Luisa Grube nimmt Kurs auf Winter-Paralympics

Luisa Grube hat es mit 21 Jahren unter die besten Ski-Rennläufer Deutschlands geschafft. Doch damit soll die Geschichte der sehbehinderten Göttingerin noch längst nicht auserzählt sein: nächstes großes Ziel sind die Winter-Paralympics 2026.

Nehmen Sie sich doch mal die Zeit und absolvieren Sie die folgende Übung: ein Auge zumachen, mit dem anderen wie durch ein Fernrohr durch eine Papierrolle schauen. So weit, so gut. Nun legen Sie eine Milchglasscheibe ans vordere Ende ihres Fernrohrs und schauen mal, was Sie sehen – genau, nahezu nichts. Herzlichen Glückwunsch, nun sehen Sie in etwa so viel wie Luisa Grube. Mit dem feinen Unterschied, dass die 21-Jährige mit entspannten 60 bis 100 Stundenkilometern Ski-Weltcup-Pisten hinabschießt. Immer am Anschlag, immer in Richtung Treppchen, immer mit vollem Durchblick.

Die gebürtige Göttingerin, die in Nörten-Hardenberg aufgewachsen ist, verfügt über eine Sehkraft von noch rund zwei Prozent. Früher waren es mal fünf Prozent, doch der grüne Star, an dem sie seit Geburt erkrankt ist, lässt sich nicht rückgängig machen, sondern lediglich verzögern. Dabei ist Verzögerung doch so ziemlich das Letzte, das sich mit Grube in Verbindung bringen lässt. Etwas anderes als Vollgas kennt die Topathletin nicht. Klettern, Mountainbiken, und wenn’s mal entspannter zugehen muss, dann eben Wandern in den Alpen – Grube beschreibt sich als Adrenalinjunkie. Am erfolgreichsten holt sie sich den Kick auf der Skipiste: als Teammitglied der deutschen Paraalpinisten und Niedersachsens große Hoffnung bei den Paralympischen Spielen 2026 im italienischen Mailand und Cortina d’Ampezzo.

Luisa Grube beginnt Skifahren mit ihrer Familie

Doch wie kommt die Mitteldeutsche ins Hochgebirge? „Mit dem Skifahren hatte ich es eigentlich schon immer“, erzählt Grube. Bereits als kleines Kind ging es mit den Eltern in den Skiurlaub, denen sie dann einfach hinterherfuhr. „Das Problem dabei: Mama und Papa waren mir einfach zu langsam.“ Also musste Bruder Dennis als vorausfahrender Guide herhalten. Das sollte er auch Jahre später auf höherklassigem Niveau.

Mit 16 zieht Luisa Grube aus Südniedersachsen nach Marburg, um ein Gymnasium für Sehbehinderte und Blinde zu besuchen. Eine Mitschülerin, damals bereits Paraskifahrerin, schlägt ihr vor, sie doch mal zu einem Nachwuchslehrgang zu begleiten. Ihr Talent: unübersehbar.

Ende 2018 nimmt sie an den ersten Rennen teil. In der Regel verfügen Spitzenathleten dabei über ihren eigenen Guide – bei Grube ist dies zunächst ihr Bruder. Dieser nimmt beim Skifahren für Sehbehinderte eine essenzielle Rolle ein. Bekleidet mit einer schwarzen Jacke und einem neonfarbenen Leibchen, als Kontrast zum Schnee und nahestehenden Bäumen, fährt er dem Athleten voraus. Bis zu zehn Metern gelingt es Grube noch, ihn wahrzunehmen, darüber hinaus wird es gefährlich. „Ich fühle mich am sichersten, wenn der Guide mir ungefähr drei Meter voraus ist“, sagt Grube. Verbunden sind die beiden Fahrer via Funk. Der Guide beschreibt die anstehenden Kombinationen und die Pistenbeschaffenheit, bei Wind und 60 Stundenkilometern nicht immer ein- fach zu verstehen. „Im Training tauschen wir aber ab und zu, um eine neue Perspektive zu bekommen. Das ist ein guter Übungseffekt“, erzählt sie, die ihren Bruder jedoch schon bald als Unterstützer ausmustern musste. „Er hat sein eigenes Leben, in dem er gern Fußball spielt und nicht immer Zeit hat“, sagt die Slalom- und Riesenslalomspezialistin und schiebt neckisch hinterher: „Zu- dem wären Streitereien unter Geschwistern wohl auch vorprogrammiert gewesen.“

Umzug nach Österreich ermöglicht besseres Skitraining

Nach dem Abitur 2020 zieht es Grube zum Studium der Erziehungswissenschaften ins österreichische Innsbruck, um nicht nur an Wochenenden oder während der Ferien aus Marburg in die Skigebiete anreisen zu können, sondern ihre Trainingsreviere vor der eigenen Haustür zu haben. Sölden beispielsweise ist lediglich eineinhalb Stunden entfernt.

Rund fünfmal in der Woche kann Grube so an ihrem paralympischen Traum arbeiten. Neben den Ein- heiten im Schnee steht ein straffes Programm im Kraftraum und für die Kondition auf dem Plan, den die Bundestrainer für sie ausgearbeitet haben. Die Spiele 2022 in Peking hatte Grube knapp verpasst. „Das war ziemlich frustrierend für mich“, sagt sie rückblickend. Dass das notwendige Leistungsniveau in ihr steckt, hat die Athletin des TSV Kareth-Lappersdorf längst nachgewiesen. Unter anderem als Teilnehmerin bei der Weltmeisterschaft 2021 im norwegischen Lillehammer sowie als Drittplatzierte eines Weltcuprennens. Zwischenschritt auf dem Weg nach ganz oben ist die Weltmeisterschaft 2023 in La Molina in Spanien.

Wenngleich Grube den Speed liebt, ist sie auf Skiern momentan noch eine Technikspezialistin, weswegen sie überwiegend im Slalom und Riesenslalom antritt. Super-G und vor allem die Abfahrt sollen in den kommenden Jahren ins Repertoire aufgenommen werden. Mit ihrer eisernen Disziplin sollte dies kein Problem werden. „Mental bin ich ziemlich stark und schaffe es, fokussiert zu bleiben, wenn mein Körper schon müde ist“, sagt die 21-Jährige.

Müdigkeit ist ein Thema, das sie in ihrem Umfeld durchaus begleitet. Grube lebt heute in einer Siebener-WG. Immer Trubel, sie liebt es. „Und trotzdem gehe ich im Vorfeld wichtiger Wettkämpfe regelmäßig schon um 22 Uhr ins Bett und lasse mich durch nichts aus meiner Routine bringen.“ Eine Frau mit Weitsicht eben. ƒ

Zur Person

Luisa Grube wurde 2001 in Göttingen geboren und ist in Nörten-Hardenberg aufgewachsen. Heute lebt sie in Innsbruck und studiert Erziehungswissenschaften. Als Para-Ski-Sportlerin startet sie international an Wettbewerben im Riesenslalom und Slalom. Mit zwei Prozent Sehvermögen nimmt sie in der Startklasse B2 teil und wird von einem Guide den Berg hinuntergeführt. Seit 2019 ist sie im Nachwuchskader der Deutschen Nationalmannschaft und trainiert für die Teilnahme an den Paralympics. Bei den Weltmeisterschaften im Para-Wintersport 2021 in Lillehammer (Norwegen) hat sie im Frauenslalom den elften Platz belegt. Die Nominierung für ein Paralympics-Ticket 2022 hat sie leider knapp verpasst.
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