Mitarbeiter mitnehmen – und manchmal auch die Führungskräfte

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ein neues Förderprogramm für KMU aufgelegt, um bei digitalen Transformationsprozessen zu unterstützen. Im Mittelpunkt steht dabei, die Mitarbeiter mitzunehmen. 

Digitale Transformation ist kein ganz taufrisches Schlagwort mehr. Unternehmen beschäftigten sich doch aus schlichtem Eigeninteresse mit der Frage – sollte man annehmen. Doch das ist nicht unbedingt die Erfahrung, die viele Unternehmensberater gemacht haben. Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Veränderungstempo gefühlt deutlich zugenommen hat, das Risiko, abgehängt zu werden, wächst. Jüngstes Beispiel ist die rasante und von kaum jemandem überschaute KI-Entwicklung.

Und neben der reinen Prozess- und Produktweiterentwicklung steht auch noch die Herausforderung, die Mitarbeiter mitzunehmen. Dabei gilt die Faustformel: Je kleiner ein Unternehmen, desto schwieriger ist es mitunter, sich mit dem Thema zu befassen. Mit anderen Worten: Transformation zu gestalten, ist Führungsaufgabe im doppelten Sinne – für die Weiterentwicklung des Unternehmens auf einer technisch-operationellen Ebene sowie auf einer sozialen Ebene, um Transformation nicht von innen zu torpedieren. 

Deswegen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein neues Förderprogramm aufgelegt, das Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitern, maximal 50 Mio. Euro Umsatz etc. bei Transformationsprozessen helfen soll: das INQA-Coaching, das im April 2023 angelaufen ist; bis zu 80 Prozent der Beratungskosten können dabei übernommen werden. 

INQA, die Initiative Neue Qualität der Arbeit, blickt auf die Erfahrung mit zwei Vorläuferprogrammen zurück: Unternehmenswert Mensch (UWM) und UWM+. „Die früheren Programme waren speziell für die Team- und Führungskräfteentwicklung gedacht“, so Lutz Reiprich, der regionale Ansprechpartner der Demografieagentur, die in Niedersachsen das Bundesprogramm umsetzt. „Bei INQA liegt der Fokus hingegen darauf, wie man die Belegschaft mit in die Unternehmenszukunft nehmen kann.“ Es geht um Ängste vor Jobverlust, vor Überforderung und den Abbau von Widerständen. „Kombiniert wird das mit agilen Managementmethoden.“

In der Praxis sieht das so aus, dass ein Unternehmen mit einem konkreten Transformationsprojekt in den INQA-Prozess startet und ein Mitarbeiterteam das Projekt umsetzt. „Gerade, wenn wir über Digitalisierung reden, funktioniert das nur mit den Mitarbeitern zusammen, denn die müssen hinterher damit arbeiten“, so die Erfahrung von Reinhold Sedelies, der als Coach schon einige UWM-Projekte begleitet hat. „Deswegen bekommt man eine echte Veränderung nur hin, wenn man die Mitarbeiter von vornherein mit einbindet. Daher sind solche Projektteams wie bei INQA eine gute Sache.“ Und noch einen Tipp hat Reinhold Sedelies für Geschäftsführer, bevor sie sich überhaupt auf einen (digitalen) Transformationsprozess einlassen: Es braucht Offenheit und grundsätzliche Veränderungsbereitschaft.  „Vereinfacht gesagt: Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiert, bleibt es ein schlechter Prozess. Wenn man sich weiterentwickeln will, sollte man sich auch seine ganzen Prozesse kritisch anschauen.“

Wie kommen wir von der Idee in das Tun? – das ist die gängige Fragestellung, mit der Coach Wiebke Anton konfrontiert wird. „Die wenigsten Führungskräfte sind methodisch so ausgestattet, dass sie das erfolgreich umsetzen können“, ist Antons Erfahrung. Denn leider werde immer noch viel zu sehr beim Personal und dessen Weiterentwicklung gespart. Das kann auch eine Hürde für den INQA-Prozess sein: „Es gibt häufig auf der Führungsebene einen Widerstand gegen die Einsicht, dass die Arbeit am Unternehmen auch eine Arbeit ist und man deswegen keine Mitarbeiter für solche Projektteams abstellen möchte.“ 

Und insofern es Transformationsprozesse betrifft, „habe ich auch schon erlebt, dass die Mitarbeiter die Einsicht hatten, aber der Geschäftsführer in den Widerstand gegangen ist“, so Wiebke Anton. Denn auch auf Führungsebene gibt es Sorgen, an vorderste Stelle sind dies Angst vor dem Machtverlust und vor Transparenz. „Wenn die Führungsmannschaft nicht überzeugt ist, dann macht so ein Prozess keinen Sinn“, betont auch Reinhold Sedelies. 

Doch letztlich sprechen die positiven Ergebnisse für sich. Bei Mitarbeitern werden neue Kompetenzen entdeckt, gute Ansätze entstehen, Mitarbeiter werden mitgenommen. Damit gelingen auch Großprojekte. Die ZAD GmbH in Northeim beispielsweise, 150 Mitarbeiter, wurde von Wiebke Anton im Rahmen von UWM bei einem Strukturwandel von einem hierarchisch geführten Unternehmen zu einem selbstorganisierten begleitet. Das Unternehmen wird auch wieder bei INQA dabei sein. „Ich würde sagen: Sich mit dem Thema digitale Transformation zu befassen, ob durch INQA oder anderweitig, ist für all diejenigen notwendig, die in Zukunft am Markt existieren möchten“, so Anton.

Unternehmen können sich bei Lutz Reiprich von der Demografieagentur melden und sich zum Förderprozess beraten lassen. Nach dem Erstgespräch kann es meistens sehr schnell losgehen, innerhalb von nur wenigen Tagen ist in der Regel schon die Freigabe aus dem Ministerium da. 

Die Wahl des Coaches steht dem Unternehmen frei. Die Demografieagentur kümmert sich um die formale Beantragung und Abwicklung, der Coach begleitet den Prozess. Die Zertifizierung der INQA-Coaches ist anspruchsvoll, um einen guten Outcome des Prozesses zu gewährleisten. ƒ

Fotografie: Adobe Stock
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