Stephan Ferneding lebt ein Leben voller Gegensätze

Mit 27 Jahren gründete Stephan Ferneding seine erste Firma. Mit 44 ging er in die Insolvenz und kaufte nur kurze Zeit später sein eigenes Unternehmen zurück, um es erfolgreich weiterzuführen. Sein Leben ist eine Erfolgsgeschichte voller Höhen und Tiefen – aber noch mehr eine Hommage an die Wertschätzung für das Leben an sich.

Jakarta 1994: Ein 29-jähriger Jurastudent aus Göttingen büffelt sich durch Berge von Akten – und das mitten in Asien, mitten in der Hauptstadt Indonesiens, in einer kleinen Wellblechhütte. In einer Ecke steht ein Wassereimer: sein Badezimmer. „Wenn man kein Geld hat, geht man dahin, wo man auch mit wenig auskommt“, erzählt Stephan Ferneding heute, während er lässig im lichtdurchfluteten Besprechungsraum seines High-End-Technologie-Unternehmens Accurion in Göttingen sitzt. Für sein Referendariat wählt er damals ganz bewusst keine gemütliche Kanzlei irgendwo in Deutschland – er will wissen, wie deutsche Firmengründungen im Ausland funktionieren. Und nachdem er sein erstes Referendariat bereits in der Karibik absolviert hatte, zog es ihn nun in ein armes Land, um die Gegensätze zu erfahren. Als Student hatte und brauchte er in dieser Zeit auch nicht viel. „Andere wohnten dort auch in Wellblechhütten. Warum soll ich es also nicht ebenso?“ Für Ferneding ist es lediglich ein Beweis dafür, was der Mensch so alles durchstehen kann – und dass auftretende Widrigkeiten auf dem Weg zu einem Ziel stark machen. Selbst die Ratten, mit denen er oft nachts sein Bett teilte, sind inzwischen eine erzählenswerte Anekdote.

Stephan Ferneding ist ein Reisender durch die Kulturen der Welt – und das sein Leben lang. So mutet es zumindest an, wenn der inzwischen 55-Jährige von seinem Weg zum erfolgreichen Gesellschafter erzählt. Es ist eine Reise mit Höhen und Tiefen – und alles nimmt Ferneding mit gleichem Interesse wahr, um daraus zu lernen. „Man muss sich selbst mit seinen Fehlern akzeptieren und nur aufpassen, dass man sie nicht zu oft wiederholt“, sagt er mit einem zufriedenen Lächeln.

Zusammen mit einem alten Schulfreund, dem Physiker Dirk Hönig, und drei weiteren Kommilitonen gründete er 1991 – noch während des Studiums – sein eigenes Unternehmen für Oberflächenmesstechnik: Nanofilm. Die Idee dazu entstand aus der Entwicklung eines wissenschaftlichen Messgerätes am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Es schien einen Markt dafür zu geben, und so legten die fünf Studenten ganz unbedarft los. Nanofilm entwickelte sich über die Jahre immer weiter, wuchs und fing an, Gewinne abzuwerfen. Zunächst war man noch darauf angewiesen, die benötigten schwingungsdämpfenden Werkbänke extern zuzukaufen. Fünf Jahre später entschlossen sich die Jungunternehmer, das Tochterunternehmen Halcyonics zu gründen, das diese Produkte selbst fertigt. Genau die richtige Entscheidung, wie sich einige Zeit später noch herausstellen sollte.

„Wir waren von Beginn an auf dem internationalen Markt unterwegs“, erzählt Ferneding. Kunden, Konferenzen und Kongresse – alles fand international statt – und der Unternehmen reiste in reiche wie auch in arme Länder. Vor allem Länder wie Brasilien, Venezuela, Kambodscha, Indien oder auch Nordkorea prägten seine heutige Lebenseinstellung. „Überall leben Menschen mit ganz anderen Realitäten, als wir sie hier kennen“, erzählt er. „Der Mensch ist so anpassungsfähig an alle Umstände – und was mich am meisten beeindruckt hat, ist, dass sie sich trotz Armut wohlfühlen und lachen können.“ Diese Erfahrungen relativieren bis heute seinen Blick für das, was der Mensch tatsächlich zum Leben braucht. Die Wertschätzung für alles, was er besitzt, spürt er jeden Tag. Und selbst in Zeiten, in denen es ihm in der Vergangenheit schlecht ging, war er dennoch voll Dankbarkeit.

So wie 2008 – als der Jurist mit der Insolvenz von Nanofilm seinen wohl größten finanziellen Tiefschlag erlebte. Die große Biotech-Blase an der Börse war einige Jahre zuvor geplatzt, wie Ferneding sich erinnert. Kunden gingen insolvent, und infolgedessen stand auch sein Unternehmen als Teil der Kette kurze Zeit später vor der Zahlungsunfähigkeit – und damit vor dem Aus. „Vielleicht hätten wir früher Mitarbeiter entlassen sollen“, sagt der Geschäftsführer heute. „Aber die Entscheidung war uns zu schwergefallen. Das war unser Fehler.“ Einige Monate lang kämpfte er. Dann verlor er alles. Die Mitarbeiter wurden entlassen. Der Insolvenzverwalter ließ die Produktion einstellen. Ferneding stand völlig mittellos da. Er konnte seine Miete nicht mehr bezahlen und ging abends in Kindergärten putzen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

„Doch so schwierig die Situation damals auch war – ich kann mich sehr gut erinnern, dass ich trotzdem nicht unglücklich war“, sagt er. Denn er zweifelte keinen Moment daran, dass das Produkt gut sei, dass es einen Markt dafür gebe und dass das Unternehmen nur auf neue Füße gestellt werden müsse. Und so traf Ferneding, nur knapp zwei Monate nach dem Aus von Nanofilm, mit dem Insolvenzverwalter eine Vereinbarung: Mit seinem Tochterunternehmen Halcyonics schaffte er es, die Muttergesellschaft zu retten, und kaufte Nanofilm zurück. Heute, zwölf Jahre später, heißt die vereinte Firma Accurion und ist wieder ein gesundes Unternehmen – mit 38 Mitarbeitern und Standorten in den USA, Indien und China.

„Was ich aus der Krise damals gelernt habe? Ich habe keine Angst, zu verlieren“, sagt Ferneding gelassen. „Respekt vor einer Situation, ja, aber keine Angst.“ Das Geheimnis liege darin, die Lage anzunehmen, so wie sie ist, und nicht immer außerhalb nach Schuldigen zu suchen. Auch das habe er von seinen Reisen an die entlegensten Orte der Welt mitgenommen. „Das Schwierigste war damals, meine Mitarbeiter zu motivieren, die sehr verunsichert waren“, so der Unternehmer. Er unterstützte sie mental, obwohl er in manchen Momenten selbst nicht wusste, woher er seine Motivation nehmen soll. Und es hat funktioniert. Fast alle Mitarbeiter, die nach der Insolvenz zurück ins Unternehmen kamen, sind bis heute geblieben – und viele neue sind dazugekommen.

Begeisterungsfähigkeit ist im Übrigen ein weiteres Geheimnis seines Erfolges, verrät Ferneding. „Wenn ich etwas anfange, dann hänge ich mich auch voll rein und höre nicht auf, bis ich mein Ziel erreicht habe“, sagt er und verweist mit einem verschmitzten Blick auf eine drei mal fünf Meter große Spanplatte hinter sich im Besprechungsraum. Seit Kurzem ist dies sein Trainingsort. Denn vor 13 Jahren entdeckte Ferneding seine Leidenschaft für Stepptanz. Eine Woche nach dem Besuch des Musicals ‚Billy Elliot‘ in London meldete er sich in der Tanzschule Krebs in Göttingen zum Unterricht an. Bis heute trainiert er teilweise neben seinen Aufgaben als Geschäftsführer ein bis zwei Stunden täglich. An allen möglichen Orten seines Alltags finden sich Steppschuhe, ob im Auto, im Unternehmen oder zu Hause – damit er jederzeit in seine Schuhe schlüpfen und üben kann. Wenn er etwas macht, will er es gut machen. So schaffte er es in den vergangenen Jahren viermal an der Deutschen Meisterschaft teilzunehmen, und qualifizierte sich sogar einmal zur Europameisterschaft und zweimal zur Stepptanz-Weltmeisterschaft. Dabei geht es ihm gar nicht vorrangig um den Erfolg, den er mit Sicherheit auch genießt. „Viel wichtiger ist, dass jeder Mensch im Leben etwas hat, wofür er sich begeistern kann – und sich seines Glückes auch bewusst ist.“

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