Der Horn-Profi

Zeit – das ist für Felix Klieser ein knappes Gut. Der 23-Jährige zählt aktuell zu den besten und begehrtesten Nachwuchshornisten. Gerade erst wurde er als bester Nachwuchskünstler des Jahres mit einem Echo Klassik ausgezeichnet.

Sein Konzertplan für das kommende Jahr ist ausgebucht. Dazu kommen Fernseh- und Radioauftritte sowie Proben und unzählige Übungsstunden. Dennoch findet sich ein Wochenende, an dem er faktor exklusiv etwas von seiner kostbaren Zeit widmet. So treffen wir den Berufsmusiker an einem Samstag Ende November in der Lobby des Inselhotels in Heilbronn. Hier wohnt er seit zwei Tagen.

Am Donnerstag und Freitag hat er bereits mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn für die anstehenden Aufnahmen zu seiner zweiten CD geprobt. Dazu stehen auf seinem Plan ein Konzert am Samstagabend sowie eine Radiosendung am Sonntag. „Ob er wirklich Zeit für uns hat?“, überlege ich, als unser Fotograf und ich in der Lobby warten. Zu einem Ergebnis komme ich nicht, denn schon erklingt die Fahrstuhlglocke. Gemeinsam mit Manager Hasko Witte tritt Klieser aus dem Lift – in Jeans, Pullover und sportlichem Schuhwerk. Die Begrüßung ist kurz, aber freundlich. Klieser verliert keine Zeit. „Dann mal los“, sagt er und führt uns in flottem Tempo auf kürzestem Weg zu einem nah gelegenen Restaurant mit schwäbischer Küche.

Durch große Fensterfronten strahlt die grelle Herbstsonne, die an diesem Tag am blauen Himmel steht. Klieser wird geblendet und tauscht mit dem Fotografen die Plätze. „Ich möchte meinem Gegenüber in die Augen schauen können“, erklärt er. In der folgenden Unterhaltung wird deutlich, warum. Obwohl sich ein lockeres Gespräch entwickelt, beobachtet Klieser seinen Gesprächspartner aufmerksam und hört genau zu. Seine Antworten formuliert er klar und deutlich, sagt immer genug, aber nie zu viel – man merkt, dass er das nicht zum ersten Mal macht. Gern untermalt er seine Antworten mit bildhaften Beispielen, wie bei der Frage, ob er sich beim Essen einschränken muss. „Ananas geht nicht, wenn ich die esse, bringt die Säure das Mundgefühl durcheinander, und das ist wie auf Stöckelschuhen zu joggen.“

Während er genüsslich Geschnetzeltes mit Spätzle verspeist, spricht er über seine Begeisterung für Naturwissenschaften und über Zeitpläne. „Ich weiß schon jetzt, was ich 2018 mache“, sagt er. Das gilt nicht nur für Konzerte. Es steht ebenfalls fest, welches Repertoire wann eingeübt werden muss. Damit alles klappt, braucht es große Disziplin, und es darf nichts dazwischen kommen. „Ich muss auf mich achten, um nicht krank zu werden“, erklärt der Hornist. Denn Zuschauer und die Öffentlichkeit interessiere es nicht, aus welchem Grund ein Konzert schlecht gelaufen ist. Verlangt wird Professionalität, zu jeder Zeit.

Klieser ist dazu bereit. „Auch wenn es mal nicht so gelaufen ist, muss ich trotzdem spielen“, sagt er und ergänzt: „Wenn‘s schlecht läuft, läuft‘s schlecht, da kann man nichts machen.“ Mit seiner Art, die Sachen zu nehmen, wie sie kommen, hat er es als Hornspieler weit gebracht. Dass er trotz seines Erfolgs ein bodenständiger Typ geblieben ist, hat aus seiner Sicht viel mit Selbstanalyse zu tun: „Ich beschäftige mich viel mit meinem Auftreten, weil es mich selber nerven würde, als Diva rumzulaufen.“ Als Solist wäre das im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Orchestern auch schwierig, wie Klieser meint: „Das sind angestellte Musiker und wenn man da als Diva auftritt, machen die vielleicht nur Dienst nach Vorschrift.“ Das bedeute nicht, dass sie schlecht spielten, wohl aber, dass das letzte Quäntchen Emotionen fehle. Dann klingt ein Konzert nicht so gut, wie es hätte sein können. „Dafür werden der Solist und der Dirigent verantwortlich gemacht.“

Mit diesem Druck umzugehen, hat er gelernt. „Es macht mir ja auch Spaß, ein normaler Job würde mich vermutlich langweilen.“ Und langweilig wird es ihm zurzeit auf keinen Fall. Der enge Zeitplan sorgt schon dafür. Im Zuge der letzten Antwort steht Klieser bereits auf und bewegt sich Richtung Tür. Eine kurze Verabschiedung, und schon ist er in der Heilbronner Fußgängerzone verschwunden. Ein schneller Einkauf, und dann ruht er sich für das Konzert am Abend aus. In dem 10.000-Seelen-Städtchen Neuenstadt am Kocher, circa 20 Kilometer von Heilbronn entfernt, treffen wir ihn exakt um 18.30 Uhr an der Stadthalle wieder.

Tag zwei, Sonntag, 7.15 Uhr: Die neblige Innenstadt Heilbronns ist wie ausgestorben. Lediglich einige Angestellte der örtlichen Stadtwerke sind unterwegs – und wir natürlich. Wieder in der Hotellobby treffen wir trotz früher Stunde einen gut gelaunten Felix Klieser. „Das ist für mich eine ganz normale Zeit“, sagt er. Klar, der Tag will gut genutzt sein. Gemeinsam mit Manager Witte nehmen wir im leeren Speiseraum Platz. Dann beginnt das Interview.

Weil Klieser die meisten Fragen schon hundertfach gehört hat, muss er bei den Antworten kaum überlegen. „Ich sage im Grunde immer dasselbe, weil die Fragen auch dieselben sind.“ Das Gefühl, dabei nur vorgefertigte Antworten zu erhalten, entsteht aber nicht. Locker lässt Klieser immer wieder Anekdoten oder plastische Beispiele einfließen. Dennoch erscheinen die Aussagen professionell und routiniert. Nur kurz verlässt er während des Interviews seinen Profi-Pfad. Auf die Frage hin, worüber er sich ausgiebig ärgern kann, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: „Rote Ampeln und 30er-Zonen – da stehe ich zu!“ Sein persönliches Reizthema lenkt Klieser nur kurz ab, schnell findet er seine Konzentration wieder und erkundigt sich, wie viele Fragen noch auf der Liste stünden.

Die Zeit drängt, selbst um Viertel nach acht am Sonntagmorgen. Denn er möchte so lange wie möglich für die am Montag beginnenden CD-Aufnahmen üben. „Auch wenn ich nach fünf Minuten irgendwo rausgeschmissen werde, dann habe ich trotzdem fünf Minuten geübt“, sagt der Hornist. Das er irgendwo stört, komme schon mal vor, denn das Horn sei eben ein lautes Instrument. Heute kann das nicht passieren, denn er hat sich den Schlüssel für die Heilbronner ‚Harmonie‘ besorgen lassen. Zu Beginn seiner Karriere musste er das Üben erst lernen. „Da können die Lippen durchaus mal bluten, wenn man es übertreibt“, berichtet er. Auch ein Muskelkater im Gesicht sei keine Seltenheit, selbst mit der heutigen Erfahrung. In den drei Stunden in der ‚Harmonie‘ ist das aber nicht zu erwarten. Bei genügend Zeit bringt er es auf bis zu acht Übungsstunden an einem Tag.

„Ich muss hart arbeiten, um gut zu spielen!“ Für den talentiertesten Musiker halte er sich nicht. Konzerte lernt er wie alle anderen auswendig. Das sei relativ simpel: „So wie sich jeder den Weg zur Arbeit merkt, so merke ich mir den Weg durch die Noten.“ Damit er diesen Weg in Ruhe gehen kann, verabschieden wir uns gegen 9.30 Uhr. Das nächste Wiedersehen ist für 13.30 Uhr im Funkhaus des Südwestdeutschen Rundfunks in Stuttgart angesetzt. Hier hat der Hornist ein Interview mit Kerstin Gebel für die Sendereihe ,Zur Person‘ des Radiosenders SWR2. Klieser und Manager Witte treffen wegen eines Staus zwanzig Minuten zu spät ein. Die Verspätung nervt Klieser, dennoch ist er im Vorgespräch gewohnt freundlich. Als das Gespräch auf das Thema Auszeichnungen kommt und von Echo bis Musikpreis Usedom einiges aufgezählt wird, kann er sich diesen Kommentar nicht verkneifen: „Ich habe auch den Sonderpreis der Sparkasse Göttingen bei Jugend musiziert gewonnen, da war ich neun.“ Alle lachen, und die Botschaft ist angekommen: Preise spielen für den Künstler nur eine Nebenrolle: „Ich will Horn spielen, denn das ist es, was ich kann.“ Trotzdem fachsimpelt er anschließend mit der Moderatorin gekonnt zwischen Musikstücken über das Horn, die Musik im Allgemeinen und seinen Werdegang. Viele Fragen kommen mir bekannt vor, die Antworten allerdings nicht. Die Geschwindigkeit hält der Hornist wie üblich hoch. Denn auch hier ist Felix Klieser das, was ihn als Musiker und Person auszeichnet: ein absoluter Profi, der möglichst schnell wieder zurück an sein Horn möchte.

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