„Einfacher als ein Toaster“

Pathologen und Forscher arbeiten in der klassischen Histologie (Gewebelehre) bislang mit zweidimensionalen Bildern von Gewebeproben. Da Organe und Zellen jedoch dreidimensionale Objekte sind, können komplexe strukturelle Veränderun­gen durch die Methoden der klassischen Histologie nicht effektiv erkannt werden, sodass die Erforschung und Diagnose von Krankheiten erschwert sind. „Wir leben in einer dreidimensionalen Welt – unsere Körper sind dreidimensional, unsere Organe sind dreidimensional und deshalb sind auch unsere Krankheiten dreidimensional“, fasst es Jens Hansen zusammen, der im Team von Histomography das Produktmanagement verantwortet. 

Der bisherige Goldstandard in der Routinediagnos­tik der Pathologie basiert hingegen auf zweidimen­sio­nalen analogen Bilddaten. Eine Biopsie, die einem Patienten entnommen wurde, wird zur Untersuchung zunächst in einen Wachsblock eingebracht. Anschließend werden dünne Schnitte angefertigt, die ein Pathologe unter dem Mikroskop anschaut und befundet. „Wichtige ­Parameter für die Diagnose wie Tumorvolumen, Verteilungen von Zellkernen oder Verästelung von Blutge­fäßen können auf zweidimensionalen Schnitten nur sehr eingeschränkt bestimmt werden, sind für die Diagnose und Therapie aber hoch relevant“, so Hansen weiter. 

Tim Salditt, Professor an der Universität Göttingen hat dieses Problem erkannt und in den vergangenen 15 Jahren am Institut für Röntgenphysik eine Technologie entwickelt, um Gewebeproben dreidimensional zu untersuchen. 

Diese sogenannte Röntgenphasenkontrast-­Tomographie wurde unter anderem in den Doktorarbeiten der drei Mitgründer Matthias Bartels, Aike Ruhland und Marius Reichardt von der Idee bis zur Anwendungsreife gebracht. So konnte gemeinsam mit Medizinern und Biologen der biomedizinische Mehrwert für die Wissenschaft demonstriert werden.

Jetzt geht es darum, diese Technologie noch mehr Forschern und Klinikern zur Verfügung zu stellen. Denn aktuell ist die 3D-Darstellung von Gewebeproben in dieser Qualität nur einem kleinen Kreis spezialisierter Wissenschaftler vorbehalten. „Wir glauben, dass die dritte Dimension in der Erforschung und Diagnose von Krankheiten essenziell ist. Deswegen arbeiten wir hart daran, die komplexe Technologie der Röntgenbild­gebung einfach und vor allem ökonomisch zugänglich zu machen“, sagt Projektleiter Matthias Bartels. Ziel ist ein kompaktes und leicht zu bedienendes Labor­system „einfacher als ein Toaster“, ergänzt Aike Ruhland.

Die fünf Gründer haben sich im Dezember 2021 zusammengefunden. Während der Ausarbeitung der Produktidee entstand dann auch die Wortschöpfung „Histomographie“. Das Kofferwort beschreibt die Verschmelzung von Histologie (Gewebelehre) und Tomographie (3D-Bildgebung) und beschreibt treffend den Kern des Vorhabens. „Für Laien ein ungewöhnliches Wort, aber Pathologen können sich darunter sofort etwas vorstellen, auch wenn sie noch nie mit 3D-Daten gearbeitet haben. Das ist für unser Marketing natürlich super. Deshalb haben wir den Namen auch markenrechtlich geschützt“, sagt Hansen.

Aktuell ist das Team als EXIST-Forschungstransfer gefördert und kann so die Infrastruktur der Uni Göttingen nutzen. Ziel ist die Entwicklung des Laborsystems, aber auch die Evaluierung des Geschäftsmodells. „Bei Innovationen denkt man immer zuerst an Technologie und Patente. Aber es ist mindestens genauso wichtig, den Markt und die Probleme der Kunden zu verstehen und eine Lösung zu entwickeln, die dann auch gekauft wird“, sagt Bartels.  Deswegen versucht das Team, schnell Rückmeldung von potenziellen Kunden zu bekommen. Im Oktober 2023 wurde deshalb die Histomography GmbH gegründet, und das Team bietet die Bildgebung bereits im Markt als Dienstleistung an. Das Konzept scheint aufzugehen: Mit den Bilddaten aus dem Proto­typen im Labor kann das Team bereits Wissenschaftler weltweit begeistern und die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden und Anwender aus der Praxis sammeln. „Damit garantieren wir eine maßgeschneiderte Lösung. Wir sind die Einzigen, die ein solches System für die Bildgebung von Gewebeproben optimieren“, betont Hansen. 

Die Entwicklung und der Bau des Systems sind dabei nur die ersten Schritte. Die resultierenden digitalen 3D-Daten eröffnen die Möglichkeit, mit Algorithmen automatisch analysiert zu werden. Damit kann dem ­Pathologen der Zukunft die Arbeit erleichtert werden. Moderne KI-Algorithmen könnten zum Beispiel das 3D-Gewebe auf Auffälligkeiten voruntersuchen und dem Pathologen für die Diagnose Hilfestellungen an die Hand geben. Auch diesen Aspekt verfolgt das Gründerteam und stellt sich hier zukunftssicher auf.

Das Start-up profitiert auch von der aufkommenden Life-Science-Start-up-Community in Göttingen. Mit dem High-Tech-Inkubator in Göttingen, gefördert durch das Land Niedersachsen und organisiert über das Life-
Science Valley, hat das Team weitere Fördermittel eingeworben. 

Die ersten Schritte sind gemacht, aber die große Vision des Teams ist die Etablierung der Technologie in der Routinediagnostik. Dafür muss sich die Technologie in der Wissenschaft etablieren und der Mehrwert für konkrete medizinische Fragestellungen bewiesen werden. Und dann steht in jedem pathologischen Labor auch das 3D-Röntgenmikroskop aus Göttingen.  ƒ

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