Die Ess-Löffel von Kulero

Plastikmüll türmt sich zu Bergen, verschmutzt unsere Umwelt und findet sich sogar schon als Mikropartikel in lebenden Organismen wieder. Auf Partys und unterwegs wird noch viel zu oft Wegwerfbesteck verwendet. Die Göttinger Gründer von Kulero haben die Lösung: funktionstüchtige, essbare Löffel!

Sie sind Fans. Fans des Produkts, das sie vermarkten. Und sie werden neue Fans finden – Kunden. Denn das Produkt fällt in den Zeitgeist: „Weg mit dem Plastik! Wegwerfartikel, pfui!“ Und es könnte einen großen Teil der über zwei Milliarden Teile Einwegbestecke ersetzen, die alleine in Deutschland jährlich anfallen. Sie, das sind sechs junge Menschen. Das Produkt ist ein essbarer Löffel. Er besteht aus verschiedenen Mehlsorten und Wasser, kommt ohne Konservierungs- und künstliche Aromastoffe aus. Er hält Flüssigkeiten stand und ist sogar zu verzehren, in acht leckeren Sorten: Masala Magic, Anis, Spinat, Pfeffer, gesalzen, rote Bete, Minze und Schokolade. Aus 100 Prozent natürlichen Zutaten, umweltfreundlich und vegan.

Kulero heißt die Einpersonengesellschaft von Juliane Schöning, die den Stein ins Rollen beziehungsweise die Innovation aus Indien nach Deutschland gebracht hat. „Der Anfang war eine glückliche Verkettung von zufälligen Begegnungen“, erzählt die Geschäftsführerin. Dass sie nach dem Abitur mit einer Freiwilligenorganisation nach Indien reiste und ihre Studienwahl deshalb auf Indologie fiel. Dass sie während ihres Stu­diums eine Projektstudie am Goethe-Institut im indischen Vadodara machte und dort in einem Restaurant auf diesen Löffel aufmerksam wurde. Dass sie danach recherchiert hat und so mit dem Produktentwickler ins Gespräch kam. Den sie, wie sich herausstellte, schon über die Freiwilligenorganisation kannte. Es war Hemant Chawla. Das ist so ein Moment, in dem die Welt nicht nur sprichwörtlich klein ist.

Schnell war der Gesprächsfaden geknüpft, die Überlegungen wurden immer reifer. Schließlich fand die Tochter einer selbstständigen Handwerkerfamilie Geschmack daran, eine eigene Firma zu gründen und die essbaren Löffel mit den Entwicklern gemeinsam nach Deutschland zu bringen. Was dann folgte, war reges Netzwerken. Zunächst mit der ‚Gründungsförderung der Stabsstelle Kooperation und Innovation der Universität Göttingen‘. Was so sperrig klingt, ist eine agile Anlaufstelle für Studierende, die sich mit dem Gedanken tragen, eine Firma zu gründen. „Wir sind sehr gut beraten worden. Vor allem haben sie uns auf viele Angebote aufmerksam gemacht, die uns weitergebracht haben“, sagt die 25-Jährige. So auch auf die Kurse bei der Gründungsberatung MOBIL in Göttingen. Beim Südniedersachsen InnovationsCampus SNIC fanden sie einen Ansprechpartner für Crowdfunding.

„Das einzig wirklich stressige war die deutsche Bürokratie“, erzählt Schöning. Gewerbeanmeldung, Handelsregistereintrag, Steuernummer des Finanzamts, dann die Klärung, dass die Löffel kein Besteck sind, sondern ein Lebensmittel, zertifiziert durch die indische Lebensmittelsicherheitsbehörde FSSAI und das deutsche Veterinäramt … „Sechs Wochen Behördenkram, immer wieder Telefonate, und das neben meinem Studium.“ Im Juli 2019 konnte es endlich offiziell losgehen: Das Unternehmen Kulero bahnt sich seinen Weg auf den deutschen Markt.

Mit einem Netzwerk, das sich durch Freiwilligendienst und ein Start-up-Treffen in Northeim gefunden hat: Während Juliane Schöning die Fäden in der Hand hält, ist Hemant Chawla für Vertrieb und Logistik verantwortlich und Bindeglied nach Indien, wo er sich gemeinsam mit Kruvil Patel um die Fabrik und die Produktion kümmert. Annabell Schunk betreut den Social-­Media-Auftritt, Noah Hartig ist für Crowdfunding und Marketing zuständig, Theo Hollweg für Webseite und IT, und Chocco Nox aus Berlin ist ,Head of Happiness‘.„Ohne mein Team hätte ich das nicht machen können“, berichtet Schöning von der aufreibenden Gründungs­phase. „Noch arbeiten alle ehrenamtlich, aber ich will sie bald in ein Angestelltenverhältnis übernehmen und noch weitere Leute einstellen.“ Damit das klappt, ist sie mit ihrem Team eifrig auf Akquisetour. Die ersten Erfolge sind verbucht, der Markt ist noch groß.

Um frei in ihren Entscheidungen zu sein, verzichtet Schöning bewusst auf Bankkredite und Investoren. Stattdessen nimmt sie an Wettbewerben teil, unter anderem beim Innovationspreis des Landkreises Göttingen, bei Startgreen, beim Public Value Award. Ob sie dafür Preise einheimsen wird, weiß sie nicht, „aber wir erreichen dadurch Publicity, die sich auszahlen kann“. Sie nennt es „Kapital ohne Verpflichtungen“.

Die Auszeichnung als ‚Gute Gründe(r)‘ im August kam dagegen überraschend (siehe Seite 46). „Darauf sind wir echt stolz und dankbar“, sagt Schöning freude­strahlend. Besonders innovative und tragfähige Geschäftsideen werden damit ausgezeichnet, die nachhaltigen Erfolg versprechen. „Die jungen Gründer beweisen mit ihrem Start-up: Ein zukunftsfähiges Produkt kann durch diese innovative Kombination von Wissen auf den Markt gebracht werden“, so Ursula Haufe, GWG-Geschäftsführerin und Jurymitglied. „Göttingen bietet den Gründern ein funktionierendes Gründerökosystem und damit ein gutes Umfeld zur weiteren Entwicklung. Vor Kulero liegt – auch aufgrund der umweltpolitischen Entwicklungen – eine sehr spannende Zeit mit großen Erfolgsaussichten.“

Innovativ ist Kulero in vielerlei Hinsicht: vom geschmackvollen Produkt über die Finanzierung mittels Crowdfunding und Wettbewerbe bis zur Werbung via Social Media wie Instagram und Influencern. Schönings klares Ziel: erfolgreich durchstarten, das Sortiment um Gabeln, Kaffeerührer und Essstäbchen erweitern und in naher Zukunft in Deutschland produzieren. Sie, die in Höxter aufgewachsen ist, ihren Bachelor in Hamburg absolviert hat, seit dem Masterstudiengang in Göttingen lebt und hier mit Modern Indian Studies weitermacht, sagt: „Ich finde, Südniedersachsen wäre ein idealer, weil zentraler Standort.“

Ihr Ansatz ist, sozial zu wirtschaften, Mitarbeitende zu beteiligen und faire Löhne zu zahlen. Der wertschätzende Umgang mit den Menschen und der Natur, also die ‚Chain-of-trust‘, ist fester Bestandteil ihrer Unternehmensphilosophie. 50 Prozent der Gewinne werden re­investiert, NGOs, die den CO2-Wert ausgleichen, werden unterstützt. Nachhaltigkeit ist das Credo der Jung­unternehmerin.

Übrigens: Kulero ist das Esperanto-Wort für Löffel. Vom Team bewusst gewählt, weil es eine internationale Bedeutung hat. Doch, was sie nicht wussten, ist, dass Herzberg im Harz die offizielle Esperanto-Stadt in Deutschland ist. Jetzt hat man sie dort eingeladen, und Juliane Schöning freut sich: „Momentan bin ich von der Resonanz überwältigt. Es tun sich gerade so viele Wege auf!“ Wege, auf denen Kulero sicher noch viele weitere Fans findet. ƒ

Gute Gründe(r)

Die Auszeichnung Gute Gründe(r) wird zweimal im Jahr von faktor, der WRG Wirtschaftsregion Göttingen und der GWG Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung Göttingen an jung gegründete Unternehmen vergeben, die vielversprechende und tragfähige Geschäfts­ideen haben und in besonderer Weise geeignet sind, in der Region ein positives Gründungsklima zu fördern. Die zweite Urkunde im Jahr 2019 ging an die Gründer von ­Kulero für ihre nachhaltigen, essbaren Löffel.

www.kulero.de

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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