Die Zukunft der Mobilität

Als Marty McFly im Film ,Zurück in die Zukunft II‘ in den Oktober 2015 reiste, wagten die Produzenten damit auch einen Ausblick auf ein mögliches Zukunftsszenario, das von ihnen noch 30 Jahre weit weg war. Wesentlicher Kernbestand: fliegende Skateboards und – natürlich – fliegende Autos. Am 15. Oktober 2015 wurde daher nicht nur der erste ,Back to the Future Day‘ gefeiert, sondern in vielen Medien auch Bilanz gezogen, was denn eigentlich von dieser Zukunftsversion eingetreten ist. Nun, Nike hatte bis dato noch keine ,Power Laschen‘ herausgebracht, tat es aber zum Anlass des inoffiziellen Feiertages mit einer Schuh-Sonderedition. Auch im Heimbereich sind wir mit dem vernetzten Smart Home und Alexa-/Echo-Interface schon recht weit, wenngleich der hydrierende Pizzaofen bislang fehlt. Fliegende Autos und damit eine Lösung des Verkehrsproblems sind allerdings immer noch Fehlanzeige. Gerade das fliegende Auto ist zu so etwas wie dem Sinnbild des utopischen, zukünftigen Verkehrs geworden, und nach über 100 Jahren Entwicklungsversuchen gibt es zwar einige Prototypen – aber eine flug- und fahrfähige Serienfertigung inklusive Landefahrstreifen im städtischen Ballungsraum ist noch nicht in Sicht. Auch der sehr reale Entwickler- und Verkehrsplanertraum vom autonomen Verkehr hat nicht mit der Geschwindigkeit Einzug gehalten, wie es anfangs prognostiziert wurde.

Autofreie Innenstädte, klimaneutrale Kraftstoffe und moderne Technik

Die Zukunft der Mobilität, sie kommt eher in kleinen Schritten und braucht einen langen Atem. In den Niederlanden haben beispielsweise mehrere Städte ihre Innenstädte autofrei umgestaltet – ein Prozess, der Jahrzehnte gedauert hat. Zudem gibt es große Herausforderungen auf ganz verschiedenen Ebenen. Die naheliegendsten sind technischer Natur: Wie ersetzt man erdölbasiertes Kerosin in Flugzeugen? Ein Antrieb mit großer Batterie, wie es in Elektroautos der heutige Standard geworden ist, ist nicht möglich. Auch ein Leichtbau mit  Kohlenstoffverbundfasern wäre praktisch, erfordert aber eine komplett neue Aeroelastik, Aerodynamik und Produktionsweise.

Ebenso auf der Schiene: Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) wurde 2007 das Projekt Next Generation Train ins Leben gerufen, es sollte der große Wurf werden: Wie würde der Zug der Zukunft aussehen, wenn die gesamte Technik und Aerodynamik aus einem Guss nach aktuellem Stand der Technik gemacht wären? 15 Jahre sind seitdem vergangen, aber von einem Praxiseinsatz und einer Produktion im industriellen Maßstab sind die Konzepte des 440 km/h schnellen, per Induktion elektrisch angetriebenen, doppelstöckigen Hochgeschwindigkeitszugs noch immer weit entfernt. Es geht eben nicht nur um das technisch Mögliche, es geht auch um Investitionen, Zulieferer, um Produktionsketten,  Zatenbereitstellung und deren Verarbeitung, um Organisationsfragen, da alte und neue Technik zunächst koexistieren müssen. Es geht um die Frage, ob die Kunden neue Technik überhaupt annehmen: Ist die Mutter etwa bereit, ihre Kinder dem autonomen Shuttle anzuvertrauen, das sie in die Schule bringen soll? Es geht um eine rechtliche Dimension: Was, wenn ein autonom fahrendes Fahrzeug einen Unfall baut, wer trägt dann die Kosten und die Schuld – der Softwarehersteller, der Fahrzeugbauer, der ,Fahrer‘, der eventuell gerade gelesen hat? Für Verkehrsplaner macht es zudem einen riesigen Unterschied, ob Konzepte in der ländlichen Fläche oder im großstädtischen Ballungsraum umgesetzt werden soll.

Niedersächsisches Forschungszentrum untersucht Mobilität

In Niedersachsen und auch deutschlandweit ist das Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) ,die‘ Adresse, wenn es um solche Mobilitätsfragen, vor allem auf der Straße, aber auch auf der Schiene geht. Das NFF ist eine Einrichtung der TU Braunschweig, an dem auch die Universitäten in Bremen, Hannover und Clausthal Mitglied sind und das mit vielen internationalen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft kooperiert, so etwa aus China, Japan und den USA. Am NFF wird an der Technik geforscht sowie den davon berührten Bereichen, wie etwa an rechtlichen Rahmenbedingungen, soziologischen Fragestellungen oder der betriebswirtschaftlichen Tragfähigkeit. Wenn man sehen will, was in Sachen Mobilität geht oder eben (noch) nicht, dann wird man beim NFF fündig.

Das große Problem der Mobilität werde in den Zahlen sichtbar, so Thomas Vietor, Professor für Konstruktionstechnik und Vorstandssprecher des NFF. 2019 wurden in Deutschland 1,2 Billionen Personenkilometer zurückgelegt, der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) hatte daran nur einen Anteil von 6,3 Prozent, die Schiene von acht Prozent – der Rest entfällt auf den individuellen motorisierten Verkehr. Bei den für den Transport von Waren relevanten 700 Milliarden Tonnen-Kilometer sieht es wenig anders aus: 18 Prozent entfallen auf die Eisenbahn, 71 Prozent auf die Straße. „Wir haben einen gigantischen Transportbedarf, aber ich bin erschrocken, wie gering der Anteil des nicht individuellen Verkehrs am Personen- und Güterverkehr ist“, erklärt Vietor. Das 9-Euro-Ticket habe interessante Beobachtungen erlaubt, wie sich einerseits mehr Menschen in den ÖPNV und die Bahn bringen ließen. „Gleichzeitig wurde damit die Kapazitätsgrenze überschritten. Der Personennahverkehr kann in der gegenwärtigen Form nicht viel mehr leisten. Unsere Städte seinen um das Auto herum gebaut, betont Thomas Vietor, das beschränke das Wachstum der öffentlichen Verkehrsträger, mache aber bei zunehmendem Individualverkehr die Situation nicht besser: Absurdes Sinnbild dieser Situation sind die Autos, die sich kaum vom Fleck bewegen, weil der Besitzer sonst befürchtet, keinen neuen Parkplatz zu finden. Also: Wie bekommt man die Autos weg, ohne an Mobilität einzubüßen? Eine Lösung bietet theoretisch das autonome Fahren. Was, wenn ich in der autofreien Innenstadt einkaufen gehe und mich anschließend mein Wagen, der derweil autonom in einem automatisierten Parkhaus etwas weiter weg eingeparkt hat, wieder abholt? Am NFF läuft derzeit ein solches Versuchsprojekt. Im dortigen Forschungsparkhaus werden die Testfahrzeuge automatisiert ein- und ausgeparkt. Für den Nutzer bedeutet das weniger Stress und Suchen, für das Parkhaus heißt das, es wird weniger Platz pro Auto benötigt, weil niemand ein- und aussteigt.

Auch ein automatisierter Shuttle-Verkehr, in ferner Zukunft als Ersatz, zu Beginn zunächst als Ergänzung des ÖPNV, könnte helfen, Angebote zu verbessern, denn das ,Problem‘ im ÖPNV sind die Personalkosten. Sie sind der größte Kostenfaktor für den Betrieb, zudem gibt es einen akuten Mangel an Busfahrern. Auch dazu wird am NFF bald ein eigenes Praxisprojekt starten: Auf etwa einem Kilometer wird eine Fahrspur der Hermann-Blenk-Straße auf dem Nordcampus der TU Braunschweig zur Teststrecke, wo ein autonomer Shuttle quer über das Gelände Personen transportieren soll. „Das Ziel ist, dass die Betreiber des ÖPNV dieses Prinzip schrittweise umsetzen und kommerzialisieren können“, sagt Vietor. „Unsere Vision ist, dass wir mittelfristig so auch eine Verbindung von Nordcampus und Hauptcampus  sowie nach Wolfsburg realisieren.“ Doch bis es so weit ist, müssen noch einige technische Hürden genommen werden.

Verschiedene Ansprüche an ÖPNV auf dem Land und in der Stadt

Nicht zuletzt landet man immer wieder beim Geld. Denn einerseits gibt es die politischen Ansprüche und den bürgerlichen Wunsch für ein besseres öffentliches Mobilitätsangebot, andererseits kostet es Geld. Autonomes Fahren etwa verlangt nach technischer und infrastruktureller Auf- und Umrüstung der Städte. Auf dem Land hingegen müssen noch größere Herausforderungen überbrückt werden als in der Stadt. Denn hier braucht es überhaupt erstmal eine verlässliche Alternative zum Auto, die möglichst breit verfügbar ist und gleichzeitig auch bezahlbar bleiben muss. „Das ist das große Spannungsfeld des ÖPNV“, sagt Michael Frömming, Geschäftsführer des Zweckverbands Verkehrsverbund Südniedersachsen (ZVSN). Der Verband ist mittlerweile eine wichtige Anlaufstelle für die Weiterentwicklung der Mobilität in Südniedersachsen.

Er hat eine Tarifreform in der Region durchgeführt, für eine lange Phase der Preisstabilität gesorgt, sich an innovativen Forschungsprojekten beteiligt und das Angebot im ÖPNV ausgebaut, weil die öffentliche Hand bereit war, wieder stärker zu finanzieren – gegen den Trend der vorherigen Jahrzehnte. „Der nächste Schritt muss sein, wie wir das Angebot des ÖPNV deutlich besser mit anderen Verkehrsmitteln – Auto, Rad, Ondemand-Verkehren – verzahnen können und bei den Bürgern eine Verhaltensänderung bewirken können.“ Ideen gibt es einige. Kurgäste im Harz beispielsweise können mit der Kurabgabe auch den ÖPNV kostenlos nutzen – ein erfolgreicher Ansatz, wie die Auslastung zeigt. Das EcoBus-Projekt, das in Südniedersachsen 2019 einen Testlauf absolvierte, war ein moderner algorithmusgesteuerter On-demand-Transport mit kleinen Shuttles, der den Service eines Taxis in Gestalt eines ÖPNV bieten sollte. Doch es zeigten sich zwei Probleme: Der Betrieb war im Vergleich zum bisherigen ÖPNV viel zu teuer und die Laufzeit zu kurz, um nachhaltig ein verändertes Nutzerverhalten zu erreichen.

Pandemie und Energiekrise bedrohen ÖPNV

Doch abseits aller Ideen, Konzepte und technischen Möglichkeiten steht der ÖPNV in Südniedersachsen derzeit vor einer existenziellen Krise, die innerhalb kürzester Zeit dem bisherigen Angebot teilweise den Garaus machen kann – nach zwei Jahren Pandemie, die dem ÖPNV „schon fast das Genick gebrochen haben“, sagt Frömming. „Für uns im ZVSN fahren 16 Busunternehmen. Dieses Jahr haben sie Mehrkosten für Kraftstoffe von vier Millionen Euro.“ Das Geld hätten weder die Unternehmen noch die Landkreise. „Mit jedem Tag kommen wir dichter an die Situation heran, wo der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich ist und im schlimmsten Fall die Insolvenz eines Busunternehmens steht.“ Einen Ersatzverkehr unter  Marktbedingungen zu organisieren, würde das Problem für die kommunalen Haushalte nur verschärfen. Erste Streichungen im Fahrplanangebot gab es schon. „Das ist aber erst der Anfang. Ab Dezember wird es zu deutlich größeren Streichungen im Fahrplan kommen, wenn es nicht schnellstens, das heißt bis Ende September, eine deutliche Unterstützung durch das Land oder den Bund gibt“, sagt Frömming warnend. Die ÖPNV-Unternehmen warnen bereits seit Längerem vor dieser Situation. Doch auf entsprechende politische Signale wartet man bisher vergebens.

Wie wird sie also aussehen, die Zukunft der Mobilität in 30 Jahren? Schaut man sich rein die Technik an, so wird der autonome Verkehr breiten Einzug halten und zu veränderten Nutzungsformen führen, die das innerstädtische Fahren verändern: Fahrzeuge parken weiter weg und kommen auf Zuruf zum Besitzer, vollautomatisierte Shuttles verkehren auf wichtigen, dafür speziell eingerichteten Fahrbahnen und übernehmen so Teile des ÖPNV – alle Verkehrsträger sind eng vernetzt. Modular gebaute Fahrzeuge könnten tagsüber Personen transportieren und nachts Pakete, vollautomatisch. Vielleicht wäre sogar eine verkehrsverbundübergreifende einfache Tarifstruktur für den ÖPNV machbar. Das 9-Euro-Ticket zeigt, dass eine Verkehrswende über solche günstigen bis fast kostenlosen Verkehrsflatrates möglich ist, das Angebot vorausgesetzt.

„Allerdings, wenn ich mir die Erneuerungslücke unserer Städte anschaue, dann fürchte ich, dass wir in 20 Jahren nicht viel weiter sind als heute“, sagt Thomas Vietor. Der Weg in die Mobilitätszukunft zeichnet sich ab, er nimmt technisch mehr und mehr Gestalt an, wird (er-)fahrbar. Doch der Weg ist von vielen Schildern gesäumt, auf denen große Fragezeichen stehen. Die aktuellen politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen, wie schnell aus dem visionären Weg ein Irrweg werden kann, wenn der Wille zwar da ist, aber die Umsetzung an den Investitionen scheitert. ƒ

Fotos: Alciro Theodoro da Silva

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