Der Geschmack von Welt
Nach Jahrzehnten als Spitzenkoch auf dem internationalen Gastroparkett ist Alexander Zinke
zurückgekehrt in die alte Heimat, um endlich sein eigener Herr zu sein. In Heilbad Heiligenstadt
im ‚Motz am Fluss‘ bringt er sein Erfolgrezept auf eine Karte: eine Fusionsküche von Sushi
über Tonkatsu-Schnitzel nach Wiener Art bis zur französischen Zitronentarte.
“Ich möchte Heiligenstadt
einen gastronomischen Schub geben.”
Es war von Anfang an mein Plan, nach der Lehre ins Ausland zu gehen und die Welt zu bereisen.“ Heute ist Alexander Zinke froh, seine Küchenrichtung und die Arbeitszeiten selbst bestimmen zu können und die Familie wieder in der Nähe zu haben, vor allem für seine Kinder. Der gebürtige Erfurter wuchs in der Nähe von Heiligenstadt auf und machte seine Lehre im Marriott Hotel in Gera. Nächste Station: London. Es folgten die Côte d‘Azur, Ägypten, Wien, Bangkok, Dubai, Sri Lanka und das schweizerische Flims. Jetzt schaut der 46-Jährige sich zufrieden in seinem eigenen Restaurant, dem ,Motz am Fluss‘ in der Altstadt von Heiligenstadt, um.
Es ist modern und loungig, abwechslungsreiche Sitzgelegenheiten und Tische, dezentfarbige Sessel im Fifty-Stil und eine sehr gut sortierte Bar. Die Rückwand ist mit einem atmosphärischen Foto von einer Flussansicht bedeckt – es fühlt sich an, als wäre man mitten in der Strömung. Im zweiten Raum des Restaurants ist es ein Wald, der die Gäste umgibt. Er leuchtet in 3D, man sitzt romantisch im Moos. „Ich möchte Heiligenstadt einen gastronomischen Schub geben“, erklärt Zinke selbstbewusst. Er schätze seine Kollegen in der Umgebung sehr und gehe auch gern bei ihnen essen, möchte nun aber auch einen eigenen, moderneren Stil in der Küche der Stadt etablieren. Als er vor zwei Jahren in seine Heimat zurückkam, eröffnete er zunächst eine Sushi-Bar mit nur sechs Plätzen. „Das kannten die Heiligenstädter bis dato nicht.“ Entgegen einiger Unkenrufe vor Ort war sie jedoch ein Erfolg und ermutigte ihn schlussendlich dazu, im vergangenen Jahr das ,Motz am Fluss‘ zu eröffnen – mit dem Ziel, einen Hauch von internationalem Geschmack ins Eichsfeld zu bringen.
DOCH EINEN SCHRITT ZURÜCK. Ein richtig gutes Sushi-Restaurant braucht einen verlässlichen Lieferanten von frischem Fisch und Meeresfrüchten, und zwar von wirklich frischer Rohware. Hier griff Zinke auf seinen bewährten Zulieferer Rungis Express zurück, dem Spezialisten für Fisch seit Jahrzehnten. Der liefert Gelbflossenmakrelen, Dorade, Thunfisch und besten Lachs. Da merkt man den Hotelkoch mit dem großen Einkaufsetat. „Meine beste Zeit als Koch war die in Dubai. Du konntest alles bestellen. Geld spielte keine Rolle“, erzählt Zinke von der Zeit, als er von 2012 bis 2014 als Chef de Cuisine in dem berühmten, mit sieben Sternen ausgezeichneten Luxushotel Burj Al Arab arbeitete. „Da sind die Trüffelhändler aus Italien angereist mit ihren Knollen, um sie zu präsentieren.“
ABER WIE LERNT MAN ÜBERHAUPT das große, internationale Business? Und ist es wirklich international? „Der Großteil der Restaurants, in denen ich gearbeitet habe, hat französische Küche angeboten“, berichtete Zinke rückblickend vom prägendsten Kochstil, der ihn in seinem gesamten Berufsleben begleitet hat.
Bereits in seinen Anfangsjahren, als er 2004 direkt nach der Ausbildung im Hotel The Savoy in London beginnt, wurde nach Auguste Escoffier gekocht: der Bibel der französischen Hochküche, die als erste normierte Rezepte und deren Namen bestimmt hat. Zinke ist hartnäckig und voller Wissensdurst. Dieser treibt ihn auch in eine Buchhandlung am Piccadilly Circus. „Bei Waterstones konnte man einfach Kochbücher aus dem Regal nehmen, sich hinsetzen und lesen“, erzählt er heute und lächelt zufrieden. Auch das gehört zu Zinkes kulinarischer Bildung. „Ein guter Koch kann sich alles abgucken und jede Küche lernen.“
Um die französische Küche jedoch wirklich authentisch zu lernen, packt er 2008 den Rucksack und geht nach Frankreich. Er kocht ein halbes Jahr in Bistros und Sternerestaurants in der Provence, unter anderem auch an der Côte d’Azur, und lernt die Regionalküche kennen. Und selbst, als er einige Zeit später für zwei Jahre in Bangkok arbeitet, ist es die französische Küche, die er als Coach den Köchen einer Kette beibringen soll.
GEPRÄGT FÜR DIE FUSIONSKÜCHE habe ihn das eine Jahr im Restaurant Nobu – ebenfalls in London. Das Nobu ist in Europa der Botschafter der Nikkei-Küche, jener Fusionsküche, die peruanische und japanische Elemente vereint. Der Hintergrund dieser Kochrichtung: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen viele japanische Arbeitssuchende in Peru an und brachten ihre Küche mit. Sie verschmolzen japanische Techniken und Rezepte mit peruanischen Zutaten. Ceviche, das Nationalgericht Perus aus rohem Fisch, der in der Zitrussäure von Limone kalt gegart wird, haben die Japaner zum Beispiel mit Sojasauce, Sesamöl, Togarashi, einer japanischen Gewürzmischung, und Avocado ergänzt.
IM ‚MOTZ AM FLUSS‘ ist heute ein Sushimeister angestellt – eine Qualität, die man in Heiligenstadt zunächst kaum vermutet. Auch hier hatte Zinke sein internationales Netzwerk genutzt. Es gibt eine spezielle Plattform für japanische Köche, die er natürlich kennt und darüber seinen Meister gefunden hat. Die Auswahl an Sashimi, Nigiri, Maki und Inside Out ist groß und besonders. Gelbflossenmakrele mit Rettich, Shiso und Yuzu sowie Spicy Tuna Roll mit Thunfisch, schwarzem Sesam, Tempuraflocken, Spicy Mayo und Aji, einer Chili aus Peru, sind nur ein Ausschnitt.
SEIN SIGNATURE DISH vereint ebenfalls zwei Kochwelten. Dabei kombiniert er mit viel Humor ein japanisches Tonkatsu-Schnitzel mit der typischen Wiener Garnitur von Sardelle, Kaper und Zitrone. Ein Tonkatsu ist höher als das hiesige Schnitzel und wird mit japanischen Pankobröseln paniert. Das Fleisch im ,Motz‘ stammt vom Durocschwein und ist wunderbar zart und saftig. Aber Zinke hat die Erfahrung gemacht, dass er nicht alles ausformulieren sollte an Zutaten, die in Heiligenstadt doch sehr exotisch sind. Seine neueste Speisekarte führt deshalb nicht mehr alles minutiös auf. Gäste müssen jetzt schon genauer hinschauen, um die Fusionsküche zu erkennen. Am besten, man wählt ,Chef’s Choice‘ – nicht offiziell auf der Karte –, lehnt sich zurück und lässt den Chef einfach mal machen.
DER NAME MOTZ kommt übrigens nicht etwa von ,motzen‘, sondern erinnert an Friedrich von Motz, einen Beamten, der einige Jahre in Heiligenstadt wirkte und danach Preußens Finanzminister wurde und den Deutschen Zollverein in die Wege leitete. Alexander Zinke hatte einen historischen Namen gesucht, der noch nicht besetzt war. Der Fluss im Restaurantnamen ist ein Bächlein, das vor dem Restaurant plätschert und die Gäste auf der Terrasse erfreut. Das Motz ist aber nicht nur ein Restaurant. Es ist anregendes Frühstückscafé mit Shakshuka, Egg Benedict und Bauernfrühstück mit Trüffeln, abwechslungsreicher Anlaufpunkt für ein Mittagessen und Bar, am Wochenende mit Livemusik von angesagten DJs. Der Koch mit seinen internationalen Hotel-Erfahrungen etabliert seine Gastronomie als Marke. Es gibt bereits einen eigenen Riesling und ein Bier nach eigenem Geschmack, gebraut nur für das Motz. Und Zinke geht noch einen Schritt weiter. Im November plant er in Heiligenstadt ein gutbürgerliches Wirtshaus zu eröffnen, vom Stil her angelehnt an englische Pubs mit ihrer Gemütlichkeit und ihrer guten Küche. Dort wird er regionaltypische Gasthausklassiker aus ganz Deutschland anbieten wie Solei, marinierten Harzer, Kölschen Kaviar, Erfurter Puffbohnensalat und Saure Zipfel. Alles von bester Qualität, wie man sie auch nicht mehr selbstverständlich in den Regionen findet. „Ich mag eben Casual Dining. Es geht schließlich um den Geschmack und ein gutes Produkt.“ ‚Kollege Motz‘ wird das Lokal heißen.
APROPOS KOLLEGE. Für seine Bar mit vielen Cocktailklassikern tauscht sich Zinke regelmäßig eng mit der Monsterbar in Göttingen aus. „Man redet, unterstützt sich gegenseitig und begreift sich als Ganzes in seinem Berufsfeld und nicht als Einzelkämpfer – auch ein Gewinn aus meinen Jahren in der ganzen Welt“, erzählt der Spitzenkoch, mit sich und dem Leben sichtlich zufrieden. Und doch fragt sich der geneigte Leser: nach London, Provence, Bangkok, Dubai, Abu Dhabi …? Der Eichsfelder lacht und meint es, ganz persönlich, auch ernst: „Heiligenstadt ist eine der schönsten Städte der Welt.“ƒ
Foto: Alciro Theodoro da Silva
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