Asien im Blick

Zur Person

Bereits während seines Jura-Studiums in Göttingen wurde Stephan Ferneding Mitgründer des Accurion-Vorläufers Nanofilm und ist heute einer von drei Inhabern. Auch nach dem Verkauf seiner Firma an das koreanische Unternehmen Park Systems wird der 57-jährige Buddhist noch für einige Jahre als Geschäftsführer die Integration in den Konzern gestalten. Auch für die Zeit danach hat er bereits spannende Pläne: Er will ein buddhistisches Seminarzentrum in Asien aufbauen. Als leidenschaftlicher Stepptänzer schaffte es Ferneding bereits viermal an der Deutschen Meisterschaft teilzunehmen und qualifizierte sich sogar einmal zur Europameisterschaft und zweimal zur Weltmeisterschaft.

Accurion ist eines ,der‘ Messtechnik-Unternehmen des Measurement Valley, die sich ein weltweites Alleinstellungsmerkmal erarbeitet haben: Keiner ist so gut darin wie die Göttinger, Oberflächen mit der Dicke von nur einem Molekül auf flüssigen oder festen Materialien zu vermessen und die Messung auch noch schwingungsfrei durchzuführen. Samsung und Apple beispielsweise bauen mithilfe der Accurion-Messtechnik Funktionsschichten für ihre Displays, die aus über 100 verschiedenen ultradünnen Schichten mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften bestehen. Auch Nobelpreisträger Stefan Hells Mikroskoptechnik setzt die Schwingungsisolation von Accurion ein, ebenso wie Einrichtungen, die mit künstlicher Befruchtung arbeiten.

Hervorgegangen ist Accurion 1991 aus der Entwicklung eines wissenschaftlichen Messgerätes am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, die zur der Ausgründung unter dem Namen Nanofilm führte. Später kam noch die Neugründung Halcyonics hinzu. Von den ursprünglich fünf Gründern verblieben am Ende drei: Dirk Hönig, Marcus Liemen und Stephan Ferneding. Nach dreißig Jahren im Unternehmen stellten diese sich die Frage, wie es weitergehen soll. Die Pläne, das Unternehmen zu verkaufen, gab es dabei schon länger.

Insolvenz nach schwacher Nachfrage

Nanofilm verkaufte hauptsächlich Einzelgeräte an Forschungseinrichtungen und -abteilungen. Da die Geräte eine sehr lange Lebenszeit haben, wuchs sich eine Phase schwacher Nachfrage 2008 zu einer Insolvenz aus. Halcyonics übernahm die Nanofilm und fusionierte mit ihr 2009 zur heutigen Accurion. „Damals gab es erste Überlegungen zu einem Verkauf, aber es war nicht der richtige Zeitpunkt“, erzählt Stephan Ferneding heute. „Wir wollten das Unternehmen erst wieder aufbauen und zum Laufen bringen.“ Das hat rund zehn Jahre gedauert. „Wir haben uns im Gesellschafterkreis 2018 darauf geeinigt, dass wir versuchen, drei gute Jahre nacheinander hinzulegen, und uns dann gezielt nach einem strategischen Partner umsehen.“

Dem weiteren Wachstum von Accurion waren aufgrund der geringen Unternehmensgröße hingegen Grenzen gesetzt. In ihrem Bereich der schwingungsfreien Schichtdickenmessung ist die Firma praktisch konkurrenzlos unterwegs, aber es ist ein Nischenmarkt. „Deswegen wollten wir schon länger in den industriellen Bereich einsteigen, um so mehr Einheiten am Stück verkaufen zu können. Aber das haben wir alleine gar nicht geschafft – wir waren zu klein und konnten den weltweiten Service gar nicht liefern“, sagt Ferneding. 43 Mitarbeiter hat Accurion heute, darunter einen Servicetechniker. „Damit werden Sie von den großen Produzenten gar nicht ernst genommen“, so der Geschäftsführer.

Er sei jetzt 57. Und bei einem Verkauf müsse man für eine Übergangsphase ohnehin noch ein paar Jahre dabeibleiben. „Die letzten waren für uns sehr erfolgreich, deswegen ist jetzt ein guter Zeitpunkt gewesen“, erklärt der Jurist. Also wurden ein Businessplan erstellt, eine Story entwickelt und potenzielle Kontakte identifiziert. Doch bevor die richtig losging, klingelte 2021 bereits Park Systems an der Tür.

Park Systems bietet weltweite Servicestruktur

Die Park Systems AG hat einen ähnlichen Hintergrund wie Accurion: Auch sie ist als klassische Garagenfirma im Silicon Valley gestartet. Heute hat sie ihren Sitz in Südkorea und ist mit über 400 Mitarbeitern im Halbleiterbereich in der Qualitätssicherung tätig – mit einzigartigen automatisierten Rastersondenmikroskopen, die mit atomarer Auflösung arbeiten. „Mit unserer Technologie wollen sie die nächste Messtechnikgeneration in der Qualitätskontrolle einführen“, erzählt Ferneding. Park bringt genau das mit, was Accurion fehlt: eine weltweite Servicestruktur und einen Zugang zu diesem Markt.

Der Tipp, auf Accurion zuzugehen, kam von Parks Kunden Samsung. „Die haben über unsere Technologie gesagt, dass sie gut ist, und wenn es einer hinbekommt, die immer kleiner werdenden Strukturen im Halbleiterbereich zu vermessen, dann seien wir das“, so Ferneding. „Allerdings seien wir zu klein, aber falls Park uns übernehme, könne man sich eine weitere Zusammenarbeit vorstellen.“ Der erste Kontakt entstand auf Arbeitsebene mit Überlegungen für ein gemeinsames Entwicklungsprojekt. Im Laufe der ersten Gespräche kam dann schnell die Frage auf, ob sich Accurion auch eine engere Kooperation vorstellen könne oder sogar eine Übernahme möglich wäre.

„Zu diesem Zeitpunkt gab es dann auch schon weitere Anfragen von anderen Unternehmen“, sagt Ferneding. Die Vorstellungen unterschieden sich jedoch deutlich: „Teilweise waren Standortverlagerungen geplant, andere wollten nur einen Geschäftsbereich übernehmen, das wollten wir aber alles nicht.“ Am Ende blieben zwei Anbieter übrig: Park Systems und ein ungarisches Unternehmen. Das Angebot von Park Systems war zwar niedriger, aber die Koreaner hatten das eindeutig bessere Konzept, die Perspektiven waren besser, und der Standort sollte erhalten und ausgebaut werden. „Das war für alle Beteiligten viel spannender, deswegen haben wir uns für die Koreaner entschieden.“

Anpassung an neue Unternehmenskultur

Am 1. September 2022 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet – im Eingangsbereich von Accurion hängt bereits das neue Firmenlogo. Doch der alte Name soll nicht ganz verschwinden, er wird in Form des Produktnamens für die Göttinger Erzeugnisse weiterleben: „Denn der Name genießt eine große Bekanntheit.“ Amüsante Randnotiz: Vor rund 20 Jahren hatte Ferneding den
Gründer und heutigen Park-CEO Sang-il Park bereits in den USA besucht, um ihm die Accurion-Produkte zu verkaufen. „Das war damals nicht erfolgreich, weil Park noch mitten in seiner Entwicklungsphase steckte.“

Wie soll es nun in Göttingen unter koreanischer Führung weitergehen? Die internen Abläufe ändern sich zunächst dergestalt, dass sich Accurion nicht mehr selbst um den Vertrieb kümmern muss, sondern das weltweite Sales-Netzwerk von Park Systems schult. „Wenn die alle trainiert sind, werden wir deutlich mehr Umsatz hinlegen, weil das Team mit einer ganz anderen Power an den Markt herangehen kann, als wir das je gekonnt hätten“, erklärt Ferneding. „Es ist absehbar, dass der Göttinger Standort massiv wachsen wird und sich die Mitarbeiterzahlen verdoppeln werden. Deswegen führen wir bereits Gespräche über einen neuen Standort.“

Intern wird eine der großen Herausforderungen sein, sich in einen größeren Konzern zu integrieren. Die Geschwindigkeiten seien nun ganz andere: „Bei Park hat jeder seine spezialisierte Aufgabe, bei uns landen daher jetzt viele Anfragen von verschiedensten Park-Kollegen bei einer Person hier im Haus. Da mussten wir schon etwas auf die Bremse treten“, erzählt der Geschäftsführer. Auch die Mitarbeiter müssen mitgenommen werden, denn die koreanische Unternehmenskultur ist doch etwas anders. „Wir haben immer Rücksicht auf jeden Einzelnen und seine individuelle Situation genommen. Auch gab es immer große Entscheidungsfreiräume bei den Abteilungsleitungen.“ In einer größeren Konzernstruktur muss man erst einmal herausfinden, welche Hierarchien einzuhalten sind und wer überhaupt etwas entscheiden darf.

Ferneding will buddhistisches Seminarzentrum aufbauen

Der 57-Jährige hofft nun, dass in Göttingen nicht einfach die koreanische Verfahrensweise Einzug hält, sondern er auch in den letzten Jahren, die er noch im Unternehmen tätig sein will, für seinen Ansatz Werbung machen kann. Dennoch, die Kommunikation läuft gut. Zudem hatte Accurion bereits Zweigstellen in Asien, und auch aus persönlichen Gründen hat Ferneding eine große Nähe nach Fernost aufgebaut. „Ich bin seit einigen Jahren Buddhist und habe viel aus dieser Philosophie für meinen Führungsstil und meine Persönlichkeitsentwicklung übernommen. Ich möchte künftig aber noch tiefer in buddhistische Werte eintauchen.“ Deswegen hat er sich auch eine kleine Klausel in den neuen Vertrag schreiben lassen: Zweimal im Jahr wird ihm von Park ein zweiwöchiger Aufenthalt in einem koreanischen buddhistischen Kloster organisiert.

Mittelfristig hat Stephan Ferneding aber noch mehr vor. „Ich habe die Absicht, gemeinsam mit anderen in Asien ein buddhistisches Seminarzentrum aufzubauen.“ Das soll sich vor allem an Europäer richten, die entweder tiefer in buddhistische Werte einsteigen möchten, oder an Unternehmensmitarbeiter, die nach Asien geschickt wurden, damit sie die asiatische Kultur besser kennenlernen. Nach einem genauen Standort sucht Ferneding noch. Sein Ziel hingegen ist klar: einen neuen ,Spirit‘ zu etablieren und das Wirtschaften menschlicher zu machen. ƒ

Fotos: Alciro Theodoro da Silva

Mehr über den Menschen Stephan Ferneding – und wie er gestärkt aus einer Insolvenz hervorging – lesen Sie im faktor-Beitrag ,Leben voller Gegensätze‘ (2020) hier >>.

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