In neuen Meeren fischen

Das Start-up Neue Meere züchtet nachhaltig Premium-Garnelen.

Das ist die Geschichte von vier Freunden, die etwas derart Neues vorhaben, dass die Straße, an der sich ihr Firmengebäude befindet, bislang in keinem Navigations­gerät auftaucht. An der Chaussee 2, um das an dieser Stelle zu konkretisieren, in Gronau nahe Hildesheim wollen die Gründer Tarek Hermes und sein Bruder Philipp, Max Hoersen sowie Ludwig von Brockhausen ihren Traum von einer nachhaltigen Garnelenzucht mitten in Niedersachsen wahr werden lassen. Die beiden Brüder und von Brockhausen kennen sich aus ihrer gemeinsamen Studienzeit in Göttingen. Fischwirtschaftsmeister Hoersen stieß später dazu. Drei Jahre harte Arbeit liegen hinter dem Quartett von ,Neue Meere‘, und Anfang 2021 soll es nun endlich so weit sein: Die ersten White-­Tiger-Garnelen sollen im Online-­Handel landen.

Dafür, dass der Zeitplan eingehalten wird, sind sich die heutigen Gesellschafter für keinen Job zu schade. Zum Interviewtermin kommt Tarek Hermes fünf Minuten verspätet. „Es gab im Wasserbecken noch etwas auszubessern“, sagt der Ideengeber und Geschäftsführer des Start-ups, der als Markenzeichen stets passend zum Thema eine Bubba-Gump-Cap zum Hemd trägt – wie einst Forest Gump auf seinem Shrimpskutter.

Hauptberuflich arbeitet er seit seinem Agrarstudium an der Uni Göttingen als Experte für erneuerbare Energien. Von Brockhausen, der etwa zur gleichen Zeit wie Hermes sein BWL-Studium an der PFH Private Hochschule Göttingen absolvierte und heute die Finanzen regelt, wirkt nicht minder beschäftigt – auch er kommt gerade frisch aus dem Becken … Genau so sieht der momentane Alltag der Jungunternehmer eben aus. Es verbleiben nur noch wenige Wochen bis zum Verkaufsstart der ersten Generation fangfrischer Garnelen.

Doch von Anfang an. 2011 wird der gebürtige Gronauer Tarek Hermes durch eine Reportage auf das Thema der nachhaltigen Fischzucht aufmerksam. Die Nachfrage nach der beliebten Garnele ist in Deutschland extrem hoch, die Importzahlen bestätigen das. Bisher gibt es allerdings kaum Anbieter, die sich an das sensible Krustentier wagen. Zu exotisch sind die Bedingungen, die eingehalten werden müssen, um der Garnele ein Lebensumfeld zu bieten, in dem sie sich wohlfühlt, um zu wachsen. Bisher werden also die meisten von ihnen aus Asien und Amerika importiert. Und so kommt dem heute 37-Jährigen die Idee: Garnelen aus nachhaltiger Zucht, Made in Germany.

Mithilfe von Max Hoersen – zu dieser Zeit bereits europa­weiter Berater in der Fischzucht, der mit seinem technischen und biologischen Knowhow Antworten auf alle offenen Fragen geben kann – konkretisieren sich die Planungen schnell bis hin zum Bau der eigens konstruierten Kreislaufanlage. Das Besondere daran ist der Gedanke der Nachhaltigkeit: So bleibt das Wasser, das einmalig in die Becken eingelassen wurde, komplett im System, lediglich ein minimaler Anteil im einstelligen Prozentbereich muss täglich getauscht werden. Das Wasser wird durch die integrierte Technik mechanisch sowie biologisch gesäubert und aufgearbeitet, sodass es wieder die richtige Qualität für die Garnelen aufweist.

Die Investitionssumme im unteren Millio­nenbereich wurde neben dem Eigenkapital der vier Gesellschafter zu einem Drittel vom Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) gefördert, die Volksbank Hildesheimer Börde gab ein Darlehen. Und das Invest hat sich bereits bezahlt gemacht: So wurde das Projekt Garnele 1 mit der Volksbank Hildesheimer Börde bei einem Nachhaltigkeitswettbewerb als ,bestes Finanzierungsvorhaben 2018‘ in der Kategorie Agrar- und Nahrungsmittelwirtschaft mit einem ersten Preis ausgezeichnet und landete damit in der überregionalen Presse.

Überhaupt legen die Gründer großen Wert auf Transparenz. Der eigens geführte Hofladen wird passend zum Startschuss des Abverkaufs Anfang 2021 eröffnen – dann wird auch der regelmäßige Besuch regionaler Schulklassen starten, mit dem Neue Meere proaktiv für Aufklärung und Umweltbewusstsein sorgen möchte. Nun besitzen Aquakulturen im Allgemeinen jedoch einen eher schlechten Ruf, da sie unter anderem zu absterbenden Wildpopulationen führen, und auch die alten Meere bilden schon lange keine gesunde und nachhaltige Alternative mehr, da sie nicht selten Mikroplastik enthalten. Ganz anders bei Neue Meere. „Wir lassen, wie unser Name schon sagt, die Meere in Ruhe“, erklärt Philipp Hermes, der aus dem Hintergrund heraus die grundsätzliche Strategie und Planung des Unternehmens verantwortet. Schon beim Einkauf der Larven werde auf tierschutzkonforme Nachzucht geachtet. Populationen, die dadurch reproduziert werden, dass Tieren das Auge abgeschnitten wird, um einen Lockduft freizusetzen, scheiden aus. In den neuen Meeren leben stattdessen die ,Sachsen‘ und die ,Amerikaner‘, wie die Gesellschafter sie liebevoll nach dem Herkunftsort der Larven nennen.

„Für sechs Monate leben sie dann hier bei uns im Garnelen-Paradies“, erzählt Tarek Hermes. Sauerstoffzufuhr, pH-Wert und Temperatur werden streng kon­trolliert. Für die Krustentiere wird nur Futter aus pflanzlichen Proteinen gereicht. Dazu gehört auch eine schmerzfreie Tötung der Tiere, die dann zunächst für 30 Sekunden in einem Elektrobad betäubt und anschließend fünf Minuten in Eis gekühlt werden. „Unsere Garnelen sind komplett sauber und gesund“, verspricht Vertriebsleiter von Brockhausen. 24/7 muss die Anlage überwacht werden. Und wenn das bedeutet, dass nachts dreimal einer der Chefs wegen eines Alarms ausrücken muss, dann wird eben ausgerückt. Sashimi-­Qualität garantieren die Gesellschafter. Dementsprechend besteht die Zielgruppe potenzieller Kunden aus der Spitzengastronomie sowie privaten Haushalten.

Ab sofort sollen regelmäßig mehrere Hunderttausend Garnelen in den insgesamt sechs Becken schwimmen. Wenn die Anlage sich bald rentiert, können sich Hermes und seine Mitstreiter vorstellen, später auch weitere Fischarten zu züchten. Einen zweijährigen, erfolgreichen Versuch mit Lachs haben sie bereits hinter sich. Beim nächsten Mal könne man auch an Forellen denken, vielleicht auch an Zander!? Aber zunächst muss sich die Garnele durchsetzen. Und da bleibt eigentlich nur noch eine Frage an die Gründer offen: Wie schmeckt die Gronauer Garnele am besten? „Ganz klar: gegrillt!“

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