Die Wissbegierige
Gabi Diedrich ist als kaufmännische Leiterin der Zimmerei Diedrich in Rüdershausen und umtriebige Netzwerkerin immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen. Besonders im Blick hat sie dabei die Themen Nachhaltigkeit und Gemeinwohlökonomie.
Gemeinwohlökonomie (GWÖ)
Die GWÖ ist ein innovatives, nachhaltiges Wirtschaftsmodell. Es geht davon aus, dass Wirtschaft dem Gemeinwohl und nicht mehr der reinen Gewinnmaximierung und Geldvermehrung dienen sollte. Ziel ist es, Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen und Macht in maßvollen Grenzen zu gestalten. Der Umweltverbrauch soll innerhalb der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ökosysteme gehalten werden. Gegenwärtige und zukünftige Generationen genießen gleiche Lebenschancen. Generationen streben ein solidarisches Miteinander an.
Ihren Ausgang nahm die Gemeinwohlökonomie 2010
in Wien und breitete sich in der ganzen Welt aus: Heute umfasst die Bewegung weltweit 11.000 Unterstützer, rund 5.000 Mitglieder in über 170 Regionalgruppen, über 1.000 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen in 35 Ländern. Am 1. Januar 2019 wurde die Regionalgruppe aufgenommen. Mittlerweile sind 24 regionale Unternehmen testiert – darunter auch die Zimmerei Erhard Diedrich.
Als Gabi Diedrich vor zwölf Jahren das erste Mal in den Zimmereibetrieb ihres heutigen Mannes Thilo Diedrich kam, der das Familienunternehmen in Rüdershausen bereits in vierter Generation führt, betrat sie absolutes Neuland. „Ich hatte keine Ahnung vom Handwerk“, erzählt die 49-Jährige heute rückblickend und lächelt zufrieden. Berührungsängste mit dem von Männern dominierten Gewerbe hatte die neue kaufmännische Leiterin nicht, obwohl sie weit und breit die einzige Frau vor Ort gewesen sei. „Ich war zuvor fast 15 Jahre in einem Recyclingbetrieb in Langenhagen bei Hannover tätig“, erklärt Diedrich. „Auch dort waren Frauen damals selten anzutreffen, in Führungspositionen fast gar nicht.“ Zum Wechsel kam es, weil sie auf der Suche nach beruflicher Veränderung gewesen sei und es in der Zimmerei Unterstützungsbedarf im kaufmännischen Bereich gab. „Da wir außerdem nach vier Jahren Fernbeziehung endlich einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt haben wollten, bin ich den Schritt gegangen.“
Zimmerei: ein Beruf mit Herausforderungen
Auf die Frage, was sie im damals ungewohnten Umfeld eines Handwerksbetriebes besonders überrascht hätte, muss sie nicht lange nachdenken. „Sehr schnell ist mir der familiäre Umgang miteinander aufgefallen, und ich war beeindruckt, wie stolz alle auf ihre Arbeit sind und wie viel Spaß sie haben.“ Schon nach kurzer Zeit sei es ihr genauso gegangen. Zimmerer sei einfach ein toller Beruf, der in der Gesellschaft gar nicht richtig wahrgenommen werde – weil die Einblicke fehlten. „Wir arbeiten mit dem wunderbaren Naturprodukt Holz. Das erfordert jede Menge Flexibilität. Sie müssen spontan Ideen haben und die handwerklichen Fähigkeiten, diese direkt auf der Baustelle umzusetzen“, sagt Diedrich. „Es gibt jeden Tag Herausforderungen. Langeweile kennen Zimmerer nicht.
Die Einarbeitung sei ihr leicht gefallen, erzählt die wissbegierige Unternehmerin, die nach einer abgeschlossenen Ausbildung zur Industriekauffrau bei Miele noch ein Studium zur Diplomkauffrau absolvierte. „Es ist für mich immer ein guter Tag, wenn ich etwas Neues gelernt habe.“ Dabei suche sie nicht nur nach neuem Wissen, um sich persönlich weiterzuentwickeln, sie habe immer auch gern Unternehmensprozesse verbessert. So war ihr Wechsel in die Zimmerei im Grunde genommen eine glückliche Fügung: Sie hat in Thilo Diedrich einen Gleichgesinnten getroffen, der die Prozesse des bereits in vierter Generation geführten Familienunternehmens mit ihr zusammen fit für die Anforderungen der heutigen Zeit machen wollte.
„Ich musste mich am Anfang schon erst einmal daran gewöhnen, dass Dinge in einem Handwerksbetrieb anders laufen“, sagt Gabi Diedrich in Erinnerung an die ersten Monate. „Jeder hat im Tagesgeschäft alle Hände voll zu tun – da dauert es, Änderungen umzusetzen.“ Doch die größte Herausforderung sei eine andere gewesen: „Als sehr organisierter Menschen konnte ich den großen Einfluss äußerer Faktoren auf unsere Arbeit nur schwer akzeptieren“, erklärt Diedrich. „Wenn das Wetter mit Schnee, Frost oder zu starkem Regen nicht passt, können wir auf den Baustellen nichts machen. Auch wenn Vorgewerke nicht rechtzeitig fertig werden, sind wir aufgeschmissen.“ Doch sie habe im Laufe der Zeit gelernt, damit umzugehen, sei deutlich gelassener geworden. Angesichts der gemeinsamen Erfolge kann sie das auch sein: Sie haben den traditionsreichen Zimmereibetrieb modernisiert und zu einem klar fokussierten Spezialisten gemacht. Die Zimmerei Diedrich baut heute vor allem schlüsselfertige Häuser in Holzrahmenbauweise und verwendet dafür natürliche Materialien aus ökologisch nachhaltiger Wirtschaft. Diese kommen auch bei energetischen Sanierungen oder Aufstockungen von Gebäuden zum Einsatz, die sie – genau wie den Bau der Holzhäuser – hauptsächlich in einem Umkreis von rund 50 Kilometern um Göttingen herum anbieten.
Ihrer bevorzugten Kombination ist Gabi Diedrich treu geblieben: Während sie mit ihrem Mann erste praktische Maßnahmen umsetzte, sorgte sie mit einem Zertifikatsstudium Nachhaltigkeitsmanagement im Jahr 2017 für die theoretische Grundlage. Von Anfang an hatten sie nicht nur die zunehmende Nutzung nachhaltiger ökologischer Materialien, sondern auch die eigenen Prozesse im Blick – mit einem besonderen Fokus auf der sozialen Komponente. So kam es schrittweise nicht nur zur Installation einer Photovoltaikanlage und einer Pelletheizung im Betrieb sowie zur Nutzung von E-Bikes und E-PKW. „Wir haben auch früh eine morgendliche Teambesprechung eingeführt“, erzählt Diedrich. Das sei ein kurzer Austausch von Erfahrungen und Ideen. „Gemeinsam klären wir, ob es am Vortag Probleme gab, was wir besser organisieren könnten oder worauf in Zukunft alle achten sollten. Da ziehen alle voll mit, bringen sich ein und fühlen sich und ihre Meinung wertgeschätzt.“ Die Zimmerei habe eine gute Mischung aus jungen und sehr erfahrenen Mitarbeitenden, die so voneinander profitierten.
Nachhaltigkeit durch Gemeinwohlökonomie
„Als ich letztes Jahr von einem HAWK-Projekt zum Thema Gemeinwohlökonomie gehört habe, hat sich für mich der Kreis zu unseren Nachhaltigkeitsbemühungen geschlossen“, berichtet Diedrich. „Es war direkt klar, dass wir uns daran beteiligen.“ Im Rahmen dieses Projekts unterstützen Studierende der Hochschule regionale Unternehmen dabei, Einstiegsberichte für eine Gemeinwohlbilanzierung zu erstellen, dem Nachhaltigkeitsbericht der Gemeinwohlökonomie (siehe Kasten). Die GWÖ ist eine Reformbewegung, die ein Wirtschaftsmodell etablieren will, das auf den Werten Menschenwürde, ökologische Verantwortung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz aufsetzt. „In der Vorbereitung haben wir aufgeschrieben, was wir umgesetzt hatten. Das waren plötzlich vier Seiten“, sagt Diedrich scheinbar immer noch selbst überrascht. „Wir im Handwerk machen und reden nicht so viel darüber.“ Gemeinsam mit einem Studenten der Forstwirtschaften ging es dann in die Ausarbeitung der Einstiegsberichte. Angeleitet von einem erfahrenen externen Berater fand die eigentliche Auseinandersetzung mit den Anforderungen dann in einer Arbeitsgruppe mit regionalen Unternehmen statt: mit dem Fruchtsafthersteller Becker’s Bester, dem Bio-Lieferdienst Lotta Karotta und dem Bio-Lebensmittel-Großhandel Naturkost Elkershausen.
Für Gabi Diedrich war nicht nur die Abarbeitung der Bewertungsmatrix des Nachhaltigkeitsberichts wichtig, sondern vor allem der Lerneffekt: „Die gegenseitigen Tipps haben das Miteinander in der Arbeitsgruppe so wertvoll gemacht. Ich habe viele Ideen gesammelt, die wir hier bei uns umsetzen können.“ Aber schon das bisher Erreichte hat überzeugt: Im November des vergangenen Jahres bekam die Zimmerei Diedrich das Testat der GWÖ überreicht – genau wie die anderen Teilnehmer der Arbeitsgruppe. Das vielschichte Engagement der Zimmerei ist auch der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen aufgefallen. Als einer der ersten niedersächsischen Handwerksbetriebe erhielten die Rüdershäuser von ihr das Siegel ,Handwerk als Partner der Niedersachsen Allianz für Nachhaltigkeit‘. Anfang des Jahres überreichten Vertreter der Handwerkskammer im Betrieb die offizielle Urkunde und lobten dabei vor allem die umfassende Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit.
Nach Feierabend engagiert im Verband UnternehmerFrauen im Handwerk
Wer glaubt, dass Gabi Diedrich neben der Arbeit im und am gemeinsamen Unternehmen mit ihrem Mann, der kontinuierlichen Suche nach neuem Wissen und absolvierten Fortbildungen keine Zeit für andere Dinge mehr haben kann, liegt falsch. Nach Feierabend engagiert sie sich für den Verband UnternehmerFrauen im Handwerk, der ihr sehr am Herzen liegt. Sie ist erste Vorsitzende im Arbeitskreis Duderstadt und zusätzlich zweite Landesvorsitzende in Niedersachsen. „Netzwerken ist unwahrscheinlich wichtig. Der Blick über den Tellerrand in andere Unternehmen hilft, eigene Probleme einzuordnen“, sagt sie. „Es ist spannend, bei den regelmäßigen Treffen tolle Unternehmerinnen und ihre Sicht auf die Welt kennenzulernen und sich gegenseitig zu helfen.“ Auf Landesebene käme noch die Vernetzung in die Politik dazu, die den Horizont zusätzlich erweitere. So wundert es auch nicht, dass Diedrich zum Abschluss sagt, dass sie sich in ihrem neuen Leben als Frau im Handwerk einfach wohlfühle. „Ich habe es nie bereut, die Branche gewechselt zu haben.“ Das könnte natürlich auch daran liegen, dass sie im Februar vor zwei Jahren „mitten im Lockdown und in kniehohem Schnee“ einen waschechten Zimmermann geheiratet hat. ƒ
Foto: Alciro Theodoro da Silva
Zur Person
Die berufliche Laufbahn von Gabi Diedrich begann mit einer Ausbildung zur Industriekauffrau bei Miele. Ein Studium zur Diplomkauffrau (FH) absolvierte sie berufsbegleitend. Bei der KASKA Kabelzerlegebetrieb und Metallhandel GmbH arbeitete sie von 1996 bis 2011 als kaufmännische Leiterin. Parallel zum Job bildete sie sich über die IHK zur Industriefachwirtin, Betriebswirtin, Ausbilderin und Führungskraft weiter. Seit April 2011 ist die kaufmännische Leiterin der Zimmerei Erhard Diedrich in Rüdershausen, die sie zusammen mit ihrem Mann Thilo Diedrich in vierter Generation führt.
Im Netzwerk UnternehmerFrauen im Handwerk ist sie als 2. Landesvorsitzende, 1. Vorsitzende im Arbeitskreis Duderstadt und 2. Vorsitzende im Arbeitskreis Göttingen engagiert.
www.zimmerei-diedrich.de