Spiel, um zu wachsen!

Gabriel von Berlepsch und Rebecca Klingenberg begleiten Menschen mit ihrem Format Playtogrow (schau)spielerisch auf einer Reise zu sich selbst und zu mehr Kreativität im Team.

Stellen Sie sich kurz vor, Sie sitzen in einem leeren Raum. Der leere Raum füllt sich in Ihrem Kopf: An der linken Wand befindet sich ein Bücherregal. Sie greifen hinein, finden ein Buch mit leerem Cover. Mit ein bisschen Fantasie füllt sich die farblose Vorderseite. Das Buch bekommt einen Namen, einen Titel, ein Bild und die ersten 20 Seiten, dann 20 Seiten mehr. Auf der Rückseite wächst eine Zusammenfassung. Wort für Wort, Satz für Satz, Sinn für Sinn. Gewachsen in Ihrem Kopf, aus einer einfachen Aufforderung: Greifen Sie in das Bücherregal – das es gar nicht gibt. So oder so ähnlich beginnt eine Begegnung mit Rebecca Klingenberg und Gabriel von Berlepsch. Die beiden Schauspielenden gehören seit sieben Jahren zum Ensemble des Deutschen Theaters – heute sind sie auch abseits der großen Bühne ein gut eingespieltes Paar, sowohl beruflich als auch privat.

Es ist ein typisch deutscher Spätsommertag, als wir sie in ihrer Göttinger Altbauwohnung treffen. Während draußen der warme Regen auf den Rasen prasselt, gibt es Kekse, Tee und Kaffee. Das bisschen Licht fällt trotz allem hell an die hohen Wände des Wohnzimmers der kleinen Familie. Vor einer sonst freien Wand ist eine riesige schwarze Leinwand aufgebaut, davor ein Bühnen­licht und eine Kamera. Als im vergangenen Jahr Corona kam, waren die beiden Schauspieler dankbar für ihre Anstellung am Deutschen Theater in Göttingen. Denn statt das Ende der Karriere befürchten zu müssen, wechselten sie ,nur‘ in Kurzarbeit. „Mit der zweiten Welle hat es uns dann aber auch gereicht. Unser Beruf ist sehr bedroht – wir brauchen das Publikum“, sagt Gabriel von Berlepsch ernst. „Und wir hatten plötzlich sehr viel Zeit“, ergänzt Rebecca Klingenberg. Zeit zu Hause für die zwei Kinder, Zeit für sich, für Ideen. Und für ein Projekt, das sie schon vor dem Jahr 2020 und seinen Folgen begonnen hatten – das aber nun erst so richtig Fahrt aufnahm.

Mit Playtogrow haben die zwei Bühnenkünstler gemeinsam ein Konzept entwickelt, mit dessen Hilfe sie anderen Menschen spielerisch zu innerem Wachstum verhelfen wollen. Oder besser: schauspielerisch. Denn hier greifen sie tief in die Trickkiste ihres Berufes, regen Sprache und Fantasie an und bringen Menschen in Bewegung – sowohl physisch als auch mental. Wer Klingenberg und von Berlepsch engagiert, sucht entweder im Einzeltraining für sich persönlich oder in Verantwortung für ein ganzes Team neue Wege. Privatpersonen, Geschäftsführer oder ganze Abteilungen werden durch das Coaching gestärkt. Das Versprechen der beiden: Gruppen arbeiten hinterher nicht nur effizienter, sondern auch mit Freude und Geist zusammen, weil sie die Grundsätze co-kreativen Arbeitens spielerisch erlernt haben.

Im Einzelcoaching geht es ans Eingemachte: Es gibt Feedback zu Körpersprache, Stimme, Atmung, Haltung und Wirkung des Teilnehmenden. Klingenberg und von Berlepsch unterstützen bei Auftritten und Reden, lehren Dramaturgie und die Fähigkeit, in komplexen Bildern zu sprechen. Ihr volles Potenzial entfaltet Playtogrow jedoch erst im Teamcoaching. Denn: „Wahre kreative Energie und Schaffenskraft entsteht nicht allein in der stillen Kammer, sondern durch den Austausch in der Gruppe und gemeinsame Interaktion“, erklärt Klingenberg ihre Theorie. Dabei schaffen sie einen Raum der Begegnung, lassen Bewegung und Entfaltung zu und regen spielerisch die Team-Dynamik an. Normalerweise wird dann für einen halben bis zwei Tage ein Raum gemietet, die bis zu 20 Teilnehmende kommen dann über mehrere Stunden zusammen. „Wir holen die Leute ab und zeigen, dass mit kleinen Werkzeugen aus dem Theaterbereich die Kreativität von ganz allein kommt. Denn wer sich anstrengt, kreativ zu sein, wird schnell merken, dass das nur mäßig nicht klappt“, erklärt von Berlepsch. Als dritter Sohn der Grafenfamilie von Berlepsch wuchs er im Schloss bei Witzenhausen auf, bevor er seine Schauspielausbildung in Rostock absolvierte. Inzwischen ist er neben der Theaterbühne auch immer wieder im TV zu sehen. „Und im Team sind Menschen einfach per se kreativer“, sagt auch noch einmal die gebürtige Bremerin an seiner Seite, die ihre Ausbildung in Zürich genoss und bereits zahlreiche Hörspiele für den SWR und das Schweizer Radio DRS aufnahm. „Das kreative, einsame Genie ist eher ein Mythos.“

Wie die Schauspieler auf der Bühne des Theaters, so blühen auch die Teilnehmer der Workshops auf und entdecken Stärken und Talente in sich – auch ohne Talent zur Schauspielerei. Das gelingt von Berlepsch und Klingenberg oftmals schon in der ersten Stunde. „Wenn wir im Raum ankommen, uns bewegen, spielerisch eine offene Geisteshaltung einnehmen, bauen sich Ängste ganz von selbst ab “, sagt Klingenberg. „So wie auch wir vor unseren Auftritten immer noch aufgeregt sein können, so geht es auch unseren Teilnehmenden. Sie wissen ja nicht, was sie gleich erwartet.“

Sich mit anderen Menschen zu verbinden, aufmerksam zu sein und den Moment bewusst zu erleben und einzuschätzen, ist nur eine Auswahl der Fähigkeiten, die durch Playtogrow geweckt werden. „Es ist toll zu sehen, was in der kurzen Zeit entsteht und wer sich öffnet. Menschen begegnen sich im Team plötzlich auf Augenhöhe und entwickeln tolle Qualitäten“, erzählt von Berlepsch. Neue Farben und Facetten in sich zu entdecken, ist eben nicht nur auf das Schauspielerdasein beschränkt, sondern darf auch im realen Leben passieren, im Alltag und in der Arbeitswelt. Und genau das lernen die Teilnehmer.

Die vergangenen Monate bedeuteten für Playtogrow einen Umzug in die digitale Welt. Statt in einem Kursraum begegnete man sich nun auf einmal via Zoom-Meeting. „Wir konnten uns erst gar nicht vorstellen, dass das funktioniert“, sagt von Berlepsch. „Theater ist etwas sehr Analoges: sehen, riechen, erleben. Man setzt sich da hin, es passiert live, und man könnte es sogar anfassen. Ganz ohne Instagram-Filter.“ Stattdessen war man nun durch Raum und Bildschirme getrennt. „Wir sind ins kalte Wasser gesprungen, weil es eine Anfrage gab“, sagt von Berlepsch. „Und wir waren überrascht, wie gut auch das funktioniert: Wir, aber auch die Menschen vor den Computern, hatten riesigen Spaß.“ Die digitale Distanz war für einige sogar Segen statt Fluch. „Eine Teilnehmerin sagte, dass es für sie so sogar einfacher war, sich darauf einzulassen“, erzählt Klingenberg, „weil sie geschützt zu Hause saß.“

Mittlerweile kehren die Schauspieler auch wieder auf die richtige Bühne des Deutschen Theaters zurück, wenn auch nur schrittweise. Diesem Ort gehört auch weiterhin ihr Herz, da sind sie sich einig. Von Kollegen bekommen sie Zuspruch für Playtogrow, doch sich nur noch ganz dem einen oder anderen widmen – das können und wollen sie noch nicht. „Wir machen beides, weil es uns Freude bereitet und glücklich macht“, sagt von Berlepsch. Es sei genau diese Abwechslung, die ihr Leben und eben auch der erlernte Beruf mit sich bringt. Eine Begeisterung und Leidenschaft, die sie gern an Menschen weitergeben, die sonst im Alltag anderen Dingen nachgehen – und auf diesem Weg vielleicht sogar ungeahnte Talente in sich entdecken. ƒ

Foto: Christoph Türkay
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