„Jetzt machst du das“

Antonio Viani gründet vor 50 Jahren die Viani Importe und entwickelt den Feinkosthandel erfolgreich weiter. 1995 übergibt er das Unternehmen an seinen Sohn Remo, zieht sich zurück und vertraut seinem Nachfolger. Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn darüber, wie das Schicksal Viani zum Trüffel führte, über Platzprobleme und wie sie gemeinsam einen Ort zum Wachsen fanden.

Antonio Viani

„Ich habe teilweise bis zu 23 Tonnen Trüffel in einem Jahr an die Fleisch­warenindustrie verkauft. Das lief gut es war der Grundstock für die Viani-­Importe“

Die Firma Viani feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen und ist heute einer der Großhändler, wenn es um Feinkost aus Italien geht. Zuvor bestand bereits die Viani Büro- und Datentechnik VertriebsGmbH. Antonio, was hat dich vor 50 Jahren überhaupt in die Lebensmittelbranche geführt?

Antonio: Schon im Jahr 1800 handelten meine Urgroßväter mit Lebensmitteln, die sie per Schiff in ihre Heimat Ligurien transportierten. Sie importierten Trockenobst, Getreide und Hülsenfrüchte. Und doch war es bei mir wohl eher das Schicksal, das mich in diese Branche führte – denn eigentlich hatte ich damals ja einen Büro­maschinenhandel.
Da war die Fleischwarenfabrik von Börner in dem bekannten Göttinger Viertel – Gustav Garbode war der Inhaber. Ich hatte ihm gerade einen Computer verkauft und war dabei, diesen einzurichten, als ein junger Italiener hereinkam und Sommertrüffel verkaufen wollte – für die Trüffelleberwurst und Pasteten. Der junge Mann konnte aber kein Französisch, kein Englisch, nur ein paar Brocken Deutsch. Garbode kam zu mir und fragte, ob ich ihm als Dolmetscher helfen könne. Da habe ich kurzerhand die Verkaufsverhandlung übersetzt. Und so hat der Italiener der Firma Börner noch am selben Tag eine Tonne Sommertrüffel verkauft.

Wie ging es dann weiter?

Antonio: Der Italiener namens Bassetti war ganz begeistert, dass er einen so schönen Auftrag bekommen hatte. Er lud mich zum Mittag ein und überreichte mir einen Scheck mit den Worten: „Das ist Ihre Provision, 1.000 D-Mark.“ Oh, wie habe ich mich gefreut! Dann bot er mir an, für ihn in Deutschland weiter Trüffel zu verkaufen. „Ja, warum nicht?“, habe ich gesagt, „ich versuche es mal.“

Doch bei dem Versuch ist es nicht geblieben. Du hattest schnell Erfolg.

Antonio: Ja, es dauerte nicht lange – und ich hatte so viel verkauft, dass Bassetti keine Ware mehr hatte. Ich war gerade dabei zu überlegen, wie es jetzt weitergehen soll, da klingelte das Telefon, regelrecht im selben Moment. Auf der anderen Seite der Leitung war ein Herr Urbani, der sagte: „Herr Viani, ich habe gehört, Sie verkaufen Trüffel für Herrn Bassetti. Bassetti war früher ein Mit­arbeiter von mir, der sich selbstständig gemacht hat, um Trüffel zu verkaufen. Aber nun hat er nichts mehr, da Sie alles für ihn verkauft haben. Der Einzige, der jetzt noch Trüffel für Sie hat, bin ich – ich habe so viel, wie Sie wollen.“ Und ich sagte kurzentschlossen: „Ich brauche sehr viele davon!“
Von da an lieferte Urbani seine Ware an mich. Ich habe teilweise bis zu 23 Tonnen Trüffel in einem Jahr an die Fleisch­warenindustrie verkauft. Das lief gut – es war der Grundstock für die Viani-­Importe, die wir 1973 offiziell gegründet haben, weil wir von da an nicht nur konservierte Trüffel verkauften, sondern auch frische.

Und damit hast du gleichzeitig eine neue Zielgruppe erschlossen, nämlich die Gastronomie.

Antonio: Das stimmt. Die Trüffel haben wir direkt aus Italien kommen lassen und an die gehobene Gastronomie verkauft. Renommierte Gastronomen wie Eckart Witzigmann, Dieter Müller und Harald Wohlfahrt waren stets sehr wissbegierig und interessiert und wollten auch immer etwas Neues haben – zum Beispiel Spitzmorchel, Balsamicoessig, rosa Pfeffer und solche Produkte, die hier damals völlig unbekannt waren. So habe ich immer mehr Artikel importiert und verkauft, und das Programm wurde immer größer.
Nebenbei habe ich – noch bis 1986 – weiter Büro­maschinen verkauft. In meinem Lager waren also Computer, ­Buchungsautomaten, Schreibmaschinen und Kisten voller Trüffel. Alles zusammen. Natürlich wurden dadurch auch die Räumlichkeiten immer enger, und wir mussten mehrfach umziehen. Zunächst war unsere Kundschaft hauptsächlich die Gastronomie. Dann hat sich unsere Ausrichtung verändert, und wir haben uns mit dem Angebot mehr an die Feinkostgeschäfte gewendet.

Zeitsprung – das Unternehmen lief über zwei Jahrzehnte erfolgreich weiter. Wann und wie kam Remo ins Spiel?

Antonio: Das war 1995. Meine Kinder wurden erwachsen und hatten in der Zwischenzeit ihre eigene Firma gegründet – die Agentur Blackbit, die Druckvorlagen erstellte und Werbung machte. Eines Tages habe ich sie dann gefragt: „Irgendwann muss ich das Ganze ja doch abgeben. Wie soll es dann weitergehen?“
Remo: Ich habe gesagt, dass ich Interesse hätte.
Antonio: Und ich war einverstanden und glücklich. „Aber du musst Italienisch sprechen.“ Das war die Voraussetzung. Also hat Remo zunächst drei Monate lang einen Crash­kurs in Italien absolviert – und dann habe ich ihn durch das ganze Land geschickt. Er musste alle Lieferanten besuchen, um die Leute und die Produkte kennenzulernen. Nach zehn Monaten kam er zurück und hat sich dann erst mal gemeinsam mit mir um die Firma gekümmert und geschaut und getan und gemacht. Eines Tages habe ich gesagt: „Komm Remo, setz dich hier an meinen Tisch, jetzt machst du das. Ich ziehe mich zurück. Wenn du mich brauchst, kannst du mich fragen.“ Und Remo hat das ganz toll gemacht, hat in wenigen Jahren den Umsatz verdoppelt und die Firma vergrößert. Ich bin noch ein paar Jahre dabei gewesen und habe mich 2006, da wurde ich 70, langsam zurückgezogen.

Wie hat sich das angefühlt, Remo, die eigene Firma zu verlassen und in den Familienbetrieb einzusteigen?

Remo: Es hat mir schon auch ein bisschen wehgetan, Blackbit zu verlassen. Am Anfang habe ich noch beides gemacht. Ich bin vormittags in der Agentur gewesen und nachmittags bei Viani im Büro. Irgendwann habe ich das aber nicht mehr befriedigend gefunden, weil ich gemerkt habe, dass ich nicht beides zur gleichen Zeit hundertprozentig machen kann. Tonino hat weiter gedrängt und wollte, dass ich noch mehr einsteige – und so musste ich mich entscheiden. Es fiel mir in dem Moment auch nicht schwer, mich zu entscheiden – weil es mir eine Chance zu sein schien und auch ein bisschen Erleichterung brachte. Vor allem aber wegen meines Vaters, weil Tonino das so toll mit mir gemacht hat. Er war großherzig und großzügig: „Jetzt machst du das, und ich ziehe mich zurück.“
Das war mit meiner Mutter anders, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch im Geschäft tätig war. Sie hatte mit dem klassischen Nachfolgeproblem zu kämpfen, das viele in ihren Familien und den Familienunternehmen haben: dass einer daran festhält und keine Veränderung möchte. Das führte letztendlich dazu, dass wir im Grunde genommen meine Mutter früh pensioniert haben …
Antonio: Remo war konsequent und hat gesagt: „Kommt, es hat keinen Zweck mehr.“ Im Prinzip hat er seine Mutter entlassen. Doch am Ende war das für alle die beste und richtige Entscheidung.

Viani-Zentrale in der August-Spindler-Straße

Damit war auch Raum für Veränderung da. Was war die nächste Herausforderung für dich, Remo?

Remo: Es gab diese eine Gretchenfrage, und die war absolut spannend. In der Robert-Bosch-Breite, wo wir bis heute einen unserer Lagerstandorte haben, war alles sehr von Tonino geprägt. Doch dann kam die Phase, in der der Platz dort nicht mehr ausreichte. Das bedeutete, dass wenn wir ein neues Produkt finden, wir ein anderes Produkt dafür aus dem Sortiment rausschmeißen müssen, weil es ja sonst keinen Platz findet. Wir standen also vor einer Entscheidung: Wir können hier bleiben, und alles ist gut – aber dann können wir nicht weiter wachsen.  Das hat mich sehr unzufrieden gemacht. Wir wussten, dass wir nun eine logistische Lösung finden mussten, haben allerdings keine gesehen – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Tonino auf das große Gebäude von der Deutschen Telekom in der August-­Spindler-Straße aufmerksam wurde, das plötzlich zum Verkauf stand, und vorschlug: „Wollen wir uns das nicht mal ansehen?“ Das war dann der nächste große Meilenstein: Wir entschieden uns dafür, das alte Logistikzentrum zu kaufen und die vorhandene Lagertechnik wieder in Betrieb zu nehmen. Hier hatten wir nun so viel Platz, dass wir weiter wachsen konnten. Bis heute.

War das auch die Grundlage dafür, die insolventen Kochhaus-Filialen in den deutschen Metropolen zu übernehmen?

Remo: Unsere Motivation ist in erster Linie, Geschichten zu erzählen. Wir waren frustriert, bislang nur mit Händlern zu arbeiten. Hier konnten wir unsere Faszination für die tollen Geschichten, die wir erleben und die hinter den Produkten stehen, nicht erzählen. Es war so ein bisschen wie Stille Post: Am Ende ist beim eigentlichen Kunden, dem Verbraucher, nicht viel angekommen. Dann hat es sich zunächst ergeben, dass wir im Dezember 2010 in der Lange-Geismar-Straße in Göttingen den ersten Laden eröffneten: Viani Alimentari, wo wir unsere italienischen Spezialitäten erstmals persönlich vor Ort verkaufen konnten. Und tatsächlich konnten wir plötzlich unsere Geschichten zu Ende erzählen und schauen, wie sie bei den Kunden ankommen! Das hat sich gut angefühlt.

Und die Übernahme von Kochhaus im Sommer 2019 war dann die logische Erweiterung?

Remo: Das war dann eine einmalige Gelegenheit, auf einen Schlag acht oder neun Läden zu übernehmen, sie umzubauen, umzugestalten und Viani Stores daraus zu machen.
Da sind wir mittlerweile auf einem ganz guten Weg. Es hat viel länger gebraucht, als ich gedacht hätte – aber es passt zu unserer Strategie und auch zu unserem Antrieb, Geschichten zu erzählen, die ankommen.

Wie geht es weiter mit Viani? Wie wichtig ist zum Beispiel das Thema Online?

Remo: Unser Plan für die Zukunft ist, viel online zu verkaufen – aber offline das anzubieten, was die digitale Welt niemals wird leisten können: nämlich zu schmecken, zu probieren, zu testen. Und im besten Fall werden unsere Läden zu Tasting Rooms. Zu Orten, wo du wirklich hingehen kannst, um Produkte zu probieren und Geschmack zu erleben. Es wird immer so sein, dass der Kunde eine gewisse Tendenz dazu hat, nicht die Katze im Sack zu kaufen. Ich würde mich freuen, wenn die Kunden bei Viani noch in vielen Jahren reinkommen können und sagen: „Ich möchte dieses Produkt gern bei euch erleben.“

Antonio, Remo, vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Alciro Theodoro da Silva
Die Geschichte von Viani

Antonio Viani, 86, wird in Pietra Ligure, an der italienischen Riviera, geboren.Er stammt aus einer Handelsfamilie. Schon als Kind verkauft er alles Mögliche. Angefangen hat er mit Wurmsteinen fürs Angeln. Bevor Antonio Viani in den Handel einsteigt, bereist er, der schon als kleiner Junge die Schiffe am Horizont beobachtet hat, als Seemann die Weltmeere und wird Offizier bei der Handelsmarine.
Diese Liebe gibt er für seine andere große Liebe auf: ­„seine Ingrid“. Für sie kommt er nach Göttingen. Dort beginnt er Anfang der 1960er-Jahre seinen Büromaschinenhandel. Vor 50 Jahren gründet er dann die Firma A. Viani Importe. Angefangen hat alles mit Trüffeln, schnell kommen andere Spezialitäten aus seiner italienischen Heimat dazu.

Die in Deutschland geborenen Söhne Stefano und Remo Viani gründen zusammen mit Daniel Gerlach 1989 die Göttinger Werbeagentur Blackbit. 1995 übernimmt Remo dann das operative Geschäft der Viani Importe. Zuvor lernt er Italienisch und reist anschließend ein dreiviertel Jahr lang durch alle Regionen Italiens. Remo Viani erweitert das Angebot um Spezialitäten aus anderen Mittelmeerländern und verdoppelt so – zum Stolz des Vaters – recht schnell den Umsatz. In der Folge entwickelt er das Geschäft stets weiter. So eröffnet er 2010 in der Lange-Geismar-­Straße in Göttingen mit seinem Team den ersten von zwei Viani-Alimentari-­Läden, in diesem Sommer kam gleich nebenan die erste Vinoteca dazu. 2019 übernimmt Viani die insolvente Kochhaus-Kette mit Läden unter anderem in Berlin, München und Hamburg. Die Zentrale sitzt weiterhin in Göttingen, heute im ehemaligen Gebäude der Deutschen Telekom in der August-­Spindler-Straße (Foto).

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