Starke Frauen im Handwerk

Eine neue Broschüre erzählt die Erfolgsgeschichten von zehn Handwerkerinnen aus Südniedersachsen – welche Hürden sie überwinden mussten und wie sie heute tatkräftig ihren Weg meistern.

Wenn ein Handwerksmeister sich zur Ruhe setzt, dann geht der Betrieb an den Sohn. Gibt es keinen Sohn, heiratet die Tochter den passenden Handwerker – oder der Betrieb wird geschlossen. Dieses Klischee geisterte bis vor einigen Jahren wohl noch durch so manche Köpfe. Doch die Welt hat sich gewandelt. In vielen Handwerksberufen sind Frauen inzwischen fest etabliert. Jeder fünfte Handwerksbetrieb wird mittlerweile von einer Frau geführt. Doch es fehlt an neuen Interessentinnen. Gründe für die geringe Anzahl von Frauen im Handwerk gibt es viele: sei es die Scheu vor körperlicher Arbeit oder fehlende Informationen zu den Berufen.

Um das zu ändern, haben Natalia Hefele, Leiterin der Koordinierungsstelle ,Frauen & Wirtschaft‘ der Stadt Göttingen, und Dorothee Hemme, Kulturwissenschaftlerin und Gründerin des Start-ups Handwert, die Initiative ,Frauen im Handwerk von hier!‘ ins Leben gerufen. Für den Porträtkatalog, der in einem ersten Schritt entstand, hat Hemme zehn erfolgreiche Handwerker­innen aus der Region interviewt und ihre Berufsbiografien beleuchtet.

Frau Hefele, warum stärken Frauen das Handwerk?

Natalia Hefele: Sie bringen ihre ganze Leidenschaft ein. Wenn Frauen im Handwerk qualifiziert sind und diese Qualifikation in ihren Beruf einbringen, dann bringen sie diese zu 100 Prozent ein. Sie sind motiviert, brechen selten ab und machen weiter, bis sie bestimmte Ergebnisse beziehungsweise gute Ergebnisse erzielt haben. Das habe ich während der Arbeit an der Broschüre erfahren und war davon wirklich fasziniert.

Wie sind Sie auf die Idee der Broschüre gekommen?

Hefele: Die Koordinierungsstelle Frauen und Wirtschaft unterstützt und berät Frauen, die sich selbstständig machen oder sich beruflich neu- oder umorientieren möchten. Ich arbeite mit Unternehmen zusammen, um Frauen mit diesen Unternehmen zusammenzubringen. Im Rahmen dieser Tätigkeit war es mir wichtig, Frauen in unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen als Vorbilder zu zeigen. Im ersten Projekt unter diesem Motto ging es über Frauen im Handwerk von hier. Die gleichnamige Broschüre entstand aus der Zusammenarbeit mit dem Start-up Handwert und dort persönlich mit Dorothee Hemme, in der ich genau die richtige Mitstreiterin für das Projekt gefunden habe.

Können Sie sich erklären, warum Frauen im Handwerk immer noch so in der Minderheit sind?

Hefele: Zum einen rührt das sicher daher, dass das Handwerk in die körperlich schweren Berufen eingeordnet wird. Zum anderen ist es wohl die Tradition, dass Mädchen, wenn sie sich für handwerkliche Berufe interessieren, eher typische Mädchen- und Frauenhandwerks­berufe ergreifen. Es ist immer noch eine Seltenheit, wenn Mädchen sich für sogenannte Männerberufe entscheiden. Der Berufswunsch entsteht oft aus Familientraditionen heraus. Eine bewusste Entscheidung für solche handwerklichen Berufe ist noch die Ausnahme.

Dorothee Hemme: Bestrebungen nach mehr Unabhängigkeit von Frauen in den letzten Jahrzehnten haben auch die Idee befördert, dass akademische Karrieren da nützlicher sind als handwerkliche. Dabei zeigen die Gespräche mit Handwerkerinnen, die ich in den letzten Jahren geführt habe, dass es in den über 130 Ausbildungsberufen des Handwerks vielfältigste berufliche Entfaltungsmöglichkeiten gibt – auch für Frauen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist das nicht so präsent, da hören und reden wir in Bezug auf Handwerk eher von Herausforderungen durch Digitalisierung, Industrialisierung oder Fachkräftemangel. Über Stärken reden wir selten. Der Blick in die Werkstätten und Betriebe zeigt jedoch, dass Frauen, die diesen Weg gegangen sind, ihn als lohnend empfinden.

In welchen Branchen findet man am wenigsten Frauen?

Hefele: Das sind vor allem die Berufe des Dachdeckers oder Bauberufe – abgesehen von Schornsteinfegerinnen, wo es durchaus auch Frauen gibt. In Metzgereien oder im Metallbereich sind es aktuell zwischen 10 und 12 Prozent der Stellen, die von Frauen besetzt werden.

Warum ist es Ihrer Meinung nach noch immer keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen in Handwerksberufe gehen?

Hemme: Es gibt ja durchaus Frauen im Handwerk. Fast jede fünfte erfolgreiche Meisterprüfung wurde 2019 von einer Frau absolviert. Und Tischlerin und/oder Kraftfahrzeugmechatronikerin gehörten 2019 zu den beliebtesten handwerklichen Ausbildungsberufen unter Mädchen. Aber ich glaube, dass nach wie vor viel Aufklärungs­arbeit nötig ist, um noch mehr Frauen und Mädchen für handwerkliche Berufe zu interessieren. In unserer Gesellschaft wird theoretisches Wissen immer noch höher bewertet als praktisches, und ein Studium ist für Eltern oft ein selbstverständlicher Wunsch für ihre Kinder. Das Handwerk wird dabei oft vergessen. Völlig zu Unrecht, wie zum Beispiel mein Projekt ,Handwerksstolz‘ gezeigt hat. Denn die Zufriedenheit von Menschen, die im Handwerk arbeiten, ist durchaus hoch.

Hefele: Es gibt nach wie vor noch wenig Aufklärung und Berufsorientierung, was die Handwerksberufe im Einzelnen betrifft: Das Handwerk wird nicht ausreichend erklärt, es wird Frauen und Mädchen nicht nähergebracht. Wenn ich junge Mädchen nach ihrer Vorstellung von Handwerksberufen frage, bekomme ich als Antwort die Berufe Friseurin, Kosmetikerin, Schneiderin und vielleicht noch Malerin genannt.

Wie sieht es an der Spitze aus? Sind die Frauen eher Angestellte oder Chefinnen?

Hefele: Viele Frauen, die den Betrieb von ihrem Vater übernommen haben, arbeiten im Hintergrund, im Office oder Backoffice. Was übrigens auch eine traditionelle Vorstellung ist. Diese Tatsache ändert sich oder hat sich seit einigen Jahren geändert. Denn jedes fünfte Handwerksunternehmen in Niedersachsen wird von Frauen geführt. Und dazu zählen nicht die Unternehmen, die von den Frauen gemeinsam mit ihren Männern geführt werden. Trotzdem bleibt die Konstellation, dass der Mann als Geschäftsführer oder in leitender Funktion tätig ist, bestehen und entspricht nicht nur der Tradition, sondern bedingt die vorherrschenden Klischees.

Liegt es an den festgefahrenen Vorurteilen oder an den Frauen selbst? Und was muss sich ändern? Die Einstellung der Männer, die Frauen oder das Handwerk selbst?

Hefele: Alle drei. Das Handwerk muss sich umstellen und sich mehr für Frauen öffnen, Kinderbetreuungen regeln und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranbringen. Dann sollten mehr Frauen in verantwortliche Gremien gehen. Man sollte sie bewusst darauf ansprechen, hier mitzumachen. Viele Gremien im Handwerk sind nach wie vor männerbesetzte Domänen, die etwas zu sagen haben. Es liegt aber auch ein Stück an den Frauen selbst, die in den Betrieben so viel Arbeit leisten und sich manchmal trotzdem hinter den Männern verstecken.

Wie kommt man da raus?

Hemme: Wir müssen aufklären, Vorbilder zeigen und Frauen zu Wort kommen lassen, die den Weg gegangen sind. Das fand ich beispielsweise in unserem Projekt so faszinierend. Wir haben erfahren, wie unterschiedlich die Wege sind, wie die Frauen zu ihrem Handwerk gekommen sind. Unsere Schornsteinfegerin ist zum Beispiel über eine Frozzelei auf einer Geburtstagsparty zu ihrem Handwerk gekommen. Weil sie schwarze Kleidung getragen hat, hat jemand zu ihr gesagt: „Du willst wohl Schornsteinfegerin werden.“ Darauf hat sie geantwortet: „Ja, will ich.“ Dann hat sie ein Praktikum gemacht, war sehr zufrieden damit und ist dabei geblieben. Man muss Geschichten von Menschen erzählen, die ­diese Wege erfolgreich gegangen sind, damit man Orientierung schaffen kann.

Hefele: Unser Projekt kann genau hier ein kleines Schrittchen nach vorn bedeuten! Mit der Broschüre und der anschließenden Ausstellung, deren Auftakt für Anfang Dezember geplant ist, machen wir die Frauen im Handwerk sichtbarer und zeigen, wie Frauen führen können. Sie sind Profis und vielseitig hoch qualifiziert.

Sprich, wir brauchen ,Role Models‘?

Hemme: Ja, das ist bestimmt ein Weg. Es gibt coole Frauen im Handwerk. Die muss man zeigen und Zugänge schaffen. Ein anderer Zugang ist, über die Zufriedenheit zu berichten, die entsteht, wenn man mit seinen Händen arbeitet und Können stetig wächst. Das ist eine große Bereicherung. Und das sollte man auch an die Bildungspolitik adressieren. Das fehlt in den Schulen.

Und was kommt jetzt nach der Publikation der Broschüre?

Hefele: Als Nächstes wird es die bereits erwähnte Ausstellung geben. Damit wollen wir ein breiteres Publikum erreichen und auf das Thema aufmerksam machen. Zu diesem Zweck wird es eine weitere Talkrunde mit den Handwerksunternehmerinnen geben. Es gibt auch noch viele andere Ideen, die aber alle noch nicht spruchreif sind. Aber unsere Arbeit hat uns klar aufgezeigt, dass wir hier ein wichtiges Thema aufgegriffen und angestoßen haben.

Was raten Sie Frauen ganz praktisch, die sich für einen Beruf im Handwerk interessieren? Haben Sie noch einen Tipp?

Hefele: Wer sich für einen Beruf im Handwerk interessiert, sollte sich auf jeden Fall erst einmal darüber informieren, wie das jeweilige Handwerk oder das Handwerk allgemein funktioniert. Vielleicht auch einfach mal den Mut haben, einzelne Handwerksunternehmen direkt anzusprechen und einen Schnuppertag oder ein Praktikum zu vereinbaren. Das wäre ein Weg. Ein anderer ist, die Arbeitskreise UnternehmerFrauen im Handwerk oder die Kreishandwerkerschaft zu kontaktieren und sich dort zu informieren. Einfach mutig sein und einen Anfang wagen. Es lohnt sich!

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Broschüre

Mit dem Titel ,Frauen im Handwerk von hier!‘ hat die Leiterin der Koordinierungsstelle ,Frauen & Wirtschaft‘ Dr. Natalia Hefele eine Broschüre herausgebracht, in der zehn Handwerksunternehmerinnen aus der Region porträtiert sind. Sie erzählen in Interviews mit Dr. Dorothee Hemme von ihrem Werdegang und ihrer Begeisterung für ihr eigenes Handwerk. Das Projekt wurde vom Landesnetzwerk UnternehmerFrauen im Handwerk Niedersachsen e. V., den Gleichstellungsbeauftragen der Stadt und des Landkreises Göttingen unterstützt.

Die Broschüre zum Download gibt es hier!

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