Die Hebammen Jasmin Czech und Julia Brömsen erreichen über ihren Instagram-Kanal @momallie rund 40.000 Menschen, geben digital ihr Wissen weiter und sind Vorbild für den Nachwuchs.
Es ist ein früher Sommermorgen, ein paar letzte Dunstwolken ziehen über die blühenden Felder rund um die kleine Göttinger Gemeinde Gleichen. In einem idyllischen Wohnhaus am Hang treffen wir auf Julia Brömsen und Jasmin Czech. Die beiden Hebammen arbeiten bereits seit vielen Jahren zusammen, haben sich im Kreißsaal der Klinik kennengelernt. Neben den werdenden Müttern vor Ort kümmern sie sich heute tagtäglich um knapp 40.000 weitere Frauen, die ihnen auf Instagram folgen und die Website von Momallie besuchen.
Fehlende Hilfe in der Schwangerschaft
In Deutschland gibt es Stand 2019 rund 26.000 angemeldete Hebammen und Geburtenhelfer. De facto viel zu wenige – denn allein im Jahr 2020 erblicken hier rund 770.000 Babys das Licht der Welt. „Im Laufe unseres Arbeitslebens sind uns immer wieder Frauen begegnet, die aufgrund dieses Mangels einfach keine Hebamme finden konnten, die sie durch die Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett begleitet“, erzählt Dreifach-Mama Brömsen. „Diese wenden sich dann mit ihren Fragen an Dr. Google und bekommen die schrägsten Antworten. In den seltensten Fällen hilft es ihnen aber wirklich weiter“, ergänzt Czech. „Und auch Frauen, die Hebammen haben, bemühen allzu oft das Internet, wenn sie sich die eine oder andere Frage nicht zu fragen trauen.“ Diese Problematik habe sich durch Corona noch einmal verstärkt, so die 28-Jährige. „Wir wollten aber, dass alle Frauen sicher durch die Schwangerschaft gehen. Das liegt uns persönlich am Herzen“, erklärt Brömsen – und so kam ihnen vor zwei Jahren dann auch die zündende Idee, einen Blog zu erstellen und dort der breiten Masse ihr Wissen zu unterschiedlichen Themen zur Verfügung zu stellen. Wie der Zufall es wollte, kam nur wenig später über eine werdende Mutter auch noch der Kontakt zu Lookfamed zustande, einer jungen Göttinger Agentur, die sich mit der Vermarktung von Influencern bestens auskennt. Schnell wurde aus dem Blog ein eigenes Start-up – inklusive Instagram-Kanal, der die beiden Hebammen in ihrem Alltag zeigt. Momallie war geboren: eine Mischung aus ,mom‘ und ,normally‘.
„Am Anfang war es für uns jedoch alles andere als normal, uns vor der Kamera zu präsentieren“, sagt Brömsen. „Hebamme war, ist und bleibt unser Hauptberuf. Momallie noch nebenbei zu betreiben und sich mit dem ganzen Equipment vertraut zu machen – da waren wir schon froh, die Agentur an unserer Seite zu haben.“ Denn hinter Momallie stecke noch viel mehr, als ein paar kurze Clips mit dem Handy zu drehen, so die 44-Jährige.
Digitale Unterstützung
Ihre Kanäle nutzen sie, um digitale Pakete und Programme zu verkaufen: Kurse zur Schwangerschafts- und Geburtsvorbereitung, zu Babys erstem Jahr und zum Wochenbett bis hin zum Rückbildungskurs inklusive Videos zu postnatalen Yoga-Übungen. So begleiten sie die werdenden Mütter und Familien mit Ratschlägen, Tipps und Tricks durch die Schwangerschaft – und auch danach. „Wir wollen die Frauen dort abholen, wo sie gerade stehen“, erklärt Czech. Insbesondere bei Instagram beantworten sie deshalb allwöchentlich am ,Midwife Monday‘ anonyme Alltagsfragen. „Wir merken hier oft, dass sich viele Frauen sehr wenig zutrauen“, erzählt Brömsen. „Wir wollen sie ermutigen, auf ihr Bauchgefühl zu hören, sich nicht verunsichern zu lassen.“ Das beginnt bei einfachen Fragen zu Hilfsmitteln gegen Übelkeit oder der Frage, was zur Geburt mit in den Kreißsaal mitgebracht werden darf und sollte. „Wir kommen manchmal mit dem Beantworten gar nicht hinterher, weil es so viele sind“, sagt Czech. Dass sie mit ihrer Arbeit eine wichtige Lücke füllen, haben sie schnell gemerkt. „Wir haben erwartet, in den ersten Jahren vielleicht ein paar hundert Follower zu haben. Jetzt sind es bereits bald 40.000!“, erzählt Brömsen begeistert. Auch bei ihrer Arbeit im Kreißsaal werden sie inzwischen schon erkannt. „Viele freuen sich dann, weil sie uns auf eine Art und Weise ja schon kennen – und das ist schön.“
Inzwischen sind die Hebammen in ihre neue Rolle hineingewachsen und schaffen die Doppelbelastung problemlos. Dank Lookfamed haben sie eine Art Redaktionsplan mit verschiedenen Themen und produzieren die Videos, Bilder und Beiträge in den Räumen der Agentur regelmäßig vor. Als Influencerinnen im wirtschaftlichen Sinne würden sie sich selbst jedoch noch nicht beschreiben. Zwar nehmen sie mit ihrer Arbeit auch auf das Kaufverhalten ihrer Zielgruppe Einfluss, und es sei gut möglich, dass der eine oder andere Anbieter von entsprechenden Produkten bald auf die Reichweite der Hebammen aufmerksam wird – bezahlte Partnerschaften kamen bislang allerdings nur sehr vereinzelt zustande. „Wenn wir über ein Produkt reden, dann nutzen wir es auch selbst und stehen zu 100 Prozent dahinter“, erklärt Czech entschieden. „Diese Authentizität müssen und wollen wir uns auch bewahren.“
Berufung: Hebamme
Doch nicht nur für werdende Mütter sind die beiden Hebammen interessant, sondern auch für werdende Hebammen. Denn nur für wenige junge Menschen ist dieser Ausbildungsweg im Jahr 2022 tatsächlich attraktiv. Klar, das Wunder der Natur zu erleben, sei ein ständiger unbezahlter Bonus, doch das Gehalt an sich sei kaum ein ausschlaggebender Faktor, so Czech. „Wir Hebammen sind schon ein spezieller Typ Mensch.“ Unregelmäßige Arbeitszeiten, häufig in ständiger Bereitschaft, abends und auch am Wochenende – und zudem müssen Hebammen seit 2022 auch noch ein Studium absolvieren. Über all dies informieren Czech und Brömsen nun auf Social Media und brechen dabei absichtlich mit Stereotypen und dem überholten Bild von Hebammen, das sich hartnäckig in der Öffentlichkeit hält: mit Öko-Haarschnitt, Ledertasche und Klappfahrrad. „Auch für uns ist es wichtig, mit der Zeit zu gehen“, erklärt Brömsen. Und dieser Schritt zahlt sich aus. „Uns haben schon viele junge Frauen geschrieben, dass sie nun Hebammen werden wollen. Dass wir auch die erreichen, ist natürlich großartig.“
Apropos Zeit: Für die Zukunft wollen die beiden mit ihrem ,Baby‘ zusammen weiterwachsen, um noch mehr Mütter – und auch Väter – zu erreichen. Insbesondere das Online-Kursangebot soll erweitert werden. „Wenn wir in der näheren Zukunft nicht nur 40.000 Frauen erreichen, sondern 140.000 Menschen zur Seite stehen können, dann haben wir unser Ziel erreicht“, sagt Czech und lächelt optimistisch. „Ich glaube, Hebamme ist eben nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Das muss man auch ein Stück weit leben“, sagt Brömsen. Genau das tun sie und schaffen so mit Momallie neue Chancen – sowohl für sich als auch für werdende Eltern. Eben eine nachhaltige Herzensangelegenheit. ƒ