„Es rentiert sich, in die Mitarbeiter zu investieren.“

VHS-Chefin Carola Müller, Personalchefin Mariele Walter und Personalreferentin Carolin Reintke (v.l.n.r.) vom Hogrefe-Verlag sprechen mit uns über den Nutzen von Weiter­bildung, Tricks, wie man Mitarbeiter und Führungskräfte zum Mitmachen bewegt, und das ­Risiko, als Unternehmen mit Fortbildung zu werben, aber das Versprechen nicht einzulösen. 

Betriebliche Fortbildung hat sich zu einem Instrument der Fachkräftebindung und -gewinnung entwickelt. Doch Fortbildung ist nicht gleich Fortbildung. Der Göttinger Hogrefe Verlag befasst sich bereits seit mehr als einem Jahrzehnt systematisch mit der Weiterentwicklung seiner Mit­arbeiter und blickt auf eine lange Erfahrung zurück. Ebenso hat die Göttinger VHS, nahezu ein­zigartig unter den lokalen Bildungsanbietern, ihr Portfolio an Fortbildungsangeboten in engem Austausch mit den regionalen Unternehmen sowie der Verwaltung von Stadt und Landkreis entlang ihrer Bedarfe ausgebaut und weiterentwickelt. Beide kommen zu dem Schluss: Erfolgreiche Unternehmen sind die, die konsequent in die Potenziale der eigenen Mitarbeiter investieren.

„Ein Job ist heute nur noch einer von vielen Schritten in der Berufsbiografie, deswegen spielt die Arbeitszufriedenheit im Job auch eine immer größere Rolle für die Bindung.”

Mitarbeiterbindung ist neben der Mitarbeitergewinnung das große Thema in der Rubrik Fachkräfte. Welche ­Maßnahmenbündel haben sich in Ihren Augen bewährt, um Mitarbeiter zu halten – also außer dem Klassiker Obstkorb?

Mariele Walter: Der Obstkorb wird zwar teils belächelt, ist aber auch wichtig – die Mitarbeiter wissen ihn zu schätzen. Aber natürlich steht ganz vorne eine gute ­Bezahlung – bei uns gehört seit Jahrzehnten eine Jahressonderzahlung dazu. Das ist immer ein Argument, welches im Vergleich zu Mitbewerbern ausschlaggebend ist. Und an zweiter Stelle ist es das Angebot an Fort- und Weiter­bildungen. Wir fragen Bedarfe und Interessen unserer Mitarbeiter aktiv in Mitarbeiterjahresgesprächen ab, und Weiterentwicklung ist hierbei besonders relevant.

Carola Müller: Es geht dabei aber nicht nur um die Weiterqualifizierung auf einer inhaltlichen Ebene, sondern auch um die Wertschätzung, die dem Mitarbeitenden entgegengebracht wird, dass er innerhalb des Betriebes weitere Schritte machen kann und nicht auf der Stelle tritt. Ebenso, dass er auf offene Ohren stößt und das eigene betriebliche Erleben den Führungskräften nicht egal ist. 

Carolin Reintke: Weitere Themen sind etwa flexible Arbeitszeiten und Familienfreundlichkeit, seit Corona hat zudem die Möglichkeit zur Mobilarbeit einen sehr hohen Stellenwert bekommen – das ist bei uns über die Pandemie hinaus zwei Tage die Woche möglich. Und nicht zuletzt hat das angenehme Arbeitsumfeld einen Einfluss. Wir arbeiten beispielsweise in historischen Göttinger Gebäuden, in die unsere Mitarbeiter wirklich gerne kommen. Und der Kaffee ist kostenlos. Die Wohlfühlatmosphäre hat einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Zufriedenheit. 

Walter: Frau Reintke ist ein gutes Beispiel, wie flexibles Arbeiten genutzt werden kann: Im Rahmen ihres berufsbegleitenden Studiums konnte sie problemlos eine Zeit lang ihre Arbeitszeit reduzieren.

Und welche Trends sehen Sie bei der Personal­entwicklung? 

Reintke: Wir haben ein allgemeines Weiterbildungsprogramm, für das wir intensiv mit der Volkshochschule zusammenarbeiten. Parallel dazu sprechen wir die Mitarbeiter individuell an, um Angebote zu entwickeln, die nur für eine Person oder ein kleines Team relevant sind. Ein Beispiel ist das Thema Führungskräfteentwicklung. Wir schauen, wie wir intern Talente identifizieren und aufbauen können, um den anstehenden Generationenwechsel einiger Führungskräfte vorzubereiten. Die Herausforderung ist, die richtigen Personen für diese Programme zu identifizieren. Dafür nutzen wir auch unsere eigenen psychologischen Testverfahren aus der Eignungsdiagnostik. 

Müller: Diese Entwicklung spiegelt sich auch bei uns wider. Es gibt nach wie vor die Schulungen in größeren Gruppen, aber der Anteil an individuellem oder Gruppen-Coaching, das auf einzelne Teams abgestimmt ist, nimmt deutlich zu. Gleichzeitig hat die Möglichkeit der Onlineschulungen geholfen, zum Beispiel bei international aufgestellten Unternehmen sinnvolle Gruppengrößen zu erreichen, weil wir so für die Kurse nicht nur auf die am Standort Beschäftigten beschränkt sind. 

Walter: Dank dieser Angebote sind wir mit der VHS auch gut durch die Pandemiezeit gekommen. Englisch- oder EDV-Kurse waren weiterhin möglich, an denen haben auch unsere Schweizer Kollegen teilgenommen.

Wie sieht es denn innerbetrieblich mit der Bereitschaft aus, an Fortbildungen teilzunehmen? Nicht jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Weiterentwicklung, ­manche ­Menschen sind einfach zufrieden mit der ­Posi­tion, die sie haben.  

Walter: Klar, es gibt Mitarbeiter, die weniger motiviert sind, sich weiterzubilden. Das betrifft mitunter auch Führungskräfte, weshalb wir den Aspekt Fortbildung in unseren Führungsleitlinien verankert haben. Unsere Führungskräfte wurden in den vergangenen zwei Jahren dahingehend geschult, dass sie Fortbildung in den Mitarbeiterjahres­gesprächen zum Thema machen. Über diesen Weg schaffen wir mehr Bereitschaft, dieses Angebot anzunehmen. 

Müller: Auch die hohe Motivation zur Weiterbildung, die in Bewerbungsgesprächen oft gezeigt wird, ist schwierig einzuschätzen. Jeder Mensch in einer Bewerbungssituation weiß, dass er sich in dieser Frage positiv verhalten muss. Erst mit der Beschäftigung zeigt sich, ob die Leute das auch umsetzen. Aber gerade, wenn es Brüche im Lebenslauf gibt, kann man diese Defizite gezielt über Fortbildungen bearbeiten, wenn die Haltung stimmt.

Zieht denn das Angebot an betrieblicher Fortbildung, um das Unternehmen auch nach außen attraktiv zu machen? 

Müller: Aus der Außensicht als Bildungsanbieter sehe ich, dass die Unternehmen, die sich erfolgreich entwickeln, ganz gezielt fortbilden. Da scheint ein Zusammenhang zu bestehen. Fortbildung stützt damit auch die Unternehmensmarke und die Stärke des Unternehmens.

Reintke: Für uns kann ich das bestätigen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Angebot an Fortbildung mit der Unternehmensentwicklung mitgewachsen ist. Es rentiert sich, in die Mitarbeiter zu investieren. 

Walter: Ich bin seit fast 25 Jahren bei Hogrefe. Als ich angefangen habe, hatten wir 50 Mitarbeiter, und Fortbildung war generell einfach kein Thema – heute haben wir knapp 500 Mitarbeiter an 16 Standorten weltweit. Vor fast zehn Jahren haben wir durch die TOPAS-Zertifizierung der SüdniedersachsenStiftung begonnen, uns intensiver mit dem Thema Mitarbeiterentwicklung zu beschäftigen. Seitdem machen wir das viel strukturierter. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass wir schon früher viel mehr in der Richtung hätten machen können und sollen. 

Müller: Es gibt heute auch einen ganz anderen Bewerbermarkt. Die Ansprüche von qualifizierten Bewerbern wandeln sich, das Studieren berufsbegleitend oder nach der Ausbildung ist relativ neu – es gibt eine ganz andere Flexibilität und Beweglichkeit als früher. Ein Job ist heute nur noch einer von vielen Schritten in der Berufs­biografie, deswegen spielt die Arbeitszufriedenheit im Job auch eine immer größere Rolle für die Bindung.

Die Erfahrung zeigt, dass Fortbildung in der Praxis vieler Unternehmen entweder ganz hintenansteht oder nicht vorkommt, obwohl sehr viele damit werben. Wie schätzen Sie die Situation ein?   

Müller: Mundpropaganda spielt für den Unternehmensruf eine große Rolle. Wenn ein Unternehmen zwar mit Fortbildung wirbt, aber dann nicht in seine Mitarbeiter investiert, macht das schnell die Runde. Umgekehrt bietet das für die Konkurrenz natürlich die Chance, sich abzuheben, wenn Fortbildung eben nicht nur auf der Ver­packung steht. Wir haben einige Unternehmen unter unseren Kunden, die sich ganz bewusst für Weiter­bildung entschieden haben, um einen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Da trennt sich letztlich die Spreu vom ­Weizen.  

Walter: Was ist die Konsequenz, wenn man etwas verspricht, es dann aber nicht hält? Der Mitarbeiter ist irgendwann frustriert und kündigt möglicherweise deswegen. Dann steht das Unternehmen vor einer neuen Herausforderung, neues und gutes Personal zu finden. Bei einigen Unternehmen ist dieses Bewusstsein vermutlich leider nicht vorhanden. Frei nach dem Motto: Bloß nicht in einen Mitarbeiter investieren, der muss 40 Stunden arbeiten.

Müller: In unserem gegenwärtigen Bewerbermarkt ist es relativ leicht, eine neue Stelle zu finden. Das ist ein wichtiger Grund, warum heute so viel über Fortbildung geredet wird, um Mitarbeitende zu halten. Der andere Grund ist lebenslanges Lernen. Das Arbeitsumfeld verändert sich heute so schnell, dass ich mich kontinuierlich auf Veränderungen einlassen muss. Man kommt nicht umhin, den eigenen Mitarbeitenden zu ermöglichen, in ihrem Job zu lernen – das kann man nicht nur in die Freizeit verlagern. 

Wie kann man Führungskräfte davon überzeugen, in ­Fortbildung zu investieren? Nehmen wir als klassisches Beispiel den Chef, der alle Fäden in der Hand hält und sich­ ­entsprechend um tausendundeine Dinge kümmern muss, von ­denen das unmittelbare Betriebsergebnis ­immer das Wichtigste ist. Da fällt Personalentwicklung meistens ­hinten runter, zumal die Kompetenz dafür
auch fehlt.  

Müller: Ich würde so jemanden in unsere Kurse für ­Personalentwicklung einladen, die wir ganz gezielt für Unternehmer, Unternehmerinnen und Führungspersonen konzipiert haben. Aber auch dafür muss man natürlich motiviert sein. Man muss erfahren haben, dass man dem Thema nicht ausweichen kann, sondern dass es im Gegenteil hilft.

Walter: Mir geht es bei der Frage wieder um den Aspekt Nachhaltigkeit im Sinne der Mitarbeiterbindung. Wenn Mitarbeiter gehen, dann sollte die Führungskraft – beziehungsweise der Chef – automatisch zu der Frage kommen, warum sie gehen und ob Personalentwicklungsmaßnahmen dies hätten verhindern können. Wichtig ist die Kommunikation auf Augenhöhe, als Führungskraft zuzuhören und dass sich der Mitarbeiter traut, ­offen zu reden. 

Müller: Im Handwerk bietet vielleicht das betriebliche Gesundheitsmanagement einen guten Einstieg. Zum Beispiel eine bewegte Mittagspause oder das Angebot, eine Mitgliedschaft in einem Sportverein zu unterstützen. So etwas kostet nicht die Welt.  

Reintke: Es ist sehr wichtig, dass das Thema von der ­Geschäftsführung befürwortet und unterstützt wird, damit alle mitziehen. Man muss in einem Unternehmen auch offen darüber reden. Das kann zum Beispiel sein, dass Mitarbeiter, die auf einer Fortbildung waren, die Ergebnisse den Kollegen kommunizieren oder ­intern ein Erfahrungstransfer untereinander angestoßen wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Fotografie: Luka Gorjup
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