Christin Gunkel ist seit 2012 die erste und bis jetzt einzige Frau in der Geschäftsführung des Global Players Ottobock in Duderstadt, ihrem Wohnort. Als Chief Marketing Officer konzipiert die 31-Jährige weltweit Projekte und genießt zur Entspannung die Nähe zu Familie und Freunden.

Frau Gunkel, Sie sind 31 Jahre jung und seit dem Vorjahr Geschäftsführerin bei Ottobock. Wie ist es dazu gekommen?

Ich bin seit neun Jahren bei Ottobock, habe verschiedene Projekte betreut. Ende 2011 hat mich unser Firmenchef Professor Hans Georg Näder einfach gefragt, ob ich mir das zutrauen würde. Da habe ich erst einmal tief durchgeatmet und mir einige Tage Bedenkzeit auserbeten.

Waren Sie überrascht, oder war es ein Ziel in Ihrer Karriereplanung?

Eine so konkrete Planung hatte ich eigentlich nicht. Nach dem Abitur war erst einmal klar, dass ich Medienwissenschaften studieren und im Bereich Öffentlichkeitsarbeit arbeiten möchte. Nach diversen Praktika und einem Auslandssemester kam ich 2004 zu Ottobock, zunächst als Praktikantin. Sehr bald habe ich mich dann aber beruflich weiterentwickelt und umfassendere Aufgaben übernommen, z.B. die Projektleitung für unser Engagement bei den Paralympics. In die oberste Führungsebene aufzusteigen, war daher kein erklärtes Ziel, spannende Projekte und mehr Verantwortung zu übernehmen jedoch schon.

Welche Bedenken hatten Sie?

Zum einen hat für mich der Wechsel von der Kollegin zur Chefin viele Fragen aufgeworfen: Wie wird das Team reagieren? Wie verhalte ich mich als Führungskraft richtig? Zum anderen bedeutete dies für mich natürlich auch eine fachliche Herausforderung und eine Umstellung dahingehend, nicht mehr für Details, sondern das große Ganze zuständig zu sein.

Was hat Ihre Entscheidung positiv beeinflusst?

(lacht) Herr Näder hätte kein ‚Nein‘ akzeptiert. Er kannte mich von Sonderprojekten und früheren Positionen. Insofern wusste er um meinen Einsatz und meine Begeisterungsfähigkeit. Dazu kam, dass ich wusste, ich kann mich auf ein gutes Netzwerk im Unternehmen verlassen. Und nicht zuletzt haben auch Familie und Freunde an mich geglaubt.

Wie wichtig war das ‚gute‘ Netzwerk?

Sehr wichtig, hier zählt kein Einzelkämpfertum, kein ,Hoppla, hier bin ich‘. Teamwork ist Teil der Unternehmensphilosophie, die bei Ottobock gelebt wird. Dazu gehört eine offene Kommunikation und eine Rückkopplung bei Mitarbeitergesprächen. Darüber hinaus bekam ich stets die Herausforderung, aber auch die Förderung, die ich mir gewünscht hatte.

Das heißt, Sie haben aktiv auch neue Aufgaben eingefordert?

Ja sicher. Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch und liebe es, neue Dinge zu entwickeln, anzupacken und umzusetzen. Ein Job, in dem ich Aufgaben nur nach ‚Schema F‘ abwickeln müsste, wäre nichts für mich.

Wie haben Sie die erste Zeit als Geschäftsführerin erlebt?

Spannend, ereignisreich und herausfordernd. Zum Glück haben mich meine Kollegen mit offenen Armen als Chefin empfangen. Aber die Frage „Siezen wir uns jetzt?“ habe ich verneint, weil ich doch noch dieselbe Person bin. Nur weil ich einen neuen Titel habe, habe ich kein anderes Verhalten. Wichtig für mich war, authentisch zu bleiben.

Und wie haben Sie sich in Ihr neues Aufgabengebiet eingearbeitet?

Mir standen zahlreiche Kollegen, u.a. Roland Hehn, Geschäftsführer Personal, und Sönke Rössing, Chef der Strategieabteilung, unterstützend zur Seite. Mit ihnen habe ich viele Gespräche geführt. Und ich musste spezifisches BWL-Wissen auffrischen. Aber das Wichtigste war, keine Angst davor zu haben, Fragen zu stellen. Das können Frauen übrigens meist besser als Männer.

Wie fühlen Sie sich als einzige Frau in der obersten Führungsebene?

Sehr gut. Ich erlebe keine Vorurteile – im Gegenteil. Es wird geschätzt, dass ich als Frau andere Perspektiven einbringe, andere Faktoren bei Entscheidungen berücksichtige. Die Kombination weiblicher und männlicher Sichtweisen wird als sehr konstruktiv empfunden. Nur bei Geschäftskontakten erlebe ich manchmal überraschte Gesichter. Aber nicht weil ich eine Frau, sondern eben noch sehr jung für diese Position bin.

War denn Familienplanung bei Ihrer Beförderung ein Thema?

Gefragt wurde ich danach nie. Professor Näder hat einmal gesagt: „Auch für das Thema Familienplanung finden wir Lösungen.“ Seine Einstellung, dass man Frauen nicht einfach gehen lassen kann, nur weil sie eine Familie gründen, gilt im gesamten Unternehmen. Auch in meiner Abteilung engagieren sich viele Mütter, und ich freue mich bereits auf die Rückkehr einer Mitarbeiterin, die gerade zum zweiten Mal in der Babypause ist. Es wäre doch fatal, geradezu unsinnig, auf ihre Kompetenz und Erfahrung zu verzichten. Sie sind nun selbst in der Position, Mitarbeiter einzustellen.

Haben Frauen bei Ihnen bessere Chancen?

Nein, ich bevorzuge kein Geschlecht und bin auch strikt gegen die Frauenquote. Bei mir zählen nur die fachliche Eignung und der menschliche faktor. Wichtig ist, dass man für den Job qualifiziert ist, gut im Team zusammenarbeitet und sich aufeinander verlassen kann.

Ihr Assistent ist männlich und etwas älter als Sie – war das eine bewusste Wahl?

Nein, denn ich habe nicht ausdrücklich einen Mann gesucht, sondern einen flexiblen und engagierten Menschen, der Herausforderungen liebt und mich als Assistent optimal unterstützt. Auf meine Frage im Vorstellungsgespräch, ob er ein Problem mit einer Frau als Chefin hätte, antwortete er damals schmunzelnd: „Ich habe mich vorher schlau gemacht, ich wusste das, und es ist kein Problem.“ Die Zusammenarbeit funktioniert bisher prima, wir ergänzen uns gut.

Welchen Tipp können Sie Frauen geben, die beruflichen Erfolg anstreben?

Zupacken, sich nicht zu schade sein, sich auch um ‚Kleinigkeiten‘ und unbequeme Themen zu kümmern. Immer wieder neue Herausforderungen suchen und einfordern – mutiger sein und sich selbst mehr zutrauen. Und nicht zuletzt, Netzwerke bilden und sich gut positionieren – natürlich auch finanziell. Das versäumen Frauen leider oft schon beim Einstellungsgespräch.

Und wie sehen Sie Ihre eigene berufliche Zukunft?

Sehr positiv. Ich mag, was ich tue. Die innovativen Produkte von Ottobock schaffen Lebensqualität und Unabhängigkeit für Menschen weltweit – schon von daher wird es immer spannend bleiben und neue Projekte und Herausforderungen geben. Und damit erfüllt mein Beruf die wichtigste Anforderung, die ich an ihn habe: dass er nicht langweilig wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Alciro Theodoro da Silva

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