Von Hähnchen und Kleinigkeiten

Als gebürtige Finnin und Pendlerin aus dem Rhein-Main-Gebiet verfügt Jaana Saarteinen-Erben von der KWS über einen doppelten Blick von außen auf die Region.

„Als ich vor etwa 25 Jahren weinend auf dem Küchenboden meiner Wohnung saß und an der Zubereitung eines einfachen Hähnchenauflaufs gescheitert war, da erkannte ich, dass es die vermeintlichen Kleinigkeiten sind, die einem Ausländer das Leben in Deutschland erleichtern“, erzählt Jaana Saarteinen-Erben. Und genau so seien es insbesondere die Kleinigkeiten, die das Leben in Südniedersachsen lebenswert gestalten.

Heute ist die freundliche Finnin seit knapp zwei Jahren tonangebend im weltweiten Personalwesen der KWS SAAT AG in Einbeck. Sie ist maßgeblich verantwortlich für die Internationalisierung der Human-Resources- Strukturen des Saatzüchters, die so an die Herausforderungen der Globalisierung angepasst werden. Die 51-Jährige scheint wie gemacht für diese Aufgabe, verfügt sie doch über einen Lebenslauf, der sonst vielleicht nur Diplomaten-Kindern vorbehalten ist.

Die Weltenbummlerin

Bereits als Baby verließ sie ihre Heimat Nokia, unweit von Tampere und Namensgeber des weltbekannten Handy-Produzenten, das erste Mal. Ihr Vater – kein Botschafter, sondern Ingenieur – hatte eine Stelle in Brasilien angenommen. Nicht das letzte Mal, dass sein Beruf für einen Ortswechsel verantwortlich sein würde: „Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich nacheinander in Brasilien, Polen, Finnland, den USA und schließlich wieder in Brasilien gelebt“, berichtet Jaana Saarteinen- Erben. Dort machte sie ihren Abschluss an einer internationalen Schule in Rio de Janeiro und holte anschließend das finnische Abitur nach, um dann in ihrem Heimatland („In Finnland ist meine Seele zu Hause.“) Erziehungswissenschaften zu studieren. Doch das Pädagogik-Studium konnte das Fernweh nicht zügeln.

Während und nach ihrer Studienzeit arbeitete Saarteinen-Erben für den Reiseveranstalter der finnischen Airline Finnair in Südamerika und im europäischen Ausland, darunter Frank reich. Hier lernte sie auch ihren heutigen Mann kennen. „Nur weil er in Bad Homburg das Familienunternehmen in zweiter Generation führte und nicht verlassen konnte und wollte, bin ich doch noch sesshaft geworden“, sagt die Weltenbummlerin mit einem Lächeln auf den Lippen. Man könnte annehmen, dass ihr das Einleben in Deutschland genauso leicht gefallen sei wie in all den anderen Ländern. Doch genau das Gegenteil war der Fall. „Bis dahin war ich allerdings auch immer mit der Familie bzw. beruflich im Ausland“, unterstreicht Saarteinen-Erben. Diese Strukturen waren jetzt nicht mehr vorhanden, ein sicheres Umfeld fehlte. Außerdem gehörte Deutsch nicht zu den vielen Sprachen, die sie beherrschte.

Unüberwindbare Hürden

Die damals 27-Jährige war vollständig auf andere angewiesen: bei Behördengängen wie im Alltag. Selbst banale Tätigkeiten wie Einkaufen für ein Abendessen mit Freunden konnten zur unüberwindbaren Hürde werden. Denn im Bad Homburg der späten achtziger Jahre war Englisch noch nicht so weit verbreitet wie heute. Und so kam es, dass die Verkäuferin im örtlichen Hertie-Markt Jaana Saarteinen-Erben anstatt vorgegarten Fleisches ein tiefgefrorenes Hähnchen verkaufte, das zwar kopflos und fachmännisch gerupft, aber dessen Innenleben noch komplett war. Zwar rettete ihr Partner den geplanten Auflauf, indem er Hähnchen-Nuggets bei einer großen Burgerkette kaufte, dennoch fühlte sich die ansonsten so selbstbewusste Frau das erste Mal in ihrem Leben hilflos und unselbstständig. Natürlich hätte sie nicht ihre Selbstständigkeit aufgeben und völlig umsorgt werden wollen, aber: „Ich erkannte, wie kleine unterstützende Elemente eine entscheidende Rolle spielen können – Kleinigkeiten eben, um sich trotz sprachlicher und kultureller Barrieren besser eingliedern zu können.“

Die neue Heimat

Doch trotz der anfänglichen Schwierigkeiten fühlt sich die Skandinavierin mittlerweile sehr wohl in Deutschland, wo sie nun zwischen Taunus und Einbeck pendelt. Südniedersachsen gefällt ihr sogar so gut, dass sie die Region mit einem Satz beschreibt, den wohl sonst nur Einheimische in den Mund nehmen würden: „Hier gibt es alles, was man sich wünschen kann: wunderschöne Landschaften, exzellente Bildungseinrichtungen und wissenschaftliche Institutionen sowie interessante Unternehmen.“ Vor allem die mittelständische Wirtschaft bringt die Personalerin ins Schwärmen: „Die Unternehmen sind tief in ihrer Heimat verwurzelt und gleichzeitig dynamisch.“ Zudem legten sie eine hohe Wertschätzung gegenüber ihren Angestellten an den Tag und setzten auf nachhaltige Zusammenarbeit: „Die Mitarbeiter haben nicht das Gefühl austauschbar zu sein, wie das teilweise bei den riesigen Konzernen in den Metropolen der Fall ist“, sagt Saarteinen-Erben. Zwar gebe es in Südniedersachsen im Vergleich zur Metropolregion Rhein-Main, wo die Mutter von drei Kindern beheimatet ist, nicht diese große Bündelung von Städten, doch dank der guten Verkehrsanbindung bilde die Region selbst so etwas wie einen Knotenpunkt. „Man ist in zwei Stunden in Hamburg, in zweieinhalb in Frankfurt und in drei in Berlin.“ Bei schlechter Verkehrslage brauche sie manchmal sogar länger von ihrer Heimat im Taunus zum Frankfurter Flughafen als von Einbeck nach Hannover.

Generell bleibe man hier in der Region vom Verkehrschaos verschont, was einen enormen Gewinn an Lebensqualität darstelle. Auch an anderer Stelle mache sich die hohe Lebensqualität in der Region bemerkbar: „In unserer Dienstleistungsgesellschaft sitzen wir den ganzen Tag am PC oder in Meetings. Da ist es schön, wenn wir nach Hause kommen, die Tür aufmachen, in unseren Garten gehen und einfach abschalten können.“

Was sich Entscheider wünschen

Die Region biete genau das, was sich immer mehr Entscheider wünschen: viel Raum, grüne Landschaften und Naturverbundenheit. Das zumindest hat Jaana Saarteinen-Erben 2010 in einer Studie herausgefunden, die sie anlässlich ihrer Promotion im Fach ‚Business Administration‘ an der University of Surrey (England) durchführte. In dieser bat sie Führungskräfte, Collagen anzufertigen, in der sie ihr Arbeitsumfeld nach ihren Wünschen gestalten sollten. Entstanden seien freie, offene Bilder voller Grün. Bei aller Liebe zur Region verkennt sie allerdings nicht die Probleme der vermeintlichen Landidylle: „Es ist schon sehr traurig, wenn man aus den Städten ein paar Kilometer aufs Land fährt und überall Dörfer sieht, die wenig Zukunft zu haben scheinen.“ Und das, obwohl die Immobilienpreise sehr attraktiv seien. Doch ganz hat sich Jaana Saarteinen-Erben mit dem Dörfersterben nicht abgefunden. Sie glaubt vor allem dank der neuen Kommunikationstechnologien an Lösungen: „Die Digitalisierung müssen wir nur effektiv nutzen.“ Damit meint die Personalchefin, dass z.B. die Präsenz am eigentlichen Unternehmensstandort in manchen Berufen nur noch eine geringe Rolle spiele. Dank der neuen Medien könnte das Leben der Menschen auf dem Land, die nicht mobil sind, entscheidend verbessert werden. So könnten für Jüngere z.B. online buchbare Sammeltaxis angeboten werden, ältere Menschen könnten Online-Bestellungen im Supermarkt in der Nachbarstadt vornehmen, oder es könnte ein Transfer-Service für sie zum Supermarkt ein paar Mal die Woche eingerichtet werden. Es seien also letztlich wieder nur Kleinigkeiten. Dinge, die leicht umsetzbar wären und die den Menschen das Gefühl geben, am Alltag zu partizipieren, selbstständig zu sein und sich unabhängig zu fühlen – genau das, was Saarteinen-Erben in ihrer Anfangszeit in Deutschland vermisst hatte. Letztlich sieht sie die Politik in der Pflicht, Anreize zu schaffen, um solche und weitere Ideen in die Tat umzusetzen, damit die Region mit kleinen Eingriffen auch in der Breite ein attraktives Lebens- und Arbeitsumfeld bieten kann.

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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