Verbindungen schaffen

KAMAX hat sich mit Schrauben für die Automobilindustrie weltweit einen Namen gemacht. faktor besuchte das Unternehmen im Harz und fand heraus, was genau BMW und Tesla gemeinsam haben und warum Schraube nicht gleich Schraube ist.

VW, Volvo, Porsche oder MAN – sie stehen für eine lange Liste der Auto mobilhersteller, ob PKW oder Nutzfahrzeuge, die alle eines gemeinsam haben: Ihre Motoren und Fahrzeugkarosserien halten zusammen und erfüllen mit Schrauben und Verbindungsteilen von KAMAX Sicherheitsstandards. Extrem hohe Geschwindigkeiten und spontanes Abbremsen – die Anforderungen an das Material sind enorm. Und aufgrund der verringerten Emissionswerte werden die Motorenblöcke immer kleiner – jedoch bei steigender Leistung. Da muss eine Schraube einiges aushalten, damit morgens jeder mit seinem Auto sicher zur Arbeit kommt.

Zugegeben, auf den ersten Blick wirkt das Thema Schrauben etwas spröde – nähert man sich ihm jedoch unvoreingenommen und interessiert, erkennt man den erstaunlichen Wert dieses alltäglichen Helfers und ist überrascht, wie viel Zeit und Präzision in einer dieser kleinen Stahlstangen steckt. Und die KAMAX­Unternehmensgruppe hat in diesem Zusammenhang auf charmant unaufdringliche Weise das Interesse geweckt: Wenn ein Unternehmen mit insgesamt zwölf Standorten in Deutschland, Tschechien, Spanien und China sowie einem Schwesterunternehmen in den USA seinen Ursprung in Osterode immer noch wertschätzt, hat das seinen Grund: Dieses Werk, das 1935 von dem Ingenieur Rudolf Kellermann unter dem naheliegenden Namen ,Rudolf Kellermann Fabrik für Gewindeteile‘ gegründet wurde, überzeugt seit Jahrzehnten durch den hohen Qualitätsanspruch an seine Produktpalette. 2009 wurde es um das drei Kilometer entfernte Werk II erweitert, welches vor allem ‚Special Bolts‘, also Spezialanfertigungen, herstellt.

„Was unseren Standort im Grunde so besonders macht, sind fast ausschließlich das Wissen und Können unserer Mitarbeiter“, sagt Werkleiter Gerhard Henke, der sich – wenn dies auch zunächst so klingen mag – nicht hinter Platitüden versteckt, sondern auch bei den negativen Aspekten dieses Ortes kein Blatt vor den Mund nimmt. Ein Mann der klaren Worte: „Die Kaltumformtechnik beispielsweise, mit der wir hier seit Anbeginn arbeiten, muss man mit der Muttermilch aufgenommen haben“, erläutert er grinsend – und doch scheint er es sehr ernst zu meinen. Das sei der Grund, weshalb man hier auch so extrem viel Wert auf die Ausbildung der Mitarbeiter lege. Oft haben der Großvater, der Vater und dann auch die dritte Generation bei Kellermann und später KAMAX gearbeitet, und mancher tut es noch immer.

[su_expand more_text=“Weiterlesen“ height=“150″ hide_less=“yes“ link_color=“#a4bfd4″ link_style=“button“]Was damals mit drei Mitarbeitern und ohne Eigenkapital in einer leeren Flugzeughalle begann, ist heute ein Unternehmen mit 430 Mitarbeitern, 90 Millionen Euro Umsatz pro Jahr und einer Tagesproduktion von knapp einer Million Schrauben allein in Osterode. „Eine Schraube nach einer geforderten Norm herzustellen, ist nicht schwer – aber eine Million Schrauben in gleicher Qualität schon“, erklärt Peter Linde, während er für einen kurzen Moment die Ohropax herausnimmt. Der Produktionsleiter führt heute von Halle zu Halle über das Gelände in Osterode: vom Rohmaterial, zu dem auf riesigen Rollen gelieferten Stahldraht und durch die Fertigungshallen bis hin zum Versand. Denn auch das ist besonders an diesem Werk: Es bildet eine gesamte Fertigungskette ab. Begonnen bei der Ursprungsskizze einer jeden Schraube. „Wir produzieren hier nur Zeichnungsteile“, sagt der 57­jährige Linde im Planungsbüro im Obergeschoss der ersten Halle und zeigt eine handgezeichnete Skizze eines Verbindungsteils. „Die wird natürlich noch digital gezeichnet werden, aber für den ersten kreativen Entwurf greifen unsere Ingenieure gern darauf zurück.“ Das letzte Zeichenbrett ist tatsächlich erst vor zwei Jahren ganz aus dem Büro verschwunden. Dafür gibt es dort inzwischen einen 3­D­Drucker, mit dem Schraubenmodelle aus Plastik ‚gedruckt‘ werden – so kann man vorab fühlen und prüfen.

Als Lieferant ausschließlich für die Automobilindustrie werden dabei nicht nur an die Festigkeit hohe Anforderungen gestellt. Bei KAMAX gibt es in der Produktpalette keine Standardschrauben, die man zur Not bei einem Engpass in einem Baumarkt oder dergleichen bestellen könnte. Innovationen und Spezialanfertigungen gehören spätestens seit den 1950er­Jahren zum Kapital des Unternehmens. 1956 erstellten Rudolf Kellermann und Hans­-Christof Klein die ‚Kellermann­Klein­Formel‘, die bis heute den weltweiten Standard für die Auslegung der Anzugsmomente vorgibt. Der Bedarf an kundenspezifischen Schrauben führte das Unternehmen schnell in ein Wachstum, sodass das Werk in Osterode bereits 1955 zu klein wurde und ein weiterer Standort in Homberg (Ohm) gegründet werden musste. 1970 folgte, aus gleichen Gründen, der dritte in Alsfeld. In Homberg befindet sich heute ein eigenes Forschungszentrum, das F&E­Zentrum, das teilweise seine Ingenieure auch direkt in die Unternehmen der Auftraggeber schickt, um neue Produkte zu entwickeln. Mit hohen Standards und wohl auch einer Menge Spaß an der Arbeit sind die Ingenieure bestrebt, nicht nur Bestandskunden zufriedenzustellen, sondern weiter in Richtung Expansion zu schauen. „Wir sind doch Ingenieure geworden, weil uns das begeistert.“, sagt Henke, „Das fing bei uns allen mit der Modelleisenbahn oder der Carrerabahn an.“

Es sei zudem wichtig, so der 62­-Jährige weiter, hier im Werk eine höhere Wertschöpfung zu erreichen, um konkurrenzfähig zu bleiben. „Denn zugegebenermaßen sehen wir den Standort Osterode und Deutschland im Weltmaßstab prinzipiell als Nachteil.“ Hier gibt es ein Problem, über das in Deutschland im Moment die gesamte Industrie ein Klagelied angestimmt hat: den Fachkräftemangel. Inwieweit man dort einstimmt, bleibt vielleicht auch ein Glaubensbekenntnis.

Doch die Werkleitung in Osterode hat gute Gründe für das, worauf sie sich beruft. Zum einen stellt sich der Facharbeiteranteil im Verhältnis zur Gesamtgröße des Werkes mit 75 Prozent als sehr hoch dar, was die Unternehmensführung in Zugzwang setzt, immer neue gute Leute hierherzubekommen. „Die Branche boomt, und wir haben volle Auftragsbücher“, erklärt der Personalleiter Harald Sachse, der aber auch weiß, welcher Anstrengung es bedarf, tatsächlich neues Personal zu finden. KAMAX in Osterode hat konstant zwischen 17 und 18 Auszubildende. Doch die Anzahl reicht für den Bedarf nicht aus, und hochqualifizierte Fachkräfte zu überzeugen, dass sie sich mit ihren Familien in dieser Region niederlassen, ist nicht ganz einfach. „Wir sind nicht München oder Aachen“, so Sachse, der seit über zehn Jahren bei KAMAX beschäftigt ist. Und die Erkenntnis, dass sich Deutschland zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt, ist auch in Osterode angekommen. Man weiß: Man muss etwas tun. „Was wir neben dem Jubiläumsgeld – das ja viele Firmen als Erstes abgeschafft haben – bieten können, ist, dass wir seit Jahrzehnten ein verlässlicher Arbeitgeber sind“, so der 58­jährige Personalchef. „Sicherheit ist inzwischen für die Entscheidung für ein Unternehmen ein wesentlicher Faktor.“

Zum anderen gibt Henke zu bedenken, dass innerhalb der KAMAX-­Gruppe auch Deutschland an sich ein Standortnachteil sei, den es auszugleichen gelte. Als Familienunternehmen, das heute in Form einer Holding aufgestellt ist, agieren die einzelnen Gesellschaften innerhalb der Gruppe weltweit, sodass ein innerbetrieblicher Wettbewerb stattfindet, „den wir aber durchaus als positiv bewerten, da so der Ansporn, effektiv und produktiv zu sein, jederzeit gegeben ist“, erklärt Henke. Aber: Die Produktionsstunde ist in Deutschland um ein Drittel teurer als in den USA, und in Tschechien liegen die Kosten bei nur einem Drittel von denen in Oste rode. „Wir haben hier höhere Lohnkosten und zusätzlich höhere Energiekosten. Da brauchen wir gar nicht weiter drüber reden“, sagt der Werkleiter. „Diese Standortnachteile gleichen wir – und darauf sind wir stolz – durch geringere Ausschussquoten aus, durch Qualifizierung der Mitarbeiter zum Beispiel in Kooperation mit der TU Clausthal.“
Dass jedoch die Anstrengungen der Stadt, wieder attraktiver Lebensmittelpunkt zu werden, ausbaufähig sind, um vor allem jungen Menschen ein lebenswertes Umfeld zu bieten, das ärgert den Werkleiter. Er selbst wohnt nicht hier, sondern seiner Frau zuliebe in Salzgitter. „Aber das Angebot der Stadt ist einfach zu gering“, sagt Henke und lässt damit seinen Unmut heraus. Denn als ein Unternehmen mit hohem Gewerbesteueranteil könne man auch erwarten, dass die Stadt einem etwas zurückgebe.

Wie entscheidend das Know­how der einzelnen Mitarbeiter für KAMAX und speziell Osterode ist, wird noch einmal in der Werkshalle deutlich. Denn die Vorstellung, man nehme einen Draht, gebe die gewünschten Parameter in einen Computer ein und alles fertigt sich von allein, geht weit an der Realität vorbei. „Wir haben hier einen Prozess, bei dem man letztlich nur mit der Erfahrung wirklich punkten kann“, erklärt der Produktionschef Linde. Das angelieferte Rohmaterial unterliegt Schwankungen, ebenso wie die Umweltfaktoren – das alles spielt bei der Entscheidung, wie der Stahl bearbeitet werden muss, mit hinein. Der Ingenieur und gelernte Werkzeugmacher arbeitet seit 1989 bei KAMAX und weiß viel über ‚seinen‘ Betrieb zu erzählen: ca. 100 Tonnen Stahl werden pro Tag verarbeitet, 300 Millionen Schrauben pro Jahr gefertigt, im kalten Zustand lässt sich Stahl maximal zu 30 Prozent umformen, daher sind bis zu fünf Stufen in der Bearbeitung notwendig, um dem Draht ein Profil zu geben. 900 Grad Celsius sind nötig, um die gewünschte Struktur und Festigkeit zu geben.

Es ist beeindruckend, wie viel Wissen tatsächlich in einer Motorschraube verborgen ist. Und die Achtung nicht nur für die Ingenieure und Werker an den Maschinen wächst, sondern auch die für das Produkt. Dass nicht jedes Unternehmen, selbst innerhalb der KAMAX­-Gruppe, die Qualitätsansprüche aus Osterode erfüllen kann, zeigt das Beispiel Tesla: Die Elektromobilität setzt auch in der Schraubenproduktion neue Maßstäbe, denn die Batterien für Elektroautos sind schwerer als Motorblöcke der Verbrennungsmotoren und müssen entsprechend stärker gesichert werden. Osterode bekam den Zuschlag, Spezialschrauben für den Automobilhersteller Tesla in den USA zu produzieren. Und das, obwohl der eigentliche Schwerpunkt des Werkes mit 65 Prozent bei Motorenschrauben für Verbrennungsmotoren liegt und davon wiederum der größte Anteil für Nutzfahrzeuge und eben nicht für den PKW. „Elektromobilität ist für uns auf lange Sicht auf jeden Fall ein Thema, mit dem wir uns schon jetzt beschäftigen“, sagt Linde gelassen, während er durch die über 40 Grad heiße Halle schreitet, in der riesige Öfen ihre Hitze abstrahlen.

1972 kam es hier zum größten Brand der Firmengeschichte, als sich ein Ölbecken entzündete, in dem die heißen Schrauben aus den Öfen abgekühlt werden. Aus dieser Katastrophe hat man gelernt und sich selbst hohe Sicherheitsstandards auferlegt. BMW überprüfte vor Ort die Bedingungen und wurde von Qualität und Sicherheit überzeugt. Osterode hat es geschafft, Alleinlieferant für Hauptlagerschrauben und Zylinderkopfschrauben in BMW­-Motoren zu werden. Man vertraut diesem Standort. Denn ein Produktionsausfall in Osterode würde ein Produktionsstopp in Bayern bedeuten.

Werk II: Zum Schluss noch ein kurzer Abstecher in die Produktion des Ablegers. Hier werden Special Bolts gefertigt, UHT­Schrauben (Hochfestigkeitsschrauben), Prototypen und Musteranfertigungen in Kleinmengen. Während am Hauptstandort Osterode die Produktion im Inneren von tonnenschweren Maschinen automatisiert abläuft, werden hier die Maschinen teilweise noch von Hand gesteuert. Es ist nur eine einzige Halle mit 65 Mitarbeitern, die jedoch 20 Prozent des Umsatzes des Standortes Osterode ausmachen. Eine kleine homogene Gemeinschaft, bei der neben der Arbeit auch das Gesellige nicht zu kurz kommt, indem man für den gesamten Bereich eigenständig Sommerfeste und Weihnachtsfeiern organisiert und dieses Jahr den SI­MAX gewonnen hat. Ein Schraubenmännchen, das für Sicherheit steht und jährlich verliehen wird. Werk II bekam als Anerkennung für ein Jahr ohne Unfälle das Männchen sowie 500 Euro für die Gemeinschaftskasse.

Schraube ist also nicht gleich Schraube. Der Weg vom Draht zum Verbindungselement ist um einiges länger als vermutet. Rechnet man Produktion und Liegezeiten der Schrauben mit ein, so haben sie im Schnitt eine Durchlaufzeit von drei Wochen. Und noch etwas kann man in Osterode sehen: Die Mitarbeiter hier sind echte KAMAXianer, die sich mit dem Unternehmen identifizieren. So ähnlich, wie das auch in einer Ehe ist, weiß der Werkleiter Gerhard Henke zu berichten: „Auch wenn die Mitarbeiter mal aufs Werk schimpfen, ist das Identifikation. Ich schimpfe auch mal auf meine Frau und sie auf mich – und trotzdem bin ich seit vielen Jahren glücklich verheiratet.“ So können wir das stehen lassen.

www.kamax.com

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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