Gründen ist angesagt. Das beweist auch die Entwicklung des Wettbewerbs der Uni Göttingen: Lift-off stärkt die akademische Gründungskultur der Region und zeigt einen alternativen Karriereweg auf.

Mit dem Lift-off-Wettbewerb hat die Uni Göttingen vor zwei Jahren einen weiteren Baustein geschaffen, um den Gründungsgedanken innerhalb der Universität stärker zu verankern. Seitdem hat sich dieser Wettbewerb sehr gut entwickelt. Die Teilnehmerzahl steigt kontinuierlich – und dies insbesondere aus Kreisen der wissenschaft lichen Mitarbeiter. In diesem Jahr nahmen 17 über wiegend studentische und sechs wissenschaftliche Teams teil. Die relativ große Zahl der Wissenschaftlerteams hat sogar dazu geführt, dass diese bei der Preisverleihung Mitte Juni erstmals in einer eigenen Kategorie gegeneinander antraten. „Wir wollen damit zeigen, dass eine Ausgründung mit einer Idee ein alternativer oder paralle ler Karriereweg zur Forschung sein kann“, erklärt Simon Bohn von der Gründungsförderung der Uni. „Insbesondere, wenn Forschungsergebnisse eine gewisse Anwendungsnähe haben.“

Ein genereller Bewusstseinswandel scheint stattgefunden zu haben: Gründungen gelten nicht mehr als verpönt. Die Zahl der Beratungsgespräche habe sich im Vergleich zu 2016 bereits verdoppelt, so Bohn, und auch der Lift-off-Wettbewerb sei dafür ein guter Indikator: Das zeige sich vor allem an der Vielfalt der Teams, die bereits im vergangenen Jahr aus nahezu allen Fakultäten stammten. „Farm Inspector ist da unser Musterbeispiel“, sagt Bohn. Das Agrar-Start-up landete beim Lift-off 2018 auf dem ersten Platz und befindet sich derzeit auf dem Weg zur Unternehmensgründung. An ihm lässt sich gut die ganze Bandbreite der Unterstützung zeigen, die das Beraterteam allen Uni-Angehörigen anbietet, die sich mit einer Geschäftsidee tragen.

Farm Inspector, das ist ein fünfköpfiges Team aus verschiedenen Fachbereichen, das Ideengeber Andreas Heckmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Agrartechnik, um sich versammelt hat. „Ich komme selbst aus einem landwirtschaftlichen Betrieb und war in der Beratung aktiv“, erzählt der Gründer. „Landwirte sind heute mehr denn je darauf angewiesen, zu wissen, wann, wie viel und wo man beispielsweise Dünger oder Wasser auf dem Feld braucht.“ Und genau da setzt seine Unternehmensidee an: Farm Inspector etabliert kosteneffiziente Netzwerke aus selbst entwickelten Funksensoren, die beispielsweise Bodenfeuchte und Temperatur über und im Boden messen und damit bessere Aussagen über das Geschehen auf dem Feld ermöglichen.

„Zunächst war Andreas Heckmann alleine bei uns in der Beratung und hat seine Idee in einem frühen Stadium vorgestellt“, erklärt Bohn. „Wir haben ihn vor allem dahingehend unterstützt, dass wir über unser Gründungsnetzwerk entsprechende Hilfestellungen geben könnten.“ Parallel zum Wettbewerb wurde gemeinsam der Antrag für ein Exist-Stipendium für Unternehmensgründer erarbeitet. Gleichzeitig besuchte das inzwischen angewachsene Team um Heckmann Workshops der Gründungsförderung, und zuletzt vermittelte Bohn ihnen auch noch einen Mentor, der den Gründungsprozess allgemein zu unterstützt. Mit dem Exist-Stipendium geht es für Farm Inspector nun weiter auf die Unternehmensgründung zu. „Wir werden jetzt stark an der Praxiseinführung und Perfek tion des Produkts arbeiten“, erklärt Heckmann. „Im Herbst testen wir dann – wie auch schon im vergangenen Jahr – unsere Prototypen im Feldversuch.“

Für die Unterstützung durch die Gründungsförderung hat Heckmann – wie auch alle anderen Gewinner aus dem vergangenen Jahr – rückblickend nur lobende Worte übrig: „Es ist schon enorm, was die Kollegen, aber auch die Uni-Leitung, da geleistet haben – und das nicht nur für uns. Es wird inzwischen an der Uni mehr darüber gesprochen, wie man eine Idee erfolgreich vermarkten kann. Das ist ein wirklich guter Prozess!“ Der nächste Wettbewerb startet dann im Herbst.

Internetplattform für Gehörlose

Die Start-up-Idee SIGNfind wurde beim Lift-off-Wettbewerb 2018 mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Inzwischen hat die Linguistin Jana Hosemann ihr Projekt beim Verein Enactus angesiedelt, wo sich ein Team zusammen mit ihr um die weitere Umsetzung der Idee kümmert.

SIGNfind will vor allem das Leben von Gehörlosen erleichtern – denn es gibt viele Lebenssituationen, in denen Gehörlose jemanden benötigen, der Deutsche Gebärdensprache beherrscht und übersetzen kann. Sei es die Kommunikation mit dem Arzt, in rechtlichen Situationen wie bei der Polizei oder mit einer Behörde, im Arbeitsalltag, in der Ausbildung oder bei Akademikern auch einmal ein Vortrag.

Doch die komplette Organisation des Dolmetschers und der Kostenübernahme liegt beim Gehörlosen. Das ist mit einem hohen Aufwand verbunden: Anträge bei den ganz unterschiedlichen Ämtern und Stellen für die Kostenübernahme zu stellen, ist mühselig. Auch eine Dolmetscherin zu finden, die Zeit hat, ist nicht immer einfach, vor allem jenseits der Metropolen. Spontan ist das kaum möglich. „Wenn man den ganzen organisato
rischen Aufwand zusammenrechnet, kommt man pro Dolmetschereinsatz auf zehn bis 15 Stunden reine Bürokratiezeit, und das mit sprachlichen Hürden“, sagt Jana Hosemann, die Initiatorin hinter SIGNfind. Dabei ließen sich viele dieser Schritte prinzipiell automatisieren – das ist auch das Ziel von SIGNfind.

Die Internetplattform soll die Terminfindung und Dolmetschersuche erleichtern, sie soll aber noch zwei andere Gruppen einbinden: Unternehmen sowie die Behörden, um etwa auch die Finanzierung automatisch abwickeln zu können.

Beim Lift-off-Wettbewerb war SIGNfind ,nur‘ eine Idee. Inzwischen hat ihre Umsetzung Fahrt aufgenommen: Im November 2018 hat der weltweit tätige Non-Profit-Verein Enactus, der gemeinwohlförderliche Projekte zur Unternehmensgründung bringen will, das Projekt SIGNfind aufgenommen. Inzwischen arbeiten vier Studierende an dem Projekt, Jana Hosemann ist als Kooperationspartnerin assoziiert. „Momentan machen wir die Marktanalyse“, sagt Hosemann. Sie soll die Bedarfe ermitteln, die die vier Zielgruppen von SIGNfind haben. „Dann wird es mit großen Schritten weitergehen.“

Binden aus Bananenstauden

Mit ihrem Projekt Once a Month will Enactus Frauen in Drittweltländern unterstützen und gewann beim Lift-off 2018 damit den Publikumspreis.

„Mit den Damenbinden vor allem für Schulmädchen verfolgen wir verschiedene Ziele“, erklärt Projektleiterin Pia Roddewig. In Afrika kosten Binden teilweise rund zehn Prozent eines Monatseinkommens – mit der Folge, dass sich viele Familien diesen Luxus nicht leisten können und die Mädchen während ihrer Periode nicht in die Schule gehen. „Das sind mehrere Tage pro Monat, darunter leidet der Abschluss und die Lebensqualität. Es ist ein Teufelskreis, der relativ weitreichende Folgen hat“, so Roddewig.

Da sollen die neu entwickelten Binden ansetzen: Sie sollen kostengünstig, wiederverwendbar und biologisch abbaubar sein. Und um der Idee der Nachhaltigkeit noch gerechter zu werden, soll die Produktion und der Vertrieb in den Nutzerländern stattfinden. Damit sollen zudem Arbeitsplätze vor Ort entstehen, die dann wieder Frauen zugutekommen und ihnen so zu einem Stückchen Selbstständigkeit verhelfen.

Genutzt werden für die Binde die biologischen Reste, die nach der Ernte von der Bananenstaude übrigbleiben. Daraus werden Fasern extrahiert, die zu einem saugfähigen Schwamm weiterverarbeitet und dann in Stoff eingenäht werden. „Da sind wir noch am Rumtüfteln“, sagt Roddewig – privat in der Küche. Doch das Produkt ist schon so weit fortgeschritten, dass sich das siebenköpfige Projektteam inzwischen um Kooperationspartner bemüht. Das Pilotprojekt soll zunächst in Indien stattfinden, und auf diesen Markt soll das Produkt – etwa in Farbe und Form – noch genauer ausgerichtet werden, um die Akzeptanz zu erhöhen.

Denn gleichzeitig geht es bei dem Projekt auch um Aufklärung. „In vielen Ländern ist Menstruation noch ein extremes Tabuthema. Daher wollen wir auch mit Schulen zusammenarbeiten, damit die Lehrer das Prinzip so gut wie möglich erklären.“ So sollen sowohl Mädchen als auch Jungen möglichst früh über das Thema aufgeklärt und die kulturellen Hürden nachhaltig überwunden werden.

Wer ist Enactus e. V.?

Enactus ist eine weltweite Organisation, in den USA gegründet und inzwischen in 36 Ländern aktiv. In Göttingen gibt es den Verein seit 2015. Der Verein ist sowohl für Mitglieder als auch für Studierende offen, die an der Realisierung von Start-up-Projekten arbeiten. Deren Fokus liegt auf Social Entrepreneurship – es sollen Unternehmen gegründet werden, die soziale Probleme aufgreifen. Die Unternehmen sollen dabei wirtschaftlich, sozial verantwortlich und nachhaltig arbeiten, um die Umsetzung der Projektideen langfristig von Spenden unabhängig zu machen. Enactus hat in Göttingen derzeit 55 aktiven Mitglieder und betreut vier Projekte: SIGNfind, Once a Month, Gö to go (eine Smartphone-App für die Göttinger Einzelhändler) sowie das Magazin Zatar (Kochen als Brücke zwischen Geflüchteten und einheimischen Göttingern).

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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