Fluch und Segen zugleich

Hann. Mündens Bürgermeister Harald Wegener und Jens Herbort, ehemaliger Vorstand der Mündener Gilde, über das Verkehrschaos, wenn die A7 gesperrt ist, die Randlage im Landkreis Göttingen und politische Alleingänge rund um Flughafen, Windkraft und Weserversalzung in Hessen.

Hann. Münden ist in Südniedersachsen ohne Frage eine Perle. Aufgrund der Grenzlage orientiert sich die Stadt jedoch auch nach Hessen – und ist dabei von hessischen Alleingängen betroffen, ohne groß berücksichtigt zu werden. Die Beispiele sind zahlreich: die Ausrichtung der Landebahn des Flughafens Kassel-Calden, der Plan zur Aufstellung von Windrädern im Reinhardswald, die Untätigkeit angesichts der Werra-Versalzung. Über die Gründe, weshalb auch im Miteinander mit dem Landkreis Göttingen nicht alles rosig ist, sprechen Bürgermeister Harald Wegener und Jens Herbort, Mitglied der Mündener Gilde, im Interview.

Herr Wegener, Herr Herbort, was erleben Sie als die größten Stärken und Schwächen Hann. Mündens?

Wegener: Lage, Lage, Lage! Zum einen ist die Anbindung an die beiden Zentren Göttingen und Kassel sehr gut – nach Göttingen haben wir mit der Bahn eine Stundentaktung und eine Fahrzeit von 40 Minuten, nach Kassel sind Taktung und Fahrzeit noch besser. Das ist für viele eine Chance, auf das Auto zu verzichten. Dann liegen wir in der Mitte Deutschlands mit gleich vier Auto bahnen direkt vor der Haustür. Das ist sehr vorteilhaft – kann aber auch ein Nachteil sein, etwa wenn die A7 wegen eines Unfalls von einer Vollsperrung betroffen ist. Dann haben wir in der Stadt ein Verkehrschaos, in dem dann gar nichts mehr geht. Wir versuchen dem mit sogenannten Pförtnerampeln zu begegnen, die den Verkehr an den Ortseingangsschildern stoppen und nur so viel Verkehr in die Stadt hineinlassen, wie sie verkraften kann.

Herbort: Es stimmt. Die topografische Lage wie auch die Lage in Deutschland sind Segen und Fluch zugleich. Aufgrund dessen haben sich Firmen wie der Logistiker Wessels und Müller hier angesiedelt. Wir haben zahlreiche Übernachtungen von beruflich reisenden Menschen, zudem machen viele Touristen aus Skandinavien hier Zwischenstopp. Wir haben durch den Zusammenfluss von Werra und Fulda den Flusstourismus sowie zahlreiche Radwege – das ist für uns alles sehr, sehr vorteilhaft. Auf der anderen Seite macht die Lage zwischen den Zentren Kassel und Göttingen die Kaufkraftbindung schwierig. Weil wir durch die drei Flüsse natürlich eine begrenzte Anzahl von Brücken haben, ist auch die innerstädtische Verbindung zwischen den Stadtteilen nicht so einfach.
Hann. Münden ist ja ziemlich groß: Wenn Sie von Bursfelde an der Weser bis Hedemünden fahren, sind Sie 40 Minuten unterwegs. Das macht natürlich die Aufgaben der Stadt nicht einfacher. Gleichzeitig betont diese Situation auch die Bedeutung der Kernstadt, die Hann. Mündens Identität ausmacht.

Zeichnen sich bei all diesen Herausforderungen denn auch irgendwelche Lösungen ab? Zum Beispiel für das A7-Problem?

Wegener: Es gibt in dem unfallträchtigen Bereich sowohl ein Tempolimit als auch eine Blitzeranlage. Das Limit ist ein Ergebnis der landkreisübergreifenden A7-Konferenz gewesen, und die hat auch Verbesserungen gebracht. Aber das ändert nichts an den starken Gefälle- und Steigungsstrecken, auf denen Lkws teilweise im Schritttempo fahren, was von den Autofahrern völlig unterschätzt wird. Deshalb gibt es teils dramatische Auffahrunfälle und diese auch viel zu oft mit Todesfolge. Ein kritischer Punkt sind allerdings auch die Einnahmen aus dem
Blitzer. Obwohl das Gerät auf dem Gebiet der Stadt Hann. Münden steht und unsere Feuerwehr für die
Unfallsicherung auf 44 Autobahnkilometern zuständig ist und dafür das nötige Equipment braucht, bekommen wir von den rund 3,2 Millionen Euro Einnahmen nichts ab. Die verbleiben beim Landkreis. Das bedarf einer deutlichen Korrektur, auf die ich mit meinen Bürgermeisterkollegen entlang der Autobahn hinarbeite.

Herbort: Wir sind neben Göttingen der größte Gewerbesteuerzahler im Landkreis und das größte Mittelzentrum, unser Gewerbesteueraufkommen und die Kreisumlage, die wir abführen, sind erheblich. Hier ist meiner Meinung nach dringend eine Korrektur notwendig. Hann. Münden würde schon deutlich besser dastehen, wenn wir gar nicht erst so viel Geld abführen müssten – sprich die Kreisumlage gesenkt würde. Immerhin wurde ja die Fusion der Landkreise auch mit Synergieeffekten begründet. Stattdessen erleben wir einen immer größeren Geldbedarf des Landkreises.

Sie meinen, es fehlt eine Lobby für Hann. Münden? Warum?

Wegener: Ich würde das tatsächlich auf den Zuschnitt der Zeitungsbezirke zurückführen. Das Eichsfelder Tageblatt als direkter Ableger des Göttinger Tageblatts sorgt natürlich für eine ganz andere Wahrnehmung Duderstadts in Göttingen, während wir hier mit der HNA eine andere Zeitung haben. Das heißt, was in Hann. Münden passiert, ist in der Göttinger Zeitungslandschaft vergleichsweise wenig präsent. Wenn sich die Zeitungen untereinander so abgestimmt haben, dass keiner im Teich des anderen fischt, dann ist das deren Angelegenheit. Ich würde mir da allerdings mehr Wettbewerb wünschen.

Wie ist denn das Verhältnis zu Kassel beziehungsweise Nordhessen?

Wegener: Der Austausch mit dem Regierungspräsidium war immer gut und regelmäßig. Anlässe dafür gab und gibt es jede Menge. Etwa die Schleuse in Kassel, die für unsere Fahrgastschifffahrt wichtig ist. Dann das Thema Windräder im Hessenforst, die über die Tillyschanze herausragen sollten – das würde natürlich eine landschaftliche Überprägung bedeuten, die touristisch deutlich nachteilig wäre. Da oben gehören Windkraftanlagen, auch aus ökologischen Gründen, einfach nicht hin. Außerdem ist die Weserversalzung durch den Kaliabbau an der Werra ein Thema. Wir brauchen eine Gesamtlösung mit allen Betroffenen.

Die Salzentsorgung durch K+S ist ja ein altes Problem. Wer bewegt sich hier denn nicht?

Wegener: Ich erwarte an dieser Stelle, dass die hessischen Genehmigungsbehörden einen erheblich größeren Druck auf K+S ausüben und von den Verursachern auch kostenträchtige Lösungen für die Abfallbeseitigung einfordern.

Welche Auswirkungen sehen Sie denn aus der Innenstadtperspektive durch die Einflugschneise zum Flughafen Kassel-Calden, die Weserversalzung oder die geplanten Windräder?

Herbort: Wenn man an Hann. Münden denkt, fallen einem sofort die schöne Lage ein, die Wälder, die Flüsse.
Das ist ein wichtiges Gut, auf das müssen wir aufpassen. Die Versalzung sieht man optisch zumindest nicht, aber bei den Wäldern ist das die aktuelle Herausforderung. Als damals der Flughafen in Calden geplant wurde, sollte ich als Vorsitzender der örtlichen Wirtschaftsvereinigung dazu Stellung nehmen. Bei der Betrachtung von Aufwand und Nutzen hat sich der Sinn des Projektes nicht erschlossen und die Entwicklung hat uns im Nachhinein Recht gegeben. Als Mündener hat mich dann insbesondere geärgert, dass die Ausrichtung der Startbahn offenbar so angelegt wurde, dass durch den Anflug möglichst wenig hessische Wähler betroffen waren. Insofern war es ein Nachteil, dass wir im Nachbarbundesland leben. Allerdings macht sich der Flughafen in der Praxis nicht bemerkbar, gerade, weil er nicht läuft.

Wegener: Wir haben auch die Fluglärmkommission eingeschaltet, um uns erklären zu lassen, warum von den wenigen Flügen nicht unwesentlich viele die eigentliche Flugroute mit entsprechenden Ausnahmeregelungen verlassen und teilweise direkt über Hann. Münden fliegen – die sind dann allerdings schon im Landeanflug und entsprechend tief. Aber im Großen und Ganzen ist die Betroffenheit tatsächlich gering. Es gibt sogar einen
positiven Aspekt der Flugroute, weil Flugzeuge ab einer gewissen Höhe mit Windkraftanlagen interagieren und technische Probleme entstehen können. Hier hat sich inzwischen auch die Deutsche Flugsicherung eingeschaltet. Das heißt, uns gereicht im Moment zum Vorteil, dass es diese Flugroute gibt, weil sonst im Hessenforst mit
Sicherheit schon Windkraftanlagen stehen würden. Das ist im Grunde ein Stück weit verrückt.

Haben Sie dennoch die Befürchtung, dass sich der Alleingang mit Kassel-Calden jetzt bei den Windrädern wiederholen wird?

Wegener: Ich werde mich demnächst mit dem neuen hessischen Regierungspräsidenten Klüber treffen, um die verhärteten Standpunkte aufzubrechen, weil man sich nicht einfach über die Belange der Nachbarschaft hinwegsetzen kann.

Herbort: Ich habe schon den Eindruck, dass sich das Muster wiederholt: Wir stellen etwas an die Grenze, unsere eigene Betroffenheit ist vergleichbar gering, und die Nachbarn müssen dann erst einmal nach Hannover, von Hannover nach Wiesbaden und von Wiesbaden zu uns, das dauert. Wir müssen uns solch wichtiger Aufgaben wie der Energiewende, Stichwort Versorgungsleitung, gemeinsam annehmen und die Vorteile wie Nachteile gleichmäßig verteilen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: Alciro Theodoro da Silva
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