Gemachtes Nest

– oder die Rückkehrer aus dem Homeoffice

Für engagierte Fach- und Führungskräfte und deren Familien dürfte das folgende Beispiel zur Einführung in die Thematik nichts Außer­gewöhnliches darstellen, praktizieren doch viele von ihnen dies schon seit Jahren: Homework, Weekendwork und eben auch Holidaywork. Bedurfte es denn dann eines weiteren, nahezu unerträglichem Anglizismus einer New Work? Wir werden es sehen.

Langeoog – Weststrand: Dienstag, 24.07.2020, 9.45 Uhr, sonnig bei 24°C

Nachdem Ihre Familie auf dem Weg zum Strand den ­Dünen-Kiosk finanziell nahezu unbeschadet hinter sich gelassen hat, erreichen Sie endlich das sandige Dorado. Ihre Strandnachbarn, die fünfköpfige Familie aus Ennepetal mit eigenartig zornigem Musikgeschmack hat heute eine Strandpause eingelegt. Ein Hauch von Stille und Hoffnung liegt in der Luft.

Während ein Kind bereits gen Brandung stürmt und die anderen bei Windstärke 5 mit den gänzlich ungeeigneten Heringen der Strandmuschel kämpfen, sitzen Sie bereits wie jedes Jahr mit diesem seltsamen 1.000-­Meilen-Blick in den Augen im Liegestuhl. Sie denken über Ihre Zukunft nach und über die Zukunft Ihrer Firma. Wie soll es generell und wie soll es ganz besonders mit Ihnen weitergehen? Wieder einmal mussten Sie Ihrem Vorgesetzen versichern, dass Sie den mittwöchlichen ­,sales report‘ abliefern werden. Urlaub oder kein Urlaub. Die Frage drängt sich Ihnen auf, ob das jetzt New Work oder Old Work ist, und wichtiger noch, ob Sie so überhaupt noch weiter ,worken‘ wollen?

Ein flüchtiger Schattenwurf über Ihrem Gesicht verkündet einen jähen Gedankenwechsel. Es ist Ihr siebenjähriger ,Wattwurm-Schreck‘. Bambus­stange in einer Hand, in der anderen das Netz nebst ­Metallbügel. Nachdem Sie das Gerät zum vierten Mal repariert haben und Ihr Sohn erneut und glücklich juchzend davonläuft, stellen Sie sich nun genau die folgenden zwei Fragen:

  1. Warum hat es noch kein Anbieter geschafft, eine permanente Verbindung zwischen Bambusstab und Netz hervorzubringen und weiter …
  2. Wie schaffe ich es, morgen früh um 5.30 Uhr – und vor allem unbemerkt – die Ferienwohnung zu verlassen, um eine tragfähige Internetverbindung für den ­,sales report‘ beim Dorfbäcker zu erbetteln? Denn das mit dem Report haben Sie aus langer und vor allem schmerzhafter Erfahrung Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin garantiert nicht erzählt.

Obwohl das obige Beispiel einer rein individuellen Erfahrung entspringt, so trifft es dennoch auch generell zu. Urlaub – also eine verlängerte Zeit der Entarbeitung – bietet Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Zeit, in der oft die eher seltenen, wirklich fundamentalen Gedanken überhaupt formuliert werden können. Bezogen auf die Welt der Arbeit können dies selbstkritische, zweifelnde, hoffnungsvolle, aber teils auch abtrünnige Gedanken sein. Ein Urlaub, der zum Wohle des Mitarbeiters und seiner körperlichen und geistigen Erhebung beitragen sollte, kann auch bereits der erste Schritt zur faktischen Ent­hebung sein.

Ich denke, dass Sie die Richtung der Argumentation erahnen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einst im Frühling des letzten Jahres das Unternehmen gen Homeoffice verließen, werden nicht die gleichen sein, die zurückkehren werden. Wenn überhaupt.

So sehr der Vergleich zwischen der obigen urlaubs- und nun auch der pandemiebedingten Abwesenheit in Erfahrungsintensität und in vielerlei anderer Hinsicht hinken mag, so haben beide eines gemeinsam: Abwesenheit von einer ortsgebundenen, formalen Organisation in einer Länge, die es zuvor noch nie gegeben hat. Das stimmt nachdenklich, bringt aber auch ungeahnte Herausforderungen und wahrhaftige Möglichkeiten mit sich. Dies, obgleich Sie sich aktuell die Herausforderungen sicherlich und ungleich leichter vorstellen können als die Möglichkeiten. ,Back to business as usual‘ mag zwar kurzfristig (noch) eine lebbare Alternative für Sie darstellen. Mittel- und langfristig ist sie dies jedoch nicht. Merken werden Sie das spätestens, wenn Ihre Wett­bewerber es gemerkt haben und wenn es im Gespräch um die ­flexible Arbeitsgestaltung in Bewerbungsgesprächen mit neuen und vor allem talentierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht.

New Work

Wir sind gut beraten, New Work nicht als ein amorphes oder als ein erneut verunsicherndes Konzept – als den neuen Hund, der durchs Dorf getrieben wird – zu verstehen, sondern den Begriff in das zu zerlegen, was er lediglich ist.

Ein neues Miteinander(…)arbeiten.

Dass ein Miteinander, sei dies nun präsent oder auf ­Distanz, weiterhin Bestand haben wird, ist unumstritten. Es geht lediglich um das ,Wie‘. Kein neuer Gedanke, denn „Menschen sind zu einem solch hohen Grad sozialisiert, dass sie sich in der Bewältigung nahezu aller ihrer Herausforderungen, mit anderen Menschen auseinandersetzen [und arbeiten] müssen.“

New Work ist kein Gedanke, der einer vermeintlich amerikanischen Denkfabrik entsprang, nur, um danach durch das Aufspringen der wissenschaftlichen Gemeinde zum Allheilmittel gekürt zu werden (Change-Management lässt grüßen). New Work ist eher eine sozialpsychologische Entwicklung, die schon vor der aktuellen Pandemie an Fahrt aufnahm und danach durch die Krise nur noch beschleunigt wurde. Im Sommer 2020 erklärte zum Beispiel Satya Nadella, CEO von Microsoft, dass „wir aktuell zwei Jahre an digitaler Transformation in zwei Monaten durchlaufen“.

Da waren einige von uns noch auf Langeoog und dachten, dass ein Lockdown lediglich im Justizvollzug vorkommt.

Struktur folgt Kultur

Die teils chaotischen Zustände zu Beginn der Pandemie weichen allmählich einem ,neuen Normal‘. Beruhigend und einordnend ist, dass das Gefühl schon mal einen wohlklingenden Namen hat. Der anfängliche Sturm hat sich etwas gelegt, und die Hafeneinfahrt ist bald in Sicht. Obgleich der Lotse bereits an Bord ist, sind Sie gut beraten, sich noch nicht einem Gefühl der Sicherheit hinzugeben, denn das einst aufgezwungene ,neue Normal‘ muss irgendwann zum allseits unterstützten ,neuen Formal‘ werden. Bevor das so sein kann, sollte geprüft werden, ob das organisatorische Fundament (die Firmenkultur) resilient und flexibel genug ist, um eine neue Struktur zu unterstützen, diese glaubhaft zu propagieren und mit dieser Struktur dann in die Zukunft zu gehen.

„Der wirkliche Motor der [Organisations-]Kultur – ihr Wesen – sind die gemeinsamen, unausgesprochenen Annahmen, auf die sich das tägliche Verhalten stützt.“2 Bodenständig interpretiert mit: „Bei uns machen wir das eben so.“

Sollte nun New Work als zwar anscheinend aufgezwungener, jedoch bei allem Anschein wichtiger und langfristiger gedanklicher Konkurrent zum ,Schon-­immer-so-Gemachten‘ eine Chance haben, dann müssen wir erkennen, dass Unternehmen vor allem menschliche Systeme sind, in denen wir die neuen Möglichkeiten, aber auch die Ängste und Risiken einer neuen Heran­gehensweise adressieren sollten.

Die Liste der folgenden Beispiele, Fragen und Kommentare ist bei Weitem nicht erschöpfend, sondern sollte lediglich der Gedankenanregung zum Thema ,Struktur folgt Kultur‘ dienen.

Wer kommt zurück, wer verbleibt im Homeoffice?

Obgleich hier der Art der Aufgabe der größte Mitbestimmungsanteil zukommt, sollte man sich im Klaren darüber sein, dass manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dies als eine Zugehörigkeitsentscheidung sehen, während andere sich ausgeschlossen fühlen könnten.

  • Wie bauen/stärken wir das Gefühl der Verbundenheit, wenn nicht alle (vorerst) in die Organisation zurück kehren werden?
  • Wer muss weiterhin die Anforderungen von Heim und Arbeit balancieren? Wer tut sich mit dem Wieder­aufleben der Trennung zwischen Arbeit und Heim schwer?
  • Wie gehen wir mit neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um, die nicht bereits ein Teil der anwesenden Belegschaft waren, als die Pandemie über die Organisation kam?
  • Die Praxiserfahrung zeigt, dass der künftige Verlauf eines Arbeitens auf Distanz weitestgehend positiv verläuft, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorher bereits persönlich kannten und somit bereits eine Präsenzbeziehung aufbauen konnten.
    Wie sieht es aber nun mit dem An-Bord-Bringen von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, denen diese Erfahrung fehlt?
  • Was werden einige der Faktoren sein, die die zukünftige Verteilung zwischen virtueller und anwesender Arbeit bestimmen?
  • Wie ändern sich die Kostenpositionen von zum ­Beispiel Mietausgaben einerseits und Kosten für die Aufrüstung einer adäquaten EDV-Infrastruktur an­dererseits?
  • Individuelle Mitarbeitererfahrung: „Warum sollte ich mich nach nunmehr fast einem Jahr der erfolgreichen flexiblen Arbeitsweise erneut mit einem Büroalltag von der Stange anfreunden?“
  • Menschliche Verbundenheit: „Einerseits verzichte ich gerne auf den täglichen Anreisestress zum Arbeitsplatz, andererseits brauche ich aber auch den menschlichen Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen, um die Arbeitsbeziehung ,gesund‘ zu halten.“
  • Organisationale Besorgnis: Können wir dieser neuen und auch entrückten Art der Arbeit vertrauen, wenn uns die Krise als solche nicht mehr motiviert? Wie sieht es im Falle von ,einmal draußen – immer draußen‘ mit der psychologischen Sicherheit, besser dem organisationalen Rückhalt und der Sattelfestigkeit aus?

Führung

  • So wie ein positiv wertschätzender Führungsstil bereits in der zugewandten (persönlichen) Führung wichtig ist, so ist er das jetzt in den verschiedenen, eher entrückten Online-Szenarien allemal. Einer der wichtigsten Eindrücke, die Sie jetzt als Leitungskraft Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber propagieren und verstärken sollten, ist das Gefühl der Zugehörigkeit.
  • Erfolgreiche Führungskräfte werden die sein, die klare kulturelle Werte in der Unterstützung der strategischen Richtung des Unternehmens vertreten und dies den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermitteln und ihnen erlauben, in der aktuell unsicheren und komplexen Situation erfolgreich zu sein.
  • Eine frappierende und gleichzeitig besorgniserregende Erkenntnis der Führungsforschung besagt, dass Führungskräfte von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anhand von Kriterien bewertet werden, die die Führungskraft selbst gar nicht kennt. Darüber sollten Sie nicht zu lange nachdenken … – es ist einfach so. Lassen Sie sich lieber zumindest anhand eines vermuteten Kriteriums bewerten: wie zugewandt, empathisch, aber auch kritisch-solidarisch Sie Ihre Mannschaft durch die Krise geleitet haben.

Zu guter Letzt möchte ich Ihnen noch ein Beispiel oder – besser gesagt – einen Gedanken mit auf den Weg geben, der hier am Ende dieses Artikels meines Erachtens sehr schön passt. Vor Kurzem beendete ich einen Gastvortrag an der PFH Göttingen für Masterstudenten der wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen zum Thema Führung mit einer abschließenden Präsenta­tions­folie. Diese enthielt in einem Satz die Quintessenz der damaligen Präsentation – und nun auch die des vorliegenden Artikels:

Menschen machen Erfolge.

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