„Ich will ein Zeichen der Stärke setzen“

Otto-Bock-Chef Hans Georg Näder im faktor-Interview über das Science Center, die Wirtschaftskrise und Marketingzwänge in Zeiten privater Gesundheitsmärkte.

Herr Näder, alle Welt klagt über die Wirtschaftskrise. Kommt die gerade erfolgte Eröffnung des Science Centers von Otto Bock in Berlin nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt?

Ich bin ein chancenorientiert denkender Mensch und sehe die aktuelle Marktphase mit einer gewissen Spielfreude. Für gut aufgestellte Unternehmen, und dazu zähle ich Otto Bock, sollte es nicht nur darum gehen, eine Krise abzuschmettern, sondern die Zeit auch aktiv zu nutzen. Sie bietet besondere Akquisitions- und Vermarktungschancen, die wir eben ergreifen.

Zum Teil deutlich größere Unternehmen fordern Staatshilfen, während Otto Bock mal eben in ein 20 Millionen Euro teures Erlebnis-Zentrum in Berlin-Mitte investiert. Wie können Sie sich das leisten?

Es freut mich, mit der Science-Center-Investition in dieser Zeit ein Zeichen der Stärke zu setzen. Als exportorientiertes Unternehmen mit eher nicht zyklischem Sortiment ist die Konjunktur für uns auch gar nicht so problematisch. Das Währungsrisiko zum Beispiel betrifft uns viel stärker. Das höre ich im Übrigen auch von befreundeten mittelständischen Unternehmern. Hier wird medial einiges hochgespielt. Abgesehen davon, haben wir dank einer Eigenkapitalquote von 60 Prozent selbst in schlechten Zeiten einen komfortablen Risikopuffer. Staatshilfe zu fordern entspräche auch gar nicht unserer Unternehmenskultur. Investiert wird, was Cashflow und Rücklagen hergeben, das macht Otto Bock seit 90 Jahren so. Als nicht börsennotiertes Unternehmen können wir eben anders agieren als manch andere Akteure.

Sind Sie heute froh darüber, dass Sie, anders als geplant, vor knapp zehn Jahren nicht an die Börse gegangen sind?

Mein Vater hat mir wenige Wochen vor der Emission beim Frühstück ins Gewissen geredet und gefragt, ob ich wirklich von Analystenstimmen abhängig sein möchte. Das hat mir zu denken gegeben. Und er hat Recht gehabt. Vielleicht wären wir heute dank mehr Aktienkapital doppelt so groß. Aber unternehmerische Unabhängigkeit ist unbezahlbar. Wer weiß, ob wir das Science Center hätten bauen können oder in der Krise nicht unsere Rücklagen hätten abschmelzen müssen, um die Dividendenbedürfnisse von Aktionären zu befriedigen. Stand heute: Ein Börsengang ist in den nächsten zehn Jahren kein Thema.

Ganz ohne Folge ist die Krise für Sie aber so oder so nicht. Sie geben für das Science Center viel Geld aus, während in Ihrer Kunststoffsparte Kurzarbeit herrscht. Gab es gegenüber dem Personal Rechtfertigungsbedarf?

Es mag durchaus sein, dass diese Situation so manchen stört. Ich sehe mich aber nicht als Seelenmasseur. Meine Aufgabe als Unternehmer ist es, den Kahn durch alle Untiefen zu schiffen. Davon haben die Mitarbeiter langfristig mehr. Wir sind gezwungen zu investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Das Science Center ist vor allem ein Marketinginstrument. Welche Überlegungen stecken dahinter?

Der Markt verändert sich. Die Privatisierung des Gesundheitssystems wird dazu führen, dass Kunden für hochwertige Gesundheitsprodukte selbst zahlen müssen. Das ermöglicht und erfordert, die Kundenbedürfnisse gezielter und differenzierter anzusprechen. Sich als Hersteller früh im Bewusstsein der Kundschaft zu verankern, ist daher unverzichtbar.

Sie wollen ihre Produkte stärker lifestylebezogen vermarkten. Das wirkt wie ein Balanceakt. Schließlich geht es um die Kompensation von Behinderungen.

Körperliche Beeinträchtigungen werden in Zukunft keine Randerscheinung mehr darstellen. Sie werden uns bald alltäglich begegnen, genau wie viele Menschen eine Brille tragen müssen, ohne dies als besonderes Handicap wahrzunehmen. In der Augenoptik ist der Paradigmenwechsel bereits vollzogen. Brillen sind keine Mitleidsprodukte mehr. Und wer es sich leisten kann, gibt sich nicht mit den Nulltarif-Kassengestellen zufrieden. Das birgt Absatzchancen. Auch in unserem Geschäftsfeld sehe ich in dieser Richtung welche. Je nach Geschmack wird es niedrig- und hochpreisige Produktvarianten geben.

Prothesen als schmückendes Accessoire?

Dieser Gedanke geht sicherlich zu weit. Aber warum muss ein Kinderrollstuhl aussehen wie ein medizinisches Produkt und nicht wie eine sportliche Kinderkarre? Der Trend geht schon jetzt dahin, dass beispielsweise Prothesen nicht nur gut funktionieren, sondern auch ansprechend aussehen.

Die Nachfrageerzeugung ist das Eine, Lobbyarbeit das Andere. Wie wichtig ist die Nähe zur Politik am Standort Berlin?

Wir brauchen die Politik! Schließlich sind wir ein exportorientiertes Unternehmen, aber wir haben kein Heer von Lobbyarbeitern. Wir sind einfach da und präsentieren uns. Subtiler finde ich besser.

Genügt dies, um beispielsweise vom Gesundheitsministerium, für Sie ein wichtiger Akteur, wahrgenommen zu werden?

Wir sind hier in Berlin unter dem Motto „Begreifen, was uns bewegt“ – wenn wir damit auch das Gesundheitsministerium erreichen, kann das nur positiv sein. Man trifft aber auf viele weitere Akteure, für die es sich lohnt, in der Hauptstadt zu sein. Hier sitzen Patienten- und Wohlfahrtsverbände und etliche andere Ansprechpartner. Und etwa mit dem Botschafter von China ein Treffen zu vereinbaren, ist in Berlin deutlich leichter als in Duderstadt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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