Südniedersachsens Obstgärten und Feldraine bergen wahre Schätze – von Klassikern wie Apfel, Birne, Brombeere oder Johannisbeere bis hin zu fast vergessenen Sorten wie Elsbeere, Kreike, Felsenbirne oder Löhrpflaume. Sie schmecken nicht nur frisch geerntet gut, sondern lassen sich auch hervorragend zu Spirituosen veredeln. In einer kleinen, aber feinen Manufaktur, der Weserbergland Brennerei, werden Aromen und Düfte für echte Genießer in Destillaten für gesellige Stunden konserviert.
Frühjahr. Erste wärmende Sonnenstrahlen wagen sich hervor und locken die Menschen aus ihren Häusern. In den Straßencafés sind die Tische besetzt, während es andere in den Garten zieht, wo sich zaghaft das erste Grün zeigt. Jetzt ist die beste Zeit, um einen Baum zu pflanzen. Das wusste auch der Göttinger SPD-Politiker und Vizepräsident des Deutschen Bundestages Thomas Oppermann, als er vor 16 Jahren ein Quittenbäumchen hinter seinem Haus in die Erde setzte. Dieses wuchs und wuchs über die Zeit und trägt mittlerweile in einem guten Erntejahr bis zu drei Zentner Früchte.
„Diese Birnenquitte bekamen wir zur Geburt unserer Tochter von Klaus-Peter Bruns geschenkt“, erzählt Oppermann uns in seinem Garten und lächelt versonnen. Bruns war Parteifreund und 1970/71 niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Inzwischen ist der Baum eine Erinnerung an den 2011 verstorbenen Gefährten.
„Er ist das gesamte Jahr über schön anzusehen“, sagt Oppermann zufrieden, während er gegen die Sonne hinauf zur Baumkrone blinzelt, um seine potenzielle Ausbeute zu begutachten. „Im Frühjahr, wenn die ersten Blätter sprießen und die rosa-weißen Blüten duften – das hat italienisches Flair.“ Im Spätsommer hingegen, wenn die letzten wärmenden Sonnenstrahlen den Quitten eine zitronengelbe Farbe geben, nimmt der vielbeschäftigte Politiker sich immer wieder eine Auszeit, steigt auf die Leiter und erntet eigenhändig und stolz die gelben, pelzigen Früchte.
Von einer beschaulichen Auszeit kann Sebastian Budde in diesen Tagen nur träumen, denn Erntezeit bedeutet für ihn Hochsaison – wobei es in seinem 1755 erbauten Bauernhaus in Reileifzen, einem kleinen Dorf in der Nähe von Holzminden, eigentlich das ganze Jahr über recht betriebsam zugeht und nach allerlei duftet: nach Erdbeeren, Himbeeren und Kirschen im Sommer, nach Pflaumen und Quitten im Spätsommer und nach kräftigen Gewürzen und Nüssen im Herbst und Winter. Zusammen mit seinem Vater gründete Budde vor acht Jahren die Weserbergland Brennerei und erfüllte sich nach zahlreichen Jahren als Kaufmann in etlichen Leitungsfunktionen auf dem internationalen Parkett schließlich seinen Jugendtraum: selbstständig zu sein und eigene Destillate zu brennen. Das alte Fachwerkhaus begeisterte den gebürtigen Holzmindener sofort, und so baute er es mit viel Liebe fürs Detail zu einer Brennerei aus – inklusive Sandsteinkeller für die Destillatreifung unter UV-Schutz und einer beachtlichen Fasslagerung. Gleich im Entree begrüßt die Brennblase in hoch poliertem Kupfer die Besucher als Eyecatcher und Herzstück der Manufaktur.
„Ich habe die Vermutung, dass der Schlehenlikör meiner Großmutter den entscheidenden Ausschlag gab, als ich mit sechs Jahren das erste Mal daran nippen durfte“, erzählt Sebastian Budde (Foto) mit einem verschmitzten Lächeln. Was danach in Jugendtagen mit ersten Brennversuchen begann, wurde über die Jahre vom Hobby zur Passion. „Das ist meine Art zu malen“, sagt der 38-Jährige mit leuchtenden Augen. „So kann ich heute fast jeden Tag das machen, was mich wirklich erfüllt.“
Vor drei Jahren lernten sich Thomas Oppermann und Budde kennen, als der Politiker auf der Suche nach einer hochwertigen Brennerei war, die seine Quitten stilvoll veredeln konnte. „Das hatte ich von ‚meinen‘ Quitten nicht erwartet, dass sie so aromatisch sind, wenn sie vergeistet werden“, sagt Oppermann und erinnert sich noch ganz genau. Der Hobby-Gärtner war sofort vom Geschmackserlebnis begeistert, als er den ersten Brand seiner eigenen Quitten – wenn auch erst nach einem vollen Jahr der Reife – in seinen Händen halten konnte. „Allgemein wird die Quitte übrigens sehr häufig unterschätzt“, erklärt Budde. „Vor allem in unseren Breitengraden weiß man wenig über ihre Vielfalt.“ Weltweit wachsen sage und schreibe an die dreihundert Sorten, die entweder zur Apfel- oder zur Birnenquitte gezählt werden. Diese Einteilung ergäbe sich dabei schlichtweg aus der Form.
Während die Apfelquitte sehr hart und sehr aromatisch daherkommt, ist die Birnenquitte etwas weicher und milder im Geschmack. Aber alle Sorten duften unvergleichlich. „Im letzten Jahr hatte ich ein paar der Früchte über Monate in meiner Wohnung liegen, weil sie so einen wunderbaren Duft verströmten“, erzählt Oppermann schwärmerisch von dieser besonderen Frucht, die ursprünglich aus dem östlichen Kaukasus stammt und vor allem in Asien in vielen auch herzhaften Gerichten verwendet wird.
Auch bei den Oppermanns werden die Früchte hin und wieder in der Küche verarbeitet: „Ich habe ein wunderbares Rezept, das ich gern verrate: Anstatt einfacher Kartoffelpuffer werden bei uns Quitten, Äpfel und Kartoffeln fein gerieben und gebraten. Köstlich.“
Um jedoch zu einer edlen Spirituose zu werden, bedarf es etlicher Arbeitsschritte. Jede Quitte muss dabei einzeln und sorgsam behandelt werden. „Bei uns wird alles von Hand gemacht“, erläutert Sebastian Budde. „Das beginnt schon damit, dass wir die Quitten Stück für Stück mit einem Tuch von ihrem Flaum befreien.“ Denn dieser Flaum enthält Fette und Harze, die einen bitteren Geschmack verursachen würden und den reinen Geschmack verfälschen. Um die 150 Liter Maische – zerkleinerte und gegebenenfalls vergorene Früchte – für eine volle Brennblase zu bekommen, benötigt Budde an die 180 Kilogramm Obst. Am Ende werden aus dieser Masse allerdings nicht mehr als vier bis sechs Liter Destillat gewonnen. „Das muss man sich wahrlich auf der Zunge zergehen lassen“, so der Brennmeister voller Begeisterung. „In zwei Zentilitern Quittengeist stecken gut und gern mehr als ein Pfund Frucht. Was für eine schöne Rarität – konserviert in einer Flasche.“
Neben diesen feinen Besonderheiten in kleiner Auflage für Privatbrandkunden wie Thomas Oppermann produziert und entwickelte Budde um die 60 Sorten an Bränden, Geist und Likören für wahre Genießer. Dazu gehören natürlich so beliebte Klassiker wie Birnenbrand oder Himbeergeist – aber vor allem Exoten aus der heimischen Region liegen ihm Herzen. „Wenn Erntezeit ist, bekommen wir aus Privatgärten Wäschekörbe voll Obst zum Ankauf geliefert, teilweise mit fast vergessenen Sorten wie dem Wildapfel, der Kornelkirsche oder Reneklode“, sagt Budde. Er lässt sich gern von dem inspirieren, was die Natur an Kostbarkeiten bereithält. „Es kommt vor, dass ich noch bis spät in die Nacht am Schreibtisch sitze, weil mir die Idee für eine neue Rezeptur durch den Kopf schwirrt.“
Selbst Spitzenköche aus ganz Deutschland vertrauen inzwischen der Kreativität des Brennmeisters, wenn sie für spezielle Menüfolgen eigene hochkarätige Destillate aus Spargel, Trüffel, Steinpilzen oder Pistazien ordern. Denn ein Destillat zu brennen, ist eine Kunst für sich. Es geht zum einen darum, das richtige Mischungsverhältnis der Zutaten zu finden, aber auch darum, beim Brennprozess den Zeitpunkt genau abzupassen, an dem das Destillat zu trennen ist. Ein Großteil des gebrannten Destillats in der Brennblase, der sogenannte Vorlauf und Nachlauf, ist nämlich ungenießbar. Nur die mittleren vier bis sechs Liter, die nach Verdünnung auf Trinkstärke sechs bis acht Liter betragen, werden den Qualitätsansprüchen der Weserbergland Brennerei gerecht und lagern anschließend von Monaten bis hin zu Jahren in Glasballons im kühlen Sandsteinkeller oder reifen zum Beispiel in Sherry- oder Bourbonfässern im Fasslager. „Ich muss bei jedem Brennprozess erneut die Entscheidung ,erschmecken‘, wie viel Liter von höchster Qualität sind. Da gibt es kein Patentrezept, allein die Erfahrung zählt“, sagt Budde. Nur mit diesem Feingefühl – oder besser mit einem Gourmetgaumen – lassen sich die Aromen in ihrer Vielfalt unverfälscht einfangen.
Thomas Oppermann hat inzwischen auch seinen neuesten Quittengeist abgeholt und kann sich nun – in seinem Garten hinterm Haus sitzend – daran erfreuen. „Hin und wieder verschenke ich auch schon mal ein Fläschchen meines ‚Selbstgebrannten‘ – … aber selten und nur an ganz besondere Menschen“, verrät der Genießer zu guter Letzt, der sogar noch einen kleinen Restbestand von der Rekordernte vor zwei Jahren hütet. Er bewahrt sie auf wie kleine Schätze – für die erlesenen Momente des Lebens.