Der Zug nimmt wieder Fahrt auf
40 Jahre Marketing Club Göttingen: Zeit, neue Wege zu gehen – für den langjährigen Präsidenten Gerhard Sauer, aber auch für den neuen Vorstand des Berufsverbands.
Der Marketing Club Göttingen feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag – und steht vor einer kleinen Zeitenwende. Nach dem Ende der Ära Gerhard Sauer, der sich nach über zwei Jahrzehnten als Präsident und Gesicht des Berufsverbands im vergangenen Jahr nicht wieder zur Wahl gestellt hat, steht der neu gewählte Vorstand nun vor gleich zwei Herausforderungen: Es gilt zum einen, die hinterlassenen großen Fußstapfen mit frischen Ideen zu füllen, um den Verein auch in die Zukunft zu führen, zum anderen ist das Vereinsleben durch anderthalb Jahre pandemiebedingte Zwangspause quasi zum Erliegen gekommen.
Hinzu kommt noch ein Trend, den es dabei zu berücksichtigen gilt: Wirtschaftsförderungen, Branchennetzwerke und Verbände haben in den letzten Jahren alle ihre Foren fürs Netzwerken geschaffen. Zwischen Unternehmerfrühstücken und Wirtschaft-meets-Wissenschaft-Speeddating ist es für engagierte Akteure inzwischen schwer, den Überblick zu behalten – inhaltliche und terminliche Überschneidungen sind keine Seltenheit. Damit wächst auch für den Marketing Club die Herausforderung, seinen Mitgliedern auch weiterhin den berühmten Mehrwert zu bieten.
Seit 40 Jahren Teil des Netzwerks
Der Marketing Club Göttingen ist seit 40 Jahren Teil eines bundesweiten Netzwerks, das in Marketing und Kommunikation Tätige zusammenbringt. Insgesamt 62 regionale Marketing Clubs gibt es in Deutschland, zusammengeschlossen sind sie unter dem Dach des Deutschen Marketing Verbandes (DMV) und teilweise schon seit über 70 Jahren aktiv. Während der DMV um die 14.000 Mitglieder hat – vom Telekom-Vorstand bis zum Studenten –, zählt der Göttinger Verein stabil um die 100 Mitglieder und hat dabei einen recht großen regionalen Einzugsbereich. Der nächste Club im Norden sitzt in Goslar und in Richtung Süden in Kassel.
Umso wichtiger ist die Qualität der Vereinsaktivitäten, in deren Kern bislang jährlich etwa zwölf Veranstaltungen mit Fachvorträgen standen. Das stete Ziel: ein interessanter Redner zu einem aktuellen und visionären Thema an einer passenden Location. „2018 hatten wir zum Beispiel Peter Kowalsky eingeladen, den Erfinder der Bionade, der darüber gesprochen hat, wie Start-ups mit Mut und neuem Denken erfolgreich sein können“, erzählt Ex-Präsident Gerhard Sauer. Im Vorfeld standen drei bis vier Monate Planungsvorlauf und immer ein wachsames Auge, um auf plötzliche Ereignisse und Veränderungen reagieren zu können. Bei der Suche nach geeigneten Speakern halfen immer wieder auch Sauers gute Verbindungen zu anderen Clubs. Die Clubs aus dem Norden trafen sich zum Beispiel viermal im Jahr und tauschten sich über ihre Aktivitäten aus. „Dadurch knüpft man schon viele Kontakte“, sagt Sauer. „Wollten wir beispielsweise etwas zum Thema Autos machen – ich kenne jemanden bei VW.“
Stabilität und Aufbruch
Die Ära Sauer war gleichbedeutend mit Stabilität. Und gleichzeitig hat er den Marketing Club stets vorangetrieben, indem er ihn auch mit vielen anderen Netzwerken und Partnern der Region zusammenbrachte – zur gegenseitigen Bereicherung und zum Know-how-Austausch. Daran gilt es nun anzuknüpfen und darauf aufzubauen. „Ich habe mich dazu entschieden, diese Zäsur auch als Aufbruch zur Weiterentwicklung des Vereins zu nutzen“, erklärt Ulrich Büchner, der selbst bereits rund 20 Jahre Mitglied im Club ist und seit dem vergangenen Jahr – an der Seite von Thomas Franke, Carsten Wiegmann und Waldemar Toporowski – als neuer Präsident den Vorstand repräsentiert. Denn: „Die Corona-Zeit war lange Stillstandzeit, das ganze Wirtschaftsleben war wie eingefroren“, sagt Franke, im Vorstand für den Programmbereich zuständig. Trotz zahlreicher Anläufe waren persönliche Treffen wiederholt gescheitert. „Unser Verein lebt jedoch vom persönlichen Austausch“, erklärt Büchner. Grob gebe es drei Mitgliederprofile: Menschen aus dem Wissenschaftsbereich, Angestellte im Marketing von Unternehmen sowie unternehmerisch Selbstständige. „Alle haben einen ganz unterschiedlichen Blick auf das Marketing, und unsere Treffen bieten die Chance, die Perspektiven der anderen zu erfahren, ohne dass man das Gefühl hat, der andere will einem etwas verkaufen.“ Es seien oftmals diese ,Gespräche danach‘, die den Mitgliedern persönlichen Mehrwert bringen, betont Franke. „Man unterhält sich nach den Veranstaltungen noch lange, bekommt fachlichen Input und kommt so auch dazu, seine Standpunkte zu hinterfragen. Das ist mir persönlich immer sehr wichtig gewesen.“ Er betrachtet diese Treffen als geschützte Räume, auch für sensiblere Themen.
Nun stellt sich für den Vorstand die Frage: Wie schafft man es, diesen Wesenskern der Vereinsarbeit zu erhalten sowie gleichzeitig neue Wege zu gehen und spannende Formate zu etablieren? Gespräche mit Mitgliedern haben gezeigt: Es muss sich etwas ändern. Franke beobachtet etwa den zunehmenden Trend, dass viel stärker auf die Trennung zwischen Berufsleben und überschaubarer Freizeit mit Familie geachtet wird. „Deswegen haben Führungskräfte mich direkt gefragt: Das ist ein Berufsverband – warum treffen wir uns da nicht nachmittags?“, erzählt Büchner. „Die Vortrags-Events haben bei uns stark überwogen, daneben gab es Unternehmensbesuche, Unterhaltungsformate oder solche zur Gemeinschaftsbildung. Aber mit diesen Formaten können wir die Leute nicht mehr gewinnen. Das war auch vor Corona schon abzusehen.“
Was also ist die Lösung? Im Marketing Club ging das erste digitale Format erst Anfang dieses Jahres mit einem virtuellen Unternehmensbesuch an den Start. Eine erste Präsenzveranstaltung hat auch bereits wieder stattgefunden – mit regem Interesse und langen Gesprächen. „Wir wollen diese geschützten persönlichen Gesprächsräume erhalten“, erklärt Franke, „gleichzeitig aber auch digitale Formate stärker nutzen und kleinteiliger werden, indem wir stärker die fachlichen Interessen unserer Mitglieder adressieren.“ Auch sei der Plan, stärker in die Region hinauszugehen und neue Mitglieder anzusprechen. „Wir sind gerade mitten in diesem Entwicklungsprozess, die Themen der Zukunft in konkrete Formate zu übersetzen.“ Sich angesichts von 40 Jahren Geschichte neu zu erfinden – das könne am Ende nicht der Vorstand allein, so Büchner. „Das geht nur auf einer breiten Basis“, sagt der neue Präsident. Deswegen sollen möglichst viele Mitglieder mitgenommen und mit ihren Ideen beteiligt werden. Eine konkrete Zielmarke für den kompletten Neustart hat Büchner jedoch vor Augen: „Im Oktober feiert der Verein sein Jubiläum. Das wollen wir als Auftakt nehmen, um wieder richtig durchzustarten.“ƒ