Der Göttinger Grundwasserexperte Martin Sauter über Freiheit, Fracking und Forscheralltag
Martin Sauter ist viel unterwegs. Etwa 100 Tage im Jahr reist er für die Wissenschaft um die Welt. „Glücklicherweise konnte ich meine Reiseaktivitäten in letzter Zeit etwas zurückfahren“, lässt der Göttinger Professor für Angewandte Geologie aber einen gewissen Drang zu mehr Sesshaftigkeit durchblicken. Doch wer glaubt, der 60-jährige Forscher richtet sich auf einen sanften Übergang in den Ruhestand ein, liegt falsch. Denn neben seinen immer noch beachtlichen beruflichen Reisedistanzen liebt er es auch privat, sich die Welt anzuschauen: Die Vielseitigkeit Europas und Deutschlands hat es ihm angetan und erspart ihm weitere Fernreisen. „Ich schätze die kulinarische Vielfalt, die kulturell so unterschiedlichen Menschen und natürlich die abwechslungsreichen Landschaften“, schwärmt der Geologe.
Gerne bricht er auf, um mit seinem Fahrrad die Gegend zu erradeln oder mit festem Schuhwerk bei einer Bergwanderung die Ruhe fernab vom Forschungsalltag zu genießen. Schon als Junge faszinierten ihn die Naturund ihre Gesetze. „Insbesondere die Chemie begeisterte mich. Ich wollte die Zusammenhänge verstehen“, erzählt er und blickt – mit leicht süddeutschem Akzent – auf seine Kindheit und Jugend am Bodensee zurück. Als Sauter einige Zeit später die Geologie entdeckte, gab es kein Halten mehr: „Es faszinierte mich, wie sich in diesem Fachbereich die Disziplinen Physik, Chemie, Mathematik und Biologie vernetzen und integrieren.“ Er absolvierte ein Geologiestudium in Tübingen und eines für Hydrogeologie an der englischen University of Birmingham.
Danach entschied er sich nun zunächst für ‚das Geldverdienen‘ in der freien Wirtschaft und arbeitete fünf Jahre im Consultingbereich in England und Deutschland. Der Job gefiel ihm, hatte aber einen Haken: „Immer, wenn es wirklich interessant wurde, war der Auftrag beendet und der Geldhahn zugedreht“, abringt Sauter seine damalige Unzufriedenheit auf den Punkt. Also folgte der logische Schritt: zurück in die Wissenschaft. „Denn als Wissenschaftler genieße ich ein besonderes Privileg: Ich werde vom Steuerzahler für meine Forschungen bezahlt“, sagt Sauter und schätzt die damit verbundene Freiheit. Er ist sich allerdings auch im Gegenzug seiner Bringschuld als Forscher bewusst. „Wissen ist immer gut“, sagt er und lehnt sich lachend zurück, um sogleich wieder ernster zu erklären, dass das Erkenntnisinteresse oft wichtiger sei als der Profit.
Sauter investierte daher weiter in seine Karriere: Zunächst promovierte er in Tübingen, und vier Jahre nach seinem Ruf auf die Hydrogeologieprofessur in Jena wechselte er nach Göttingen, um an der Georg-August- Universität eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. In seinem Bereich der angewandten Geologie spezialisierte er sich auf die Charakterisierung und Modellierung von Grundwasserleitern im Festgestein – einem Forschungsbereich, der sich auf Grundwasserleiter sowohl nahe der Geländeoberfläche (Grundwasserressourcen) und solche in Tiefen zwischen 3.000 bis 5.000 Meter unter der Erdoberfläche konzentriert. Es geht dabei unter anderem um tiefe Geothermie, die CO2-Speicherung in tieferen Erdschichten oder um die Abschätzung der Risiken bei der Förderung von Schiefergas. Im Rahmen des Informations- und Dialogprozesses der ExxonMobil über die Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Fracking- Technologie für die Erdgasgewinnung war er stellvertretender wissenschaftlicher Leiter und zuständig für den Geo-Bereich.
Dort entwickelte er Methoden zur Abschätzung der Risiken im Zusammenhang mit der Erschließung von Schiefergas. Ergebnis der Studie war, dass die wesentlichen Risiken aus der Handhabung der verschiedenen Stoffe und Fluide an der Oberfläche und aus nicht sachgerechtem Bohrlochausbau resultieren. Was viele Menschen gar nicht wissen: In Deutschland – mit Schwerpunkt in Niedersachsen – wird seit den 1960er-Jahren Fracking eingesetzt. In den vergangenen Jahrzehnten trug diese Technik laut Sauter entscheidend zu Aufrechterhaltung der heimischen Erdgasförderung bei.
Erschütternde Horrorszenarien von verwüsteten US-amerikanischen Landstrichen schließt Sauter für Deutschland aus, da die Umweltvorschriften hier viel strenger seien. Vielmehr könnte durch eine intensive Forschung sogar ein technologischer Fortschritt erzielt werden, der – wenn er zudem auch zu Kosteneinsparungen führt – zum erfolgreichen Exportprodukt werden könnte. Als Grundwasserexperte verweist Sauter auf die inzwischen verwendeten, deutlich umweltverträglicheren Chemikalien – eine Folge der Diskussion des Fracking in der Öffentlichkeit.
Auf die Frage nach der Unfallgefahr gerät sein kompetenter Redefluss jedoch ein wenig ins Stocken. Wohlüberlegt räumt er ein: „Natürlich sind Unfälle nicht gänzlich auszuschließen.“ Wäre es da nicht sinnvoller, sich beispielsweise auf Solarenergie zu konzentrieren? Es sei nicht seine Aufgabe, zwischen den Alternativen zu entscheiden, wägt Sauter vorsichtig ab, doch solle man bei der Diskussion bedenken, dass auch die Produktion von Solarzellen viele Ressourcen verbrauche. Letztlich müsse man auf einen Mix aus verschiedenen Energiequellen setzen, bis eine wirklich nachhaltige Lösung gefunden sei. „Der Mensch braucht Energie“, lautet seine einfache, aber überzeugende Formel. Ebenso ist für ihn aber der „sorgsame Umgang mit der Umwelt und das Hinterlassen eines bewohnbaren Planeten essenziell“. Daher gefällt es ihm sichtlich festzustellen, dass die nachrückenden Wissenschaftler den Umweltschutz bei ihren Forschungen als einen nicht wegzudiskutierenden Grundwert in ihre Arbeit einbeziehen.
Martin Sauter blickt positiv in die Zukunft, die für ihn persönlich ein weiteres Forschen bedeutet. Seine Karriere möchte er in Göttingen vollenden, „denn die Stadt hat eine angenehme Größe und bietet einen hohen Freizeitwert.“ Wo die Reise danach hingeht – ob vielleicht sogar zurück an den Bodensee –, lässt er offen. Aber es würde ihm gefallen, wenn er wieder mehr Zeit für den Tanzsport finden würde.