Marcel Riethig ist fest verwurzelt in der Region

Anlässlich des 50. Jubiläums des Landkreises Göttingen trifft faktor Marcel Riethig an seinem Lieblingsort. Dort erzählt der Landrat, wie seine Pflegeeltern sein Verständnis von Verantwortung für  die Gesellschaft nachhaltig beeinflusst haben und er sich vom ruhigen Zeitgenossen zum Klassenclown entwickelte.

Zum Interview im Europäischen Brotmuseum in Ebergötzen kommt der Lokalpolitiker Marcel Riethig wenige Minuten zu spät: Als Landrat des drittgrößten Landkreises in Niedersachsen ist er ein gefragter Mann mit vielen Terminen im Kalender. Dennoch wirkt er nicht abgehetzt. Anlaufzeit braucht er keine und erklärt als Erstes, warum er das Brotmuseum als Treffpunkt ausgewählt hat.

„Abgesehen von meiner Wohnung auf den Zietenterrassen ist hier einer der Orte im Landkreis, an dem ich mich privat am häufigsten aufhalte“, sagt der 39-Jährige. „Vor allem natürlich mit meinen Söhnen. Der ältere ist großer Windmühlen-Fan.“ Im Anschluss an diesen persönlichen Start entspinnt sich ein Gespräch, in dem der Landrat Marcel Riethig nicht nur weitere Einblicke in sein bisheriges Leben, sondern auch in seine Pläne für die Zukunft gewährt.

„Ich bin ein Kind der Region, in Eddigehausen am Fuße der Burg Plesse aufgewachsen“, erzählt Riethig. Er habe viele schöne, lebhafte Kindheitserinnerungen an Wochenendausflüge ins Wellenbad in Bad Lauterberg, zum Abenteuerspielplatz in Sieber oder an Sommernachmittage im Freibad in Reyershausen. „Das ist auch heute noch, genau wie das Naturfreibad in Grone, eines der schönsten in der Region.“ Und dann erklärt er, warum seine Eltern ihm und seiner Schwester nicht nur eine erfüllte Kindheit und Jugend ermöglicht, sondern auch nachhaltig seine Idee von Politik beeinflusst hätten.

Verantwortung übernehmen

„Unsere Eltern haben uns wenig Grenzen gesetzt, wir durften uns ausprobieren“, sagt Riethig. Ausprobiert hat er sich im Sport, als Handballtorwart bei der HSG Plesse, und auch musikalisch, indem er Trompete spielen lernte und später eine Ausbildung zum Chorleiter für einen Posaunenchor absolvierte.

Das Grundvertrauen, das ihm seine Eltern jederzeit entgegenbrachten, sei für ihn heute auch die Basis des Handelns in der Politik – „unabhängig davon, ob es um die interkommunale Zusammenarbeit in den Landkreisen, den täglichen Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern oder auch mit dem Team in der Verwaltung geht“. Außerdem habe er – und das sei viel entscheiden- der – von seinen Eltern gelernt, was es bedeute, Verantwortung zu übernehmen. „Sie haben mich bei sich als Pflegekind aufgenommen, als ich drei Monate alt war“, erzählt er offen, sichtlich gerührt und dankbar.

Darüber hinaus sei seine Mutter in der Arbeiterwohlfahrt sozial engagiert gewesen. Beide, Mutter und Vater, hätten schon in frühen Jahren vorgelebt, dass man nicht nur für sich, sondern auch für die Gesellschaft Verantwortung übernehmen kann. „Gemeinschaft funktioniert nur, wenn man sich auch um andere kümmert“, sagt Riethig im Brustton der Überzeugung. Hier spricht eindeutig der Mensch, nicht der Politiker. „Wir können uns doch zum Beispiel glücklich schätzen, dass wir in der Region über 150 freiwillige Feuerwehren mit etwa 5.400 aktiven Feuerwehrleuten haben.“

Praktikum im EU-Parlament und Bundestag

Doch obwohl – oder gerade, weil – Marcel Riethig eine schöne Kindheit in der Region verbracht, das Abitur am Otto-Hahn-Gymnasium absolviert und sein Studium der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität abgeschlossen hatte, zog es ihn „zunächst in die weite Welt“. Schon während des Studiums hatte er in Brüssel im Europaparlament gearbeitet, aber schnell gemerkt, dass sich die Idee, dort langfristig zu arbeiten, nicht als richtig für ihn herausstellte.

„Brüssel war und ist für mich eine Art Raumschiff und zu weit weg von operativer politischer Arbeit.“

Davon, wie die funktioniert, machte er sich im Anschluss an sein Studium 2009 ein Bild: als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Büro des 2020 verstorbenen Bundestagsabgeordneten und SPD-Politikers Thomas Oppermann.

Dort sei ihm klar geworden, dass Lokalpolitik perfekt zu ihm passe. „Mir liegt es, Pläne zu machen, sie schnell umzusetzen und ihre Auswirkungen direkt zu sehen“, sagt er. Und so kehrte er zum Start in seine lokalpolitische Karriere zu seinen Wurzeln zurück: Marcel Riethig wurde im Jahr 2011 in der Kreisverwaltung des Alt-Landkreises Göttingen Pressesprecher und Leiter der Stabsstelle Zentrale Steuerung. Im Jahr 2014 wurde er in den Kreisrat gewählt und verantwortete als Dezernent die Bereiche Jugend, Bildung, Arbeit, Soziales und Kultur. Nach seiner Wiederwahl im Jahr 2016 bekleidete er den Posten bis ins Jahr 2021.

Gefragt, welches Projekt ihm aus der Zeit besonders in Erinnerung geblieben ist, gibt er eine Antwort, die vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte nicht überraschend ist: „Wir konnten damals die Anzahl der Mitarbeiter im Pflegekinderdienst verdoppeln und haben damit etwas sozialpolitisch Sinnvolles erreicht“, erzählt er strahlend. „Mit den neuen Mitarbeitern ist es uns gelungen, 30 zusätzliche Familien für die Aufnahme von Pflegekindern zu gewinnen.“ Dass der Landkreis durch diese Maßnahme zusätzlich Geld gespart habe, weil die Unterbringung in Familien günstiger als im Heim sei, sei ein willkommener finanzieller Nebeneffekt gewesen.

Wahl zum Landrat Göttingen 2021

Seinen bisher letzten und vielleicht wichtigsten Schritt in der politischen Karriere machte Riethig im vergangenen Jahr: Seit dem 1. November 2021 ist er Landrat des Landkreises Göttingen und damit Nachfolger von Bernhard Reuter, der nach zehn Jahren im Amt nicht mehr zur Wahl angetreten war. „Auf den Posten bewirbt man sich nicht einfach, man wird von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Das bedeutet mir sehr viel“, erklärt Riethig. Mit 63,5 Prozent der Stimmen hatte er sich gegen Marlies Dornieden (CDU) in einer Stichwahl durchgesetzt. Der Posten sei eine große Herausforderung und eine mindestens genauso große Freude, betont er. „Ich stehe damit viel in der Öffentlichkeit. Es wird genau darauf geachtet, was ich wie sage.“ Mit einem ausgeprägten Wunsch nach Sicherheit sei er als Kind eher schüchtern gewesen und habe nie gern vor anderen geredet. Eher langsam habe er sich dahin entwickelt – „vom ruhigen Zeitgenossen über den Klassenclown zum Schülersprecher“. Genau das habe er auch bis heute aus seiner Kindheit mitgenommen: gerade trotz seines Sicherheitsbedürfnisses unangenehme Situationen zu suchen und daran zu wachsen. „Ich möchte nicht in Gewohnheit erstarren. Stillstand macht mir eher Angst“, gibt Riethig unumwunden zu. „Ich empfinde Weiterentwicklung und Veränderung als durchweg positiv.“

Weiterentwickeln will er auch die Verwaltung des Landkreises. Mit den Führungskräften will er den Landkreis als attraktiven Arbeitgeber aufstellen, bei dem ein starkes Teamgefühl dafür sorgt, dass Mitarbeitende gern kommen und bleiben. „Bei uns macht das ‚Wir‘ den Unterschied“, sagt er und klingt nun doch ein wenig wie der geübte Politiker. Mindestens genauso wichtig sei es ihm, den Landkreis zu einem zuverlässigen Dienstleister zu machen. „Verwaltung ist Gemeinwohlmaximierung. Wir wollen ein modernes Verständnis von Verwaltung in Prozesse zur Erfüllung der Wünsche und Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger überführen.“ Dazu gehöre, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen und auf Augenhöhe mit den Kunden, also den Bürgerinnen und Bürgern, zu arbeiten. „Außerdem wünsche ich mir mehr direkte Kommunikation, mehr Telefon als Briefe.“ Entscheidend sei, sein Handeln transparent zu kommunizieren.

„Das wichtigste Wort im politischen Wirken ist ‚damit‘, weil man so einer Maßnahme Sinn geben, ein Ziel beschreiben und sie erklären kann.“

Ein Schwerpunkt seiner Arbeit wird in der Stärkung der regionalen Zusammenarbeit liegen: „Wir haben als erste Region den Zuschlag für die Förderung im Rahmen des Programms ‚Zukunftsregionen in Niedersachsen‘ erhalten“, sagt Marcel Riethig freudestrahlend. Jetzt ginge es darum, gemeinsame Projekte umzusetzen, die Region als Ganzes zu präsentieren. Dafür stehen den kooperieren den Landkreisen Göttingen, Northeim, Goslar und Holzminden sowie der Stadt Göttingen für die nächsten sieben Jahre rund sechs Millionen Euro zur Verfügung. „Unsere Südniedersachsenstiftung, deren Vorsitz ich übernommen habe, ist dafür eine wunderbare Klammer.“ Auch für das am 1. Januar 2023 beginnende Jubiläumsjahr des Landkreises Göttingen – 50 Jahre sind es inzwischen – laufen Planungen, wenngleich noch keine konkreten.

Wie seine eigenen, konkreten Pläne aussehen, weiß Riethig hingegen bereits: „Meine persönliche Challenge ist die Verbesserung meiner sportlichen Ausdauer. Ich möchte wieder das Niveau von früher erreichen, als ich auf dem Rennrad locker 120 Kilometer durch unsere schöne Region fahren konnte.“ Beruflich sei er ganz im Hier und Jetzt. „Ich möchte meine Aufgaben so gut machen, dass ich im Jahr 2026 wiedergewählt werde“, gesteht er ein. Das große Ziel dabei sei der Ausbau des präventiven Sozialstaates, mit dem so wenig Menschen wie möglich in Not gerieten. Er hat am eigenen Leib erfahren, dass das gelingen kann – wenn alle sich für die Gemeinschaft einsetzen. ƒ

Zur Person

Marcel Riethig wurde 1982 in Göttingen geboren, wuchs in Eddigehausen auf und besuchte das Otto- Hahn-Gymnasium in Göttingen. Nach seinem Abitur 2003 absolvierte er ein Studium der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität. Nach dem Abschluss arbeitete er von 2009 bis 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Thomas Oppermann, MdB, in Berlin. Seit 2011 war er in der Kreisverwaltung des Landkreises Göttingen als Pressesprecher und Leiter der Stabsstelle Zentrale Steuerung tätig. 2014 wurde er zum Kreisrat gewählt und war als Dezernent für die Bereiche Jugend, Bildung, Arbeit, Soziales und Kultur verantwortlich. Zwei Jahre später wurde er wiedergewählt. Am 1. November 2021 trat er seinen Posten als Landrat des Landkreises Göttingen an. Marcel Riehtig hat zwei Kinder und wohnt in Göttingen.

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