Essbarer Erfolg bei Kulero

Juliane Schöning und Hemant Chawla von Kulero haben den Zeitgeist getroffen: Nach dem Verbot von Kleinplastik liegen die schmackhaften Löffel des Göttinger Start-ups voll im Trend. So sehr, dass die Gründer es bis in die TV-Sendung ,Die Höhle der Löwen‘ schafften – wenngleich sie den Deal dann platzen ließen.

Manches Kind freut sich auf den essbaren Eislöffel mit dem Schoko­geschmack fast mehr als auf das eigentliche Eis. Das ist eine der Erfahrungen, die in Göttinger Eisdielen mit den essbaren Löffeln von Kulero gemacht wurden. Das Verbot von Kleinplastik wie etwa Einwegbesteck hat einen neuen Markt geschaffen, in dem sich viel tut und der es der Göttinger Kulero GmbH ermöglich hat, sich in kurzer Zeit deutschlandweit einen Namen zu machen. Nicht zuletzt hat dazu Anfang April auch der TV-Auftritt bei der Start-up-­Finanzierungsshow ,Die Höhle der ­Löwen‘ auf VOX beigetragen – aber dazu später mehr.

„Wir sind 2021 zwei Jahre alt geworden, und es ist unvorstellbar, wie viel in dieser kurzen Zeit passiert ist“, erzählt Juliane Schöning, die das Unternehmen zusammen mit Hemant Chawla gegründet hat. Gerade erst ist das Start-up nach Grone Süd umgezogen, weil die alten Räumlichkeiten zu klein waren. „Einfach war es nicht, etwas Bezahlbares zu finden, das uns Lager und Büroflächen unter einem Dach bietet“, sagt Schöning. Und so wäre es fast nach Northeim gegangen, wenn sich nicht das Team, das zu einem großen Teil aus Studenten besteht, deutlich für Göttingen ausgesprochen hätte. Vier Mitarbeiter in Vollzeit arbeiten inzwischen bei Kulero, hinzu kommen acht Minijobber. „Wir sind mitten in der Wachstumsphase“, so Schöning. „Deswegen herrscht bei uns noch etwas Chaos und Stress – schließlich verändert sich einfach alles.“

Und das ist nur der deutsche Teil der Erfolgsgeschichte. Die Ursprünge von Kulero reichen noch zwei Jahre weiter zurück und führen nach Indien. Dort gründete der gebürtige Inder Hemant Chawla bereits 2017 sein erstes ,Essbare-Löffel-Unternehmen‘. Die Idee kam Chawla bei einem Streetfood-Festival, bei dem irgendwann das Besteck ausging und mithilfe von Brot das Hauptgericht gegessen wurde. „Das hat gut funktioniert, aber ich habe mich gefragt, ob man das Brot nicht mit der Löffelform kombinieren kann, und dann zu Hause in der Küche etwas entwickelt.“ Die Idee schlug ein, vor allem, weil Indien bereits 2018 aus dem Einwegbesteck ausgestiegen ist. Das Unternehmen entwickelte sich so gut, dass es bereits vor der Corona-Pandemie 70 Mitarbeiter hatte.

Hemant Chawla und Juliane Schöning lernten sich 2019 kennen, als sie über dieselbe Organisation einen Freiwilligendienst absolvierten – Chawla in Deutschland, Schöning in Indien. Im Rahmen eines internen Seminars stellte Chawla seine Löffel-Idee vor, die Schöning begeisterte. So beschlossen sie noch im selben Jahr, gemeinsam auch in Deutschland ein entsprechendes Unternehmen zu gründen. Kulero war geboren.

Kulero heißt im Esperanto ,Löffel‘ und bezeichnet damit das Kernprodukt der Firma. Kern gleich im doppelten Sinne, denn die Produkte sind zwar essbar, müssen aber auch einiges aushalten und entsprechend stabil und ausdauernd sein: 30 Minuten in heißen Suppen oder Kaffee, 60 Minuten im Speiseeis. Die erste Behördenfrage bei der Unternehmensgründung war dann auch: Sind die Produkte denn nun ein Lebensmittel oder ein Besteckartikel? Und keine Behörde wusste so recht, wer zuständig ist. Geworden ist es letztlich ein Lebensmittel, offiziell ein Keks. Den wiederum gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Den Esslöffel in Pfeffer, Masala, neutral oder schokoladig, die kleinen und mittleren Eis- und Dessertlöffel hingegen nur in schokoladig oder neutral.

Von anderen Gaumenfreuden hat man sich schon wieder verabschiedet: Anis, Spinat und Rote Bete sahen zwar farblich gut aus, haben aber auf der Zunge nicht funktioniert. Doch die Suche nach Varianten – in Form und Geschmack – geht weiter. Kulero kooperiert auch mit anderen Herstellern, die etwa essbare Kaffeebecher und Teller herstellen und so die Angebotspalette ergänzen – wer will, kann bei Kulero einen vollständigen Picknickkorb bestellen.

Momentan bestehen die Löffel noch aus etwas Getreide­mehl und Kleie oder Haferschalen, das Weizenmehl soll jedoch bald ersetzt werden – die Bio-Eislöffel kommen bereits ohne Weizen und Gluten aus. Die Haferschalen sind ein Reststoff aus der Lebensmittelindustrie, der nicht nur wichtige Ballaststoffe liefert, sondern – statt weggeschmissen zu werden – in den Kulero-Löffeln eine sinnvolle Nutzung erfährt.

Für die Produktion wurde über ein befreundetes Start-up ein Kekshersteller in Baden-Württemberg gefunden, mit dem zusammen an der Weiterentwicklung der Produktpalette gearbeitet wird. „Da müssen wir etwas experimentieren“, erklärt Juliane Schöning. „Denn was in unserer Versuchsküche gut funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig auch auf den großen Maschinen.“ Ebenso anspruchsvoll ist die Entwicklung neuer Formen wie etwa der von Gabeln. Das eigene private Ex­perimentieren und Backen, mit dem Kulero seine ersten Produkte entwickelt hat, hat aber bei Weitem noch nicht ausgedient, insbesondere, wenn es um schnelle Produkt­entwicklung geht. „Vor Weihnachten stand ich zum Beispiel in meiner Küche und habe überlegt, was man verschenken kann“, sagt Schöning. „Herausgekommen ist eine Trinkschokolade am essbaren Löffel.“

Die Perspektiven für Kulero sind glänzend und so wundert auch nicht das selbst gesteckte Ziel: „Wir wollen langfristig Marktführer im Essbare-Löffel-Markt werden und streben einen Marktanteil von 40 Prozent an“, betont Hemant Chawla. Im immer noch etwas improvisiert wirkenden Besprechungsraum steht eine Flipchart, darauf Marketingziele und zugeordnete Mitarbeiter, nebenan klackern die Tastaturen und klingeln die Telefone.

Abgesehen davon, dass die essbaren Löffel voll im Trend liegen, hat auch der Auftritt bei der Start-up-Show ,Die Höhle der ­Löwen‘ einen großen Schub hin zum Ziel bedeutet. In den Wochen nach der Ausstrahlung der Sendung rund um Ostern dieses Jahres trafen über 2.000 Bestellungen im Onlineshop ein. Darunter auch größere Bestellungen etwa für Hochzeiten und ­andere Veranstaltungen. „Wir haben aber auch gemerkt, dass der Online­vertrieb an Privatkunden nicht unser Haupt­vertriebs­kanal werden wird“, so Chawla. Stattdessen konzentriert sich das Team deutlich stärker auf Großkunden.

Großabnehmer sind etwa Eisdielen, auch in einigen ­Supermarktketten sind die Produkte bereits gelistet, und mit der Deutschen Bahn wird derzeit über die Lieferung von Kaffeestäbchen geredet. „Wir haben aber auch ganz neue Kundengruppen für uns entdeckt“, sagt Chawla. Strafanstalten und psychiatrische Kliniken etwa. „Da geht es nicht so sehr um Nachhaltigkeit, sondern um Sicherheitsaspekte, da das Besteck nicht als Waffe oder zur Selbstverletzung verwendet werden kann.“ Inzwischen beliefert Kulero rund 30 Prozent der Jugendvollzugs­anstalten in Deutschland.

Auch wenn sich Kulero noch vorrangig auf den deutschen Markt konzentriert, ist der Sprung in europäische Nachbarländer bereits geglückt. Ebenso ist den Gründern aber auch der Direktkontakt zu einzelnen Eisdielen jenseits der Großhändler wichtig. „Wir sind ja noch mitten in der Lernphase, da ist es wichtig, wenn man direkt mit dem Kunden sprechen kann und Feedback bekommt“, so Chawla. Das gibt es auch gleich vor Ort, denn inzwischen sind in fast allen Göttinger Eisdielen die Kulero-Löffel erhältlich, wenn auch manchmal nur auf gezielte Nachfrage. Anfangs wurde dafür gelegentlich auch ein kleiner Aufpreis verlangt – oder es war von der Bechergröße abhängig, ob es den Löffel dazu gab, denn die Kosten sind natürlich höher als beim Plastiklöffel. Doch das scheint sich zu ändern. Mit dem Wegfall der Plastikkonkurrenz gibt es nicht mehr viele Alternativen – die Löffel aus Holz sind etwa genauso teuer wie die von Kulero.

Das Marktpotenzial, aber auch der nachhaltige Ansatz waren gute Argumente, mit denen Kulero Investoren gewinnen konnte. Selbst Bahlsen hatte Interesse an einer Kooperation, die dann jedoch am Ende nicht zustande kam. „Nach unserem Auftritt in ,Die Höhle der ­Löwen‘ hatten wir sogar mehrere Angebote“, erzählt Schöning. Am Ende haben sie sich aber dagegen entschieden und mehrere kleinere bis mittelgroße Investoren für insgesamt knapp 15 Prozent Unternehmensanteile mit ins Boot geholt. Darunter ist Soulbottles aus Berlin, die Mehrwegflaschen herstellen und sich für weniger Plastik in der Umwelt einsetzen und zur Erreichung ­dieses Ziels auch andere Start-ups mit demselben Ziel unterstützen. „Unseren Investoren ist es wichtig, sich langfristig zu engagieren“, betont die Jungunternehmerin noch. „Und einigen ist zudem die gesellschaftliche Relevanz unseres Ansatzes wichtig.“ Der scheint auch bei den beiden Gründern ungebrochen durch. „Wir wollen etwas aufbauen, wir streben keinen Exit an, indem wir das Unternehmen schnell verkaufen.“

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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