Der Weg als Ziel – Bodo Rengshausen-Fischbach

Der umtriebige Dasseler Unternehmer Bodo Rengshausen-Fischbach erzählt von seiner prägendsten Auszeit: 22.000 Kilometer durch 13 Länder in 100 Tagen – unterwegs mit dem Volvo nach Vladivostok.

Eigentlich wollte Bodo Rengshausen-Fischbach nur mal wieder seinen Freund Sergej in Vladivostok besuchen. Weil aber seine Frau Heike nicht gern in russischen Propellerflugzeugen sitzt, nahmen die beiden für die Strecke bis zum Pazifik halt das Auto. Nicht irgendein Auto: Mit einem himmel­blauen Volvo 145 Express war das Ehepaar aus dem kleinen Dasseler Ortsteil Krimmensen schließlich 100 Tage lang 22.000 Kilometer durch 13 Länder unterwegs. „Einsteigen, losfahren, ankommen“ – ganz so einfach wie das Motto, das der Unternehmer seiner Reise gab, war es dann aber doch nicht. „Abschied nehmen und Ankommen – das waren unterwegs die schwierigsten Momente der Reise“, erzählt der heute 62-Jährige.

Eine Reise in den fernen Osten wollte Bodo Rengshausen-Fischbach schon vor 38 Jahren unternehmen. Als Student der Ethnologie zog es ihn nach Indien. Die kürzeste Strecke mit dem Auto führte über Afghanistan. Doch die Sowjetunion hatte damals die Grenzen dort dicht gemacht. Der Traum von der Fahrt nach Indien war geplatzt. Ferne Länder waren immer wieder mal das Ziel von Rengshausen-Fischbach und seiner Frau Heike, die sich schon seit vier Jahrzehnten kennen und gemeinsam reisen. Nur die Autotour in den Orient, die fehlte bislang. Als Rengshausen gerade 60 Jahre alt geworden war, sagte sich der Unternehmer augenzwinkernd: „Nun muss ich aber mal langsam los.“

Unternehmerischer Geist

Unternehmer, die 60 Stunden oder mehr in der Woche arbeiten, sind Rengshausen schon immer suspekt gewesen. „Man sollte den Durchmesser des Rades, an dem man dreht, nicht allzu groß wählen“, sagt er dann gern. Um kreativ sein zu können, dürfe man kein Getriebener sein. Und ein kreativer, umtriebiger Unternehmer ist er definitiv. Schon immer gewesen. Unter anderem entwickelte er mit der Vereta GmbH den weltweit ersten Sensor zur Messung der gefühlten Temperatur, gründete mit Freunden die Einbecker Senfmühle. Rengshausen sieht sich als Anstifter, der sich aus Unternehmen zurückzieht, sobald er sieht, dass alles funktioniert. „Wenn der Alltag im Betrieb kommt, dann suche ich neue Herausforderungen.“

Bei seinem ersten, 1983 gegründeten Unternehmen Tapir, das mit ausgesuchten Rohstoffen in kleiner Manufaktur Lederpflegemittel herstellt, ist er unverändert Geschäftsführer, weiß aber den Alltag inzwischen längst in guten Händen. Der jüngste Sohn Moritz ist mittlerweile in die Firma eingestiegen, auch Christine, die Frau des ältesten Sohnes Till, ist bei Tapir mit an Bord. Da war Rengshausen klar: „Wir können die mal alleine lassen.“ Im privaten Wohnhaus in Krimmensen sorgte während der Reise eine Mitarbeiterin als Housesitterin für ein ruhiges Gewissen. Es konnte also losgehen.

Ein Roadtrip nach Vladivostok

Reisen bedeutet für Bodo Rengshausen-Fischbach, unterwegs zu sein und somit weit mehr, als eine Strecke von A nach B möglichst schnell zurückzulegen. Der Weg ist das Ziel. „Natürlich ist es eine Herausforderung, mit dem Partner über 100 Tage lang 24 Stunden am Tag zusammen zu sein“, erzählt der Unternehmer, „im Auto unterwegs durch teilweise 45 Grad heiße Wüsten und mit so vielen Eindrücken, die alle verarbeitet werden mussten.“ Er entschied sich, jeden Abend eine Seite ­Tagebuch zu schreiben, Ehefrau Heike fütterte einen Blog mit Text und Fotos, mit dem praktischerweise auch gleichzeitig Familie und Freunde immer auf dem Laufenden bleiben konnten.

Aus heutiger Sicht war es ein Glücksfall, die Tour vom 4. Juni bis 9. September 2019 zu unternehmen. „Ein halbes Jahr später wäre es eine Katastrophe gewesen“, sagt der Weltenbummler mit Blick auf die dann gekommene Corona-Krise. „Wir haben totales Glück gehabt.“ Natürlich galt es, ein paar Vorbereitungen zu treffen, wenn man über Österreich, Ungarn, Serbien, Bulgarien, durch die Türkei, Georgien, Armenien entlang der süd­lichen Seidenstraße weiter in den Iran, durch Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan und Sibirien fahren will. „Kein Vergleich aber zu den Bemühungen im analogen Zeitalter“, erzählt Rengshausen davon, wie er vor 38 Jahren nach Indien wollte und öfter bei der Botschaft in Bonn vorstellig werden musste, um Formalien zu erfragen. Im Internet lässt sich heute mühelos eine Route ausmachen. Statt schwerer Karten wurde das Navigationssystem gefüttert. Für die Strecke brauchen Deutsche nur drei Visa, die sie beantragten: für den Iran, für Turkmenistan und für Russland. Die meisten Unterkünfte reservierten sie vorab, sie übernachteten aber nicht überall in Hotels. „Der Volvo bot auch genug Platz, um im Auto schlafen zu können“, sagt Rengshausen und lächelt – so geschehen inmitten des Pamirgebirges.

Den markanten Volvo 145 Express, Baujahr 1972, hatte der Autoliebhaber schon vorher bei einem Sammler in Königswinter entdeckt und gekauft. Damals war der Unternehmer auf der ­Suche nach einem idealen Werbefahrzeug für seine Tapir-­Wagenpflegeprodukte gewesen – und fand das seltene Volvo-Hochdachmodell, das es vor 50 Jahren gar nicht in Deutschland zu kaufen gab. Das himmel­blaue Auto passte zudem hervorragend zur ­Markenfarbe der Firma Tapir. Das 82-PS-Modell mit 2,0 Litern Hubraum und vier Scheibenbremsen bekam noch eine verstärkte Achse. Der Kilometerzähler stand schon bei 335.564: „Da kam es auf 22.000 Kilometer mehr auch nicht an.“

Eine Reise der Begegnungen

Rückblickend war ihre Tour eine Reise der Begegnungen. Ungefähr 200 Menschen dürften sie auf der Fahrt getroffen haben, schätzen sie. Da ist beispielsweise Mohamed, den sie in einer Karawanserei im Iran getroffen haben. Er sprach nicht viel. Konnte nicht schreiben und sowieso kein Englisch. Von Mohamed erhielten sie die Hörner als Geschenk, die Rengshausen an seinen Volvo-Kühlergrill montierte. Noch heute stehen sie mit ihm in Verbindung – als Analphabet schreibt offenbar jemand die Mails für ihn.

Oder Farrukh. Auf einem Markt in Usbekistan bot er seine kaligrafischen Zeichnungen an, die er mit Kaffeefarbe produzierte. Er wollte unbedingt den himmelblauen Volvo in seinen Miniaturmalereien platzieren. Am nächsten Tag konnte Rengshausen das Bild abholen. Farrukh hatte gleich zwei Bilder gemalt: eines für die Deutschen, das andere wollte er behalten. In Krimmensen hängt das Bild heute im Flur.

Ihr auffälliger, himmelblauer Volvo war auf der gesamten Strecke förmlich der Türöffner. „Das Auto hat einfach neugierig gemacht“, sagt Rengshausen. „Es hat das Eis für eine Kontaktaufnahme gebrochen, trotz unterschiedlicher Sprachen.“ Einmal hätten Polizisten den Volvo angehalten. „Die wollten nur ein Foto machen“, erzählt er und grinst. An anderer Stelle waren es Soldaten, die plötzlich aus dem Gebüsch aufgetaucht waren. „Auch die wollten nur ein Bild mit unserem himmelblauen Gefährt.“

Eine erfolgreiche Reise

Unterm Strich ging alles gut. Niemand wurde krank. „Wir haben uns noch nicht mal in den Finger geritzt“, sagt Heike Fischbach fröhlich. Der Volvo hingegen, so die 59-Jährige, sei auf der Strecke mehrmals krank gewesen. Immer aber waren die passenden, meist unkonventionellen ,Mediziner‘ in Werkstätten zur Stelle. Statt teurer Spezialwerkzeuge gab es in Georgien drei zupackende Männer: einer mit einem Hammer, einer mit einem Meißel und der dritte hielt die Achse. In Irkutsk war das Kardangelenk kaputt. Und der Volvo, der stets als „good maschina“ gepriesen wurde, kommt in die einzige Lada-Werkstatt vor Ort. Die erste Werkstatt, in die nur zuvor gewaschene Autos hineindurften, erzählt Rengshausen. „Wer eine lange Reise macht, muss die Pferde schonen.“ Mehr als maximal Tempo 80 war ohnehin nicht drin, meist ließen die Straßenbedingungen nur geringere Geschwindigkeiten zu. Aber all das gehört zu einer Reise, bei der der Weg das Ziel ist. Die Fahrt war eine Auszeit, wie das Drücken eines Reset-Knopfs, bilanziert das Ehepaar. Ans Aufhören denkt er nicht. „Reizvolle Projekte gibt es noch genug“, sagt Rengshausen lächelnd, „und solange es Spaß macht …“ Beispielsweise möchte er Start-up-Ideen im Bereich Elektromobilität und Energiemanagement fördern.

Welches die stärksten Erinnerungen bei der Reise waren? Unvergessliche Natur-Erlebnisse gehörten zweifelsohne dazu. Letztlich seien es aber die Erinnerungen an die vielen gastfreundlichen Menschen. Würde er die Reise noch einmal machen? „Man kann so etwas nicht wiederholen“, sagt Bodo Rengshausen-Fischbach. Aber einige Länder und auch manche gemachte Bekanntschaft würden die Eheleute schon gern noch einmal sehen. Die Pandemie hat das bislang verhindert.

Ach, und Sergej, den sie in Vladivostok besuchen wollten, war dann nicht zu Hause. Er musste kurzfristig geschäftlich nach Vietnam. ƒ

Foto: Heike Fischbach & Bodo Rengshausen
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