wir die Krise ausbalancieren und dennoch weiter wachsen.“ Und eben dieses dynamische Wachstum eröffnet auch den Mitarbeitern Chancen. So sind im Führungsteam viele Mitarbeiter um die 40 – der neue Lagerleiter ist noch keine 30. „Wir sind ein relativ junges Team und diese Chance, in Führungspositionen hineinzuwachsen, ist wichtig, wenn wir neue Mitarbeiter suchen“, so Althaus. Der Standortleiter ist selbst das beste Beispiel dafür. „Ich wollte nach meiner Promotion eigentlich nicht zu einem Lohnhersteller, sondern zu einem der großen Pharmakonzerne. Allerdings war die Stellenausschreibung in Göttingen als Assistenz des Herstellungsleiters sehr spannend.“ Dadurch, dass das pharmazeutische Aufgabenspektrum sehr vielfältig ist, habe der Mittelständler ihm die Chance geboten, viele Bereiche kennenzulernen. Schon nach einem Jahr wurde Althaus Abteilungsleiter in der Tablettenherstellung, später in der Entwicklungsabteilung, hat sich weiterqualifiziert und durfte schließlich Arzneimittel für den Markt freigeben. 2015 erhielt er das Angebot, die Werksleitung zu übernehmen. „Und so bin ich hiergeblieben – weil sich immer Möglichkeiten ergeben haben, die ich wahrscheinlich bei einem großen Unternehmen nicht bekommen hätte.“ Für den gebürtigen Eichsfelder zudem eine Gelegenheit, in der Region zu bleiben.

Hohe Qualitätskontrolle

Etwa ein Viertel aller Mitarbeiter sind derweil in der Qualitätskontrolle und -sicherung tätig. Das hat mit den hohen Standards zu tun, die eingehalten werden müssen – und die für einen regen internationalen Besuch im Göttinger Werk sorgen. Rund 150 Kunden auf sechs Kontinenten beliefert NextPharma, und die Vorgaben aller Länder sowie der Kunden müssen eingehalten werden. Um zu überprüfen, dass das auch passiert, geben sich Inspektoren der jeweiligen Zulassungsbehörden und Kunden quasi die Klinke in die Hand. „Wir haben jede Woche mindestens eine Inspektion oder ein Audit“, so Althaus. „Das ist alles andere als business as usual und tatsächlich auch immer wieder aufregend.“

Jedes Jahr gibt es andere Schwerpunkte der Inspektoren, auch national gibt es unterschiedliche Prioritäten. „Eine Inspektorin aus Afrika wollte wissen, wo unser Wasser herkommt“, erzählt der Werksleiter. Was für uns selbstverständlich ist – nämlich, dass es sauber aus dem Hahn kommt –, ist in Uganda und Kenia anders.“ US-Inspektoren der Food and Drug Administration legten hingegen viel Wert auf eine harte Dokumentation und Nachvollziehbarkeit aller Prozesse, um sich gegen eventuelle Klagen abzusichern. Insofern müsse man sich immer wieder überraschen lassen, was auf einen zukommt, so Althaus.

Von dem Imageproblem der Pharmabranche sieht Althaus sein Unternehmen als Lohnhersteller nicht direkt betroffen. „Wir sind ein Servicebetrieb und produzieren für andere“, sagt der Standortleiter. Bei aller Kritik werde sehr oft vergessen, wie viel Arbeit und Kosten in der Entwicklung von Arzneimitteln stecken. „Wir sehen jedes Jahr, mit wie vielen Firmen wir Projekte starten und wie viele Entwicklungen bis zur Marktreife pulverisiert werden.“ Nur eine von neun schaffe diesen Weg. „Darum sollte man sich auch bewusst machen, dass wir am Ende Menschen helfen und sie heilen wollen.“ƒ

Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Zur Person

Georg Althaus kam vor 43 Jahren im Eichsfeld zur Welt. Nach dem Studium der Pharmazie in Marburg promovierte er im Bereich Pharmazeutische Technologie an der Universität Würzburg. 2006 fing er als Assistent der Herstellungsleitung bei NextPharma in Göttingen an. 2008 übernahm er die Abteilungs­leitung der Tabletten­produktion, 2010 wurde er Leiter der Entwicklungs­abteilung, 2014 Produktionsleiter – und seit sechs Jahren leitet Althaus den gesamten Standort.

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