Waghalsige Romantik

Für Mountainbiker aus Süd­niedersachsen ist der Harz die ideale Anlaufstelle, aber auch andere Ecken der Region bieten sich hervorragend an, dieses angesagte Hobby auszuleben – Action-Autor Rupert Fabig wagt die rasante Abfahrt.

Nass. Schmutzig. Brand­gefährlich. Das sind die Adjek­tive, die mir spontan einfallen, wenn ich an mein erstes Mountainbike-Erlebnis zurückdenke. Die ersten Gefühle, die mir in den Sinn kommen, sind jedoch: Spaß, Erlebnis, Überraschung, Abwechslung.

Wir befinden uns am Oderteich, einer historischen Talsperre nahe St. Andreasberg. Wer verträumt genug ist, fühlt sich beim Blick auf die anmutige, von felsigen Sandbänken und einem Nadelwald umgebene Wasserfläche vage an Kanada erinnert. Womit wir die verklärte Romantik dann ad acta legen können. Denn Mountainbiken geschieht zwar zumeist in idylli­scher Natur, bietet aber pure Action. ­Einer, der das haargenau weiß, ist Jan Zander (Foto nächste Seite). Einnehmendes Lächeln, sympathische Ausstrahlung, Gründer und Geschäftsführer von Trailtech, einer – vereinfacht ausgedrückt – Mountainbike-Schule. Und heute darf ich ihn auf einer Spritztour begleiten. Normalerweise beginnen die Kurse des 42-Jährigen mit einem Techniktraining. Ich verstehe sehr schnell, weswegen das unbedingt angebracht ist.

Wer glaubt, Mountainbiken habe viel mit herkömmlichem Radfahren gemeinsam, unterschätzt die olympische Sportart gewaltig, die seit einigen Jahren ungemein im Trend ist. Sowohl der sportliche als auch der gesundheit­liche Aspekt sowie die herrliche Aktivität an der frischen Luft spielen dabei eine Rolle. Jedes zweite verkaufte Fahrrad in Deutschland ist inzwischen ein Mountainbike. Das sollte passend gewählt sein, denn es gibt zahlreiche Unterschiede zwischen Racebikes, Tourern, All-Mountain und Enduro.

Auf einem handgemachten, äußerst hochwertigen ,Nicolai‘-Bike beginnt meine Tour, die eine der klassischen Routen im Harz darstellt: landschaftlich attraktiv, gut zu erreichen und vielseitig. Kaum ein Abschnitt, der nicht von Wurzeln übersät ist, deren zugehörige Bäume mitunter meterweit entfernt sind. Zander lehrt: „Über Hindernisse drüberfahren, anstatt daran vorbei.“ Für Anfänger bereits eine Höchst­schwierigkeit, und beim Ritt über spitze Steine wird die Aufgabe keineswegs ein­facher. Das Problem: Wer die Hürden zu vorsichtig anfährt, ist nicht schnell genug, um sie zu überwinden. Eine höhere Geschwindigkeit erscheint jedoch zu wagemutig. Beim Blick auf die benachbarten Abhänge ist mir längst bewusst geworden, dass ich mich hierbei wortwörtlich in eine Herausforderung stürze. Der erfahrene, in Waake lebende Zander ist jedoch stets an meiner Seite und beruhigt. „Beim Mountainbiken geht es darum, die Grenzen kennenzulernen, aber in erster Linie immer um Sicherheit“, erklärt der Vater einer vierjährigen Tochter. Für Neulinge zu gefährliche Touren und riskante Passagen stehen nicht im Programm von Trailtech. Der Slogan lautet vielmehr: „Sport­liche Betätigung in herrlicher Natur.“

Das lerne ich auf dem Weg einige Stufen hinauf in Richtung des Nadelwäldchens langsam zu schätzen. Einmal schmutzig, stört der Matsch nicht mehr, die Fahrlage auf dem komfortablen Bike bringt inzwischen Genugtuung. „Dank des Top-­Materials kann der Funke schnell überspringen“, sagt Zander. Zudem bietet die Region zahllose Möglichkeiten (siehe Kasten). „Per Mountainbike lassen sich Orte erreichen, die sonst kaum zugänglich sind“, betont der Tour-Guide. Gerade der Harz eigne sich für Einsteiger wie Fortgeschrittene auf multiple Art und Weise. Er ist mehr als nur der Brocken. Kleine Fichtenwälder, die Laubwälder im Süden, Täler, spektakuläre Talsperren, viele gut ausgebaute Trails. Kurzum: „Es wird nicht langweilig.“

Das gilt auch für die Übungen, die mir Zander zeigt. Auf den Pedalen balancieren, während er das Bike festhält. Die korrekte Haltung erlernen. Es sind einfach umzusetzende Details, die zu Beginn schon große Unterschiede machen. Wer daheim trainieren will oder ein Regenmuffel ist, braucht inzwischen nicht mehr in die Röhre schauen – im Gegenteil er sollte es sogar. Denn via Apps (zum Beispiel ,Zwift‘) lassen sich Mountainbikes, befestigt auf einer stationären Rolle, durch virtuelle Welten steuern. Einfach das Smartphone auf dem Lenker fixieren und auf die Piste stürzen. Dabei wird auch ein Risiko vermieden, dem einige Hobby-­Biker gerade im Sommer häufig erliegen: dem Hitzschlag. Denn wenngleich die Mountainbike-­Touren häufiger auch durch die kühleren Wälder verlaufen, besteht die Gefahr der Überhitzung. Daher immer genügend Wasser mitnehmen und bloß nicht überdrehen.

Ein stetig wachsender Teil dieses Geschäfts sind – mal abgesehen von den ­VR-­Welten – Bike-­Parks, also künstlich angelegte Mountainbike-Strecken, von denen es im Harz mittlerweile fünf gibt. Nirgendwo in Deutschland ist die Dichte höher. Aber auch in anderen Ecken Südniedersachsens wie etwa in der Solling-­Vogler-Region ist die Tendenz steigend. Dabei geht es wie beim Skifahren mit dem Lift nach oben und von da an auf zwei Rädern in die Tiefe. Zander leitet viele Kurse höchstpersönlich, legt sogar einige der Strecken an. Weitere Zweige für Trailtech sind die Zusammenarbeit mit der Mountainbike-­Industrie, Kinder- sowie Ladys-Only-­Kurse und Sprung-­Workshops. Oder ganz klassisch: ­Guiding bei individuell gebuchten Touren. Um das Programm permanent zu optimieren, ist die Kooperation mit regionalen Partnern zudem unerlässlich.

Aufgrund der Klimaproblematik gilt Mountainbiken sogar als das Skifahren der Zukunft. Plan B, aber trotzdem ab in die Berge und sogar in die ­gleichen Reviere. Die Wintersport-Infra­struk­tur inklusive Lifts ist vorhanden. Nicht nur im Harz werden zahlreiche Trails angelegt, die großen Skisportregionen in Österreich sind ebenfalls vorbereitet. „Der Mountainbike-Tourismus hat noch reichlich Potenzial“, betont Zander.

In der Nische steckt die Sportart jedenfalls längst nicht mehr, die Zuwachsraten sind beträchtlich. Zumal die Zielgruppen vielfältig sind. Des Rad­fahrens ist nahezu ­jeder mächtig, Alters- und Geschlechter­beschränkungen existieren nicht, der ­Materialaufwand ist überschaubar. Auch für Familien sind Bike-­Touren attraktiv.

Ein weiterer Boost kommt durch die E-Mountainbikes zustande. Auf dem Rück­weg komme ich selbst in den Genuss, Zanders elektrisch angetriebene Maschine zu fahren. Abermals lässt sich festhalten: kein Vergleich zum handels­üblichen ­E-Bike. Die Vorteile auf Schotter sind enorm, und das macht dann einfach nur verdammt viel Spaß. „Mein richtiges Mountainbike wird es aber nie ab­lösen“, sagt Zander dann noch zum Schluss – auch irgendwie ganz romantisch.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Digitale Helferlein

Komoot
Steinige Singletrails, einsame Bergwege oder glatte Asphaltstraßen – für Tourenplannung und Navigieren auf jeden Fall ganz weit vorne: www.komoot.de/discover

Strava
Tracking von Lauf- und Radfahraktivitäten im sozialen Netz – für Radfahrer und Läufer, die sportlicher unterwegs sind: www.strava.com

Trailforks
Die weltweit größte Mountainbike­strecken-Datenbank mit mehr als 50.000 erfassten Trails – hier findet man die populären Strecken in diversen Regionen: www.trailforks.com/app

Ein Muss
Der unverzichtbare Insidertipp: Wetter-Apps wie www.wetter.de

TOP

entdeckt, entwickelt & erzählt Erfolgsgeschichten