Richtiger Riecher

Vom Seemann zum Feinkosthändler – wie Antonio Viani in Göttingen seine Liebe fand.

Das Handelsschiff „Maria Teresa“ segelt Ende des 18. Jahrhunderts durch die Straße von Messina ins Ligurische Meer. Eigner des Handelsschiffes ist Antonio Vianis Urgroßvater. Gemeinsam mit seinem Sohn kauft er Getreide in Griechenland, verschifft es nach Pietra Ligure und mahlt es dort in der familieneigenen Mühle. Das Mehl wird an die Bäckereien der Umgebung verkauft.

Auch der zweite Urgroßvater von Antonio Viani handelt mit Lebensmitteln. Er importiert Hülsenfrüchte, getrocknete Früchte und diverse Lebensmittel. Antonios Vater führt die beiden Geschäfte zusammen, indem er eine kleine Fabrik eröffnet, die Trockenfrüchte und -gemüse produziert.

„Handeln steckt mir im Blut“

erzählt Antonio Viani heute. Schon als Kind habe er alles Mögliche verkauft. „Ich fing mit Wurmsteinen fürs Angeln an“, erinnert sich der 74-Jährige heute.

Das Erste, was er in Göttingen vor genau 50 Jahren verkauft, sind Olivetti-Büromaschinen, deren Vertretung er gerade übernommen hat, nachdem sein Verkaufstalent schon kurz zuvor bei seiner Ausbildung als Büromaschinenverkäufer in Hannover aufgefallen ist.

Dass es Antonio Viani von der italienischen Riviera nach Göttingen verschlägt, ist Zufall – oder Schicksal. Sein Vater muss die Fabrik nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeben und verlässt die Familie aus Scham – und um sich den Gläubigern zu entziehen. Er wird erst Jahre später zurückkommen. Seine Frau bringt sich und die vier Kinder mit einer Strickmaschine durch, im Sommer zieht die Familie in den Schuppen, um deutschen Touristen in ihrer Wohnung eine Herberge zu bieten. Antonio trägt zum Einkommen als Koch, Kellner, Bademeister und Kinderbetreuer der Gäste bei.

„Ich war ein kleiner Papagallo“

erzählt er. „Und als dann eine Familie aus Göttingen kam – zwei Töchter, wunderschön –, da hat’s bei mir geknallt!“ Bevor er aber seiner großen Liebe Ingrid nach Deutschland folgt, bereist er, der schon als Kind die Schiffe am Horizont beobachtet hat, als Seemann die Weltmeere und wird Offizier bei der Handelsmarine.

In fast jedem Hafen erhält der Verliebte einen Stapel Briefe aus Göttingen, bis er an Land Wurzeln schlägt. Obwohl er das Meer vermisst, läuft sein Büromaschinen-Handel in Göttingen gut, 1969 werden neue Büroräume bezogen. Dann gründet Antonio Viani Filialen in Northeim und Bad Lauterberg.

Als er einen Computer einrichtet bei der Fleischerei Börner im heutigen Börner-Viertel, wird er zu Hilfe gerufen. Ein Italiener steht im Laden, und Antonio Viani soll übersetzen. „Der Mann hatte sich aus der weltweit führenden Handelsgesellschaft für Sommertrüffel ausgegründet und wollte dem Kunden eine Tonne Trüffel verkaufen. Ich machte ihm klar, dass wir das Geschäft gemeinsam machen würden!“

Der Geschäftstüchtige hat mal wieder den richtigen Riecher.

1973 gründet er die „A. Viani Importe“ und darf exklusiv Trüffel in Deutschland vertreiben. Nach und nach erweitert er das Sortiment, um vorwiegend italienische Spezialitäten wie Würste und Schinken, Öle und Essige, Käse und Wein. So reist Antonio Viani immer wieder in die alte Heimat und lernt Produkte und Produzenten kennen.

„Wir haben uns zunächst auf die gehobene Gastronomie konzentriert“, erläutert er das Geschäftsmodell. „Dann kamen immer mehr kleine, feine Spezialgeschäfte für Feinkost dazu.“ Besonderes Qualitätsmerkmal der Viani-Lebensmittel ist bis heute, dass sie handwerklich hergestellt werden, also nicht aus industrieller Massenproduktion stammen.

Mitte 1987 bekommt Antonio Viani das Angebot, seine Büromaschinen-Firma zu verkaufen. Seine Frau, die auch im Unternehmen an seiner Seite steht, fragt ihn: „Bist du verrückt? Der Betrieb läuft doch so gut!“ Darauf antwortet er: „Willst du verkaufen, wenn es schlecht läuft?“ Also macht er das Geschäft und konzentriert sich fortan nur noch auf den Handel mit den Spezialitäten aus der Heimat.

Seinen in Deutschland geborenen Söhnen Stefano und Remo steckt wohl auch das Unternehmertum „im Blut“, beide zeigen zunächst aber kein Interesse am Lebensmittelhandel. Die Brüder gründen zusammen mit Daniel Gerlach die bis heute erfolgreiche Göttinger Werbeagentur Blackbit.

Antonio Viani wartet auf seine Chance

und macht Sohn Remo ein Angebot. „Du musst perfekt Italienisch sprechen und unsere wichtigsten Lieferanten persönlich kennenlernen.“ Gesagt, getan – der Junior lernt zunächst die Sprache und reist anschließend ein dreiviertel Jahr durch alle Regionen Italiens. Remo Viani, der 1995 das operative Geschäft übernimmt, erweitert das Angebot um Spezialitäten aus anderen Mittelmeerländern und verdoppelt so – zum Stolz des Vaters – recht schnell den Umsatz.

An seinem Vater schätzt Remo, dass er bei der Übergabe schnell losgelassen habe. „Ich bin da, wenn du Hilfe brauchst“, verspricht dieser und lässt seinem Sohn fortan freie Hand. Der erfahrene Unternehmer widmet sich weiterhin dem Trüffel-Handel und ordnet die Finanzen.

So schenkt er seinen Mitarbeitern „Aktien“. Zehn Prozent des Firmenwertes befindet sich in der Hand der Belegschaft und motiviert die über 50 Beschäftigten zusätzlich.

„Langeweile habe ich nie gehabt“

erzählt Antonio Viani. Mit 60 Jahren fängt er an, Golf zu spielen. Auch heute schaut er – zum Missfallen seiner Frau – noch gelegentlich in „seiner“ Firma nach den Geschäften. Und die Geschäfte laufen: Mittlerweile gibt es bei Viani Importe über 2.000 Artikel von mehr als 200 handverlesenen Lieferanten, die an rund 2.500 Kunden geliefert werden. Auch um den Kontakt zur alten Heimat Italien zu halten, ist Antonio Viani mit seiner Ingrid mittlerweile ein paar Mal im Jahr in seinem Heimatort Pietra Ligure. Dort, wo alles einmal mit der „Maria Teresa“ begonnen hat.

Antonio Viani, der am 5. November 2011 seinen 75. Geburtstag feierte, startete vor genau 50 Jahren sein ersten Unternehmen in Göttingen: nämlich eine Olivetti-Vertretung. Zum Handel mit Büromaschinen kam das Geschäft mit Trüffel und anderen Spezialitäten aus seiner Heimat hinzu. 1973 gründete er die „A. Viani Importe GmbH“ und entwickelte die Firma, die mittlerweile sein Sohn Remo leitet, zum Marktführer.
 
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